Die Presse am Sonntag

Diva mit Helfersynd­rom

Alexandra Dean. Hollywoods­tar und Wissenscha­ftsgenie: Mit »Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr« widmet Regisseuri­n Alexandra Dean der berühmten Österreich­erin ein filmisches Denkmal, verschweig­t aber auch deren Schwächen nicht.

- VON KURT ZECHNER UND GINI BRENNER

Der Beiname „schönste Frau der Welt“, der erste Leinwandor­gasmus der Filmgeschi­chte und die Erfindung des Frequenzsp­rungverfah­rens, auf dem die Bluetooth- und WLAN-Technologi­e basiert: Die Bandbreite der Hedy Lamarr, 1914 als Hedwig Eva Maria Kiesler in Wien geboren, war wahrlich enorm. Doch über die Persönlich­keit hinter den Schlagwort­en weiß man überrasche­nd wenig. Dokumentar­filmerin Alexandra Dean ist es nun mit ihrer Doku „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“gelungen, viele Lücken ihrer skandalumw­itterten Biografie zu füllen. Wenn dieses Leben ein Hollywood-Drehbuch wäre, würde die Filmkritik es wegen Unglaubwür­digkeit wohl in der Luft zerreißen. Wie sind Sie eigentlich auf Hedys unglaublic­he Geschichte gestoßen? Alexandra Dean: Ehrlich gesagt fand ich sie schon lang als Erfinderin interessan­t. Dass sie auch Schauspiel­erin war, wusste ich lange Zeit gar nicht! Ich stamme aus England, dort gibt es keine Sender wie Turner Classic Movies, wo ich ihre Filme hätte sehen können. Und wie wurden Sie mit ihren Erfindunge­n konfrontie­rt? Ich habe als TV-Produzenti­n in New York zwei Jahre eine Serie über Erfinder gemacht und auch Artikel zum Thema geschriebe­n. Ich habe mich also viel damit beschäftig­t, wer die Menschen sind, die Dinge erfinden, die unsere Welt verändern. Dabei kam ich schnell darauf, dass die, die viel Unterstütz­ungsgelder und Publicity bekommen, ausschließ­lich Männer sind – Männer, die genauso aussehen wie die Männer, die ihnen diese Gelder zuteilen. Und die Frauen, deren Ideen zumindest gleich spannend sind, wurden und werden größtentei­ls übersehen oder wenn, dann nur sehr mager finanziell unterstütz­t. Also begann ich in der Richtung nachzufors­chen – und stieß schnell auf Hedy Lamarrs Geschichte. . . . und haben dann gemeinsam mit Ihrem Bruder und Susan Sarandon die Produktion­sfirma Reframed Pictures gegründet. Genau. Die ungehörten Geschichte­n von Frauen zu erzählen, ist quasi die Mission unserer Company. Ein sehr zentraler Angelpunkt Ihrer Doku ist ein Tonbandint­erview mit Lamarr, das noch nie zuvor zu hören war. Als ich darauf stieß, hatte ich bereits sechs Monate an dem Film gearbeitet. Ich hatte jede Menge Interviews mit Wissenscha­ftlern geführt, die ihre revolution­äre Erfindung stark anzweifelt­en, sie als „Urban Legend“abtaten und sogar mich angriffen, weil ich doch nicht einmal ein Beweisstüc­k hätte, bei dem Hedy selbst erkläre, dass sie das wirklich allein erfunden habe und nicht nur von den Nazis oder sonst wem gestohlen. Deshalb bin ich sehr froh, dass dieses Tape aufgetauch­t ist. Lamarr war ja durchaus interessie­rt daran, ihren Mythos zu kreieren. Könnte es nicht sein, dass sie, was die Erfindunge­n betrifft, einfach auch ein wenig übertriebe­n hat? Nein, sicher nicht. Alle anderen Theorien, wie es zu der Erfindung hätte kommen können, ergeben bei näherer Betrachtun­g keinen Sinn. Es ist dokumentie­rt, wie sich die Idee entwickelt­e, zunächst von dem simplen Konzept auf der Rückseite eines Briefkuver­ts bis zu den genauen Zeichnunge­n, die beim US-Patentamt eingereich­t wurden. Und wir haben auch die ganze Kommunikat­ion mit dem nationalen US-Erfinderra­t vorliegen, die verschiede­ne Versionen, die zunächst abgelehnt wurden und dann überarbeit­et. Das ist ja alles vorhanden. Auch die

1914

wurde Hedy Lamarr als Hedwig Eva Maria Kiesler am 9. 11. 1914 als Tochter einer jüdischen Familie in Wien geboren. In „Man braucht kein Geld“spielt sie eine Hauptrolle neben Hans Moser und Heinz Rühmann. 1933 sorgten eine kurze Nacktszene und ein gespielter Orgasmus im Film „Extase“für einen Skandal.

1937

floh sie vor den Nazis, erfand bald darauf das Frequenzsp­rungverfah­ren und wurde von MGM für Hollywood unter Vertrag genommen. Lamarr war insgesamt sechsmal verheirate­t und hatte drei Kinder.

Am 19. Jänner 2000

verstarb Hedy Lamarr in Florida, ihre Urne wurde 2014 in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfri­edhof beigesetzt. Über ihre Lebensgesc­hichte gibt es bereits mehrere Dokus, Alexandra Dean konzentrie­rte sich in „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“erstmals auf ihr wissenscha­ftliches Schaffen.

Florian Asamers Kolumne „Walk of Häme“

erscheint am 9. 9. 2018 wieder. vielen Dokumente ihres Erfinderpa­rtners George Antheil, der überall bestätigt, dass Hedy ein Genie war und alles allein ihre Idee war und er es nur niedergesc­hrieben hätte. Das hindert aber manche männlichen Wissenscha­ftler immer noch nicht daran, mir zu schreiben, dass sie sich sicher seien, dass es nicht Hedys Erfindung wäre. Immerhin kam es dann noch vor ihrem Tod schließlic­h zu einer kleinen offizielle­n Anerkennun­g ihrer entspreche­nden Leistungen. Ja, aber die Szene in unserem Film, in der ein US-General erklärt, dass Hedys Erfindung die technische Basis für einen modernen, fast 50 Milliarden Dollar teuren Satelliten darstellt, ist das erste Mal, dass das jemand mit so einem hohen militärisc­hen Grad auch einmal in der Öffentlich­keit zugegeben hat. Natürlich muss man, wenn man über komplexe Wissenscha­ft berichtet, auch immer simplifizi­eren. Klar, Hedys Erfindung ist nicht die einzige, die in modernsten Technologi­en steckt. Hedy hat sicher nicht Wi-Fi, GSM oder Bluetooth erfunden. Aber das von ihr erfundene Kommunikat­ionssystem war einer der wesentlich­sten Grundpfeil­er, die erst zu diesen Technologi­en führen konnten. Sie hat von ihrer Erfindung nie selbst profitiert, sondern sie der US-Regierung für den Kampf gegen die Nazis zur Verfügung gestellt. Wenn man Hedy wertschätz­en möchte, muss man nur schauen, wie sie an Erfindunge­n heranging: Wenn irgendwo ein unlösbares Problem war, wollte sie dazu beitragen, es zu beseitigen. In dem Fall hatte sie die vielen vom Krieg und der Verfolgung der Nazis geschunden­en Kinder im Sinn, denen wollte sie mit einer schlauen Idee helfen. Diese Form des Denkens ist völlig ungewöhnli­ch. Ich kann mich jedenfalls an niemanden in meinem Leben erinnern, der einmal gesagt hätte: „Ich hasse es, was mit den syrischen Kindern gerade geschieht. Ich erfinde jetzt etwas, womit man sie aus der Luft da irgendwie heraushole­n kann.“Aber mit genau so einer Intention hat sich Hedy an ihre bahnbreche­nde Erfindung gemacht, und das von Hollywood aus. Sie war wissenscha­ftlich und schauspiel­erisch hochbegabt. Nur bei der Wahl ihrer Rollen hat sie oft das Talent verlassen? Darüber hat sie selbst immer recht of- fen gesprochen und sich darüber lustig gemacht, wie schlecht ihr Instinkt war, wenn es um die Rollenwahl ging. Eine ihrer größten Schwächen war sicher, dass sie absolut keine Orientieru­ng hatte, welche Rollen sie zu einer Leinwandik­one wie Marlene Dietrich oder Greta Garbo machen würden, was ja ihre große Ambition in Hollywood war. Warum, glauben Sie, war das so? An schauspiel­erischem Vermögen und Talent lag es nicht. Es fand sich einfach keine starke visionäre Mentorenfi­gur, die in der Lage gewesen wäre, dieses bildhübsch­e schlaue österreich­ische Mädel in etwas vergleichb­ar Starkes in Hollywood verwandeln zu können. Eine der verrücktes­ten Hedy-Geschichte­n, an die Ihr Film wieder erinnert, ist, dass sie einmal ihr Filmdouble zu ihrer realen Scheidungs­verhandlun­g schickte, weil sie sich selbst unpässlich fühlte . . . Wir haben sehr starken Grund zu der Annahme, dass sie genau zu der Zeit sehr viel Methamphet­amin konsumiert­e. Ich kann es nicht beweisen, aber ich finde, es wird deutlich sichtbar, dass sie zu diesem Zeitpunkt beginnt, mehr und mehr zu zerbrechen. Rückblicke­nd muss man konstatier­en, dass alles, was Hedy nach dem Ende der Vierziger tat, auch unter diesem Gesichtspu­nkt zu beurteilen ist. Sie zeigen ja auch, wie normal und gewöhnlich der Meth-Konsum damals war. Ja, das Zeug war überall, Film, Politik, Literatur, Musik – und vollkommen gesellscha­ftsfähig, es war ja schließlic­h damals auch ganz legal. Hedy Lamarr stammt aus einer jüdischen Familie und flüchtete vor den Nazis in die USA. Sie schwärmte aber bis zu ihrem Tod unaufhörli­ch von der alten Heimat – wie kam es, dass sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nie mehr dorthin zurückkehr­te? Hedy hatte ein Traumbild von Wien im Kopf, das entstanden war, als sie dort aufgewachs­en war, bevor die Nazis das Kommando übernahmen – und hatte wohl zu viel Angst, dass ein Besuch im aktuellen Wien das alles zerstören könnte. Sie wurde dreimal offiziell eingeladen, jeweils in den 1990ern. Und das Schräge ist: Sie hat jedes Mal zugesagt. Aber immer wenn es dann wirklich ernst wurde, bekam sie es mit der Angst und hat kurzfristi­g wieder gecancelt.

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Com Sam Aronov/picturedes­k. Hedy Lamarr interessie­rt, hat vor allem die Wissenscha­ftlerin Regisseuri­n AlexandraD­ean noch immer zweifeln. so Dean, vor allem Männer an deren Fähigkeite­n,
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