Die Presse am Sonntag

Hexen, Horror, Feminismus

Das Remake des Horrorklas­sikers »Suspiria«, dessen Vorlage einst auf dem Index stand, überrascht­e bei den Filmfestsp­ielen von Venedig: »Die Presse am Sonntag« war dabei.

- VON ANDREY ARNOLD

Ist es als göttliche Interventi­on zu werten, wenn ein Blitz die Uraufführu­ng eines Festivalfi­lms unterbrich­t? Das geschah Freitagabe­nd in Venedig: Während der Premiere von Bradley Coopers „A Star Is Born“schlug ein ungebärdig­er Gewitterfu­nke in den Palazzo del Cinema ein, sprengte eine Projektorl­ampe und sorgte für eine viertelstü­ndige Zwangspaus­e im Musikdrama mit Popstar Lady Gaga. Bei der Deutung scheiden sich die Geister.

Das Wetter hat heuer jedenfalls einen unheimlich­en Draht zu den Filmfestsp­ielen. Als bei der ersten Pressevors­tellung von Viktor Kossakovsk­ys „Aquarela“, einer überwältig­enden Dokumentar­ode an die Gewalt des Wassers, Kamerafahr­ten durch einen orkangepei­tschten Küstenort die Leinwand durchnässt­en, stürmte es auch außerhalb der Kinosäle – so sehr, dass Zuschauer in weniger soliden, provisoris­chen Containers­pielstätte­n des Festivals kaum eine Dialogzeil­e mehr hörten. Und Samstagmor­gen, kurz vor der Enthüllung von Luca Guadagnino­s Remake des Horrorklas­sikers „Suspiria“, formierte sich passenderw­eise eine gräuliche Wolkendeck­e über den Köpfen der Kritikersc­haft. Vorlage von 1977. Viele fieberten der italoameri­kanischen Koprodukti­on entgegen, auch aufgrund des Leumunds der Vorlage. Obwohl Dario Argentos Meisterwer­k von 1977 in Deutschlan­d erst kürzlich vom Index entfernt wurde, gehört es längst zum Kinokanon. Bei Verteidigu­ngen des schmuddelb­ehafteten Horrorgenr­es führt man den Film oft ins Feld: Sein zügelloser Farbenraus­ch, seine unvergleic­hliche Fiebertrau­matmosphär­e würden ihn zum Meilenstei­n des Kinoexpres­sionismus adeln. Alle möglichen Regiegrand­en der Gegenwart rühmten ihn, vergangene­n Mai bejubelten Fans eine neue 4K-Restaurier­ung.

Jene, die sich nun vom neuen „Suspiria“eine sklavische Huldigung ihres Lieblingsf­ilms erhoffen, sollten den Weg ins Kino bleibenlas­sen. Guadagnino, Regisseur der Oscar-prämierten Romanze „Call Me by Your Name“, wählt einen anderen, im Grunde den einzig richtigen Zugang: die freie Neuinterpr­etation. Er eignet sich das Material an, transformi­ert es – wie es kürzlich Denis Villeneuve in seinem „Blade Runner“Sequel vorgemacht hat. Unmittelba­r ins Auge springt die ausgewechs­elte Farbpalett­e. Argentos Pinselstri­ch war satt, kräftig, voller aggressive­r Primärfarb­en, rot-grün-blau schillernd­es Grauen. Guadagnino taucht die Welt in gedämpfte Herbsttöne: Bernsteinb­raun, Rubinrot und Taubengrau bestimmen die Szenerie – wenn sie nicht in schummrige­m Schatten versinkt.

Der Herbst, namentlich der Deutsche Herbst, bestimmt auch die Handlung: Während das Original in Freiburg spielt und mit seinem dunkelbunt­en Psychospek­takel den Ängsten der Zeit eher indirekt Ausdruck verleiht, projiziert Guadagnino die Vorstellun­gswelt der Vorlage in seine eigene, stilisiert­e Vision der bleiernen 1970er-Jahre. Die junge, unbedarfte Susie (Dakota Johnson) kommt aus Ohio nach Berlin, um an einer renommiert­en Tanzakadem­ie zu studieren. Draußen halten BaaderMein­hof, Landshut- und Schleyer-Entführung die Welt in Atem, an kahlen Mauern prangen Protestgra­ffiti, hin und wieder gehen Bomben hoch. Doch auch im Inneren der Institutio­n herrscht bedrohlich­e Stimmung: Eine Studentin ist verschwund­en, ominöses Flüstern geistert durch die Gänge, die Aura eines vergiftete­n Fassbinder-Melodrams liegt in der Luft. Ist Susie gar in einen Hexenzirke­l hineingera­ten? Buchstäbli­ch kaputtgeta­nzt. Bei Argento würde man hier den Parkettbod­en unter den Füßen verlieren und in eine triebhafte Phantasmag­orie purzeln; Guadagnino hält sich vergleichs­weise zurück, er verfährt, auch das eine bewusste Neuorienti­erung, eher intellektu­ell. Zwar vergisst er nicht auf den Horror, serviert ihn allerdings nur sporadisch, in Form alibimäßig­er Appetithäp­pchen. Die Piece` de resistance´ kommt früh: Susie, dank schwarzer Magie psychophys­isch mit einer renitenten Kommiliton­in verbunden, tanzt diese buchstäbli­ch und unwillkürl­ich kaputt: Jede Bewegung ein knochenbre­chender, muskelzerr­eißender, körperverk­notender Schlag in die Magengrube. In puncto klassische­r Schockwirk­ung bildet diese brutale Sequenz bereits den einsamen Höhepunkt; der Rest des Films wirkt eher wie ein von gotischem Grusel und surrealen Traummonta­gen umdüsterte­s Psychodram­a über Radikalisi­erung und Feminismus.

Aus diesem Subtext macht der Film keinen Hehl, auch nicht aus der Hexenhafti­gkeit der Tanzlehrer­innen: Schon zu Beginn sieht man, wie sie um den Tisch ihrer Frauen-WG kongregier­en – ein Bataillon eminenter Schauspiel­ve-

Berlin im Deutschen Herbst – in der Tanzakadem­ie verschwind­et eine Studentin.

 ?? Alessio Bolzoni/Amazon Studios ?? Tilda Swinton als Madame in einer hexenhafte­n Frauen-WG.
Alessio Bolzoni/Amazon Studios Tilda Swinton als Madame in einer hexenhafte­n Frauen-WG.

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