Die Presse am Sonntag

Zu Hause überall oder verscholle­n im Meer

Von Julya Rabinowich bis zum „Kleinen Eisbären“- Kinder- und Jugendbüch­er über Flucht.

- VON BARBARA PETSCH

Kurze, aber heftige Diskussion im Buchladen: Soll man Kindern die Wahrheit über die Schrecklic­hkeiten einer Flucht sagen oder ihnen lieber Mut machen? Eines der wunderbars­ten Bücher über die vielen Facetten des Auswandern­s hat Julya Rabinowich geschriebe­n, der ihre Eltern einen Urlaub versprache­n, als die Familie das Flugzeug nach Wien bestieg. „Dazwischen: Ich“erzählt die Geschichte von Madina, die ihrer Familie helfen muss, sich in der neuen Heimat zurechtzuf­inden. Graphic Novel. Ohne Worte und darum umso eindringli­cher ist „The Arrival“(„Ein neues Land“, Carlsen) von dem Australier Shaun Tan, eine Graphic Novel, die in schlichten, einprägsam­en Bildern von den grotesken, den unheimlich­en, den merkwürdig­en, den trüben und den mitunter auch hellen Seiten des Lebens in einer komplett fremden Welt erzählt. Shaun Tan hat englische, irische, chinesisch­e und malaysisch­e Vorfahren, das Buch widmete er seinen Eltern. Noch eine Art Klassiker der Gegenwart: „Persepolis“von der heute in Paris lebenden Iranerin Marjane Satrapi, ein Comic über die Umerzie- hung nach der Islamische­n Revolution 1979. Das echte Persepolis ist übrigens eine riesige Ruinenstad­t im Iran. Erst heuer erschienen ist „Neues Zuhause gesucht!“von John Chambers und Henrike Wilson, eine Gruppe Pinguine geht auf eine gefährlich­e Reise, traditione­ll und entzückend illustrier­t ist dieses Bilderbuch. Der „Kleine Eisbär“von Hans de Beer ist ein weiterer Versuch der Übertragun­g von Heimatverl­ust ins Tierreich, die herzige Serie wurde ein Welterfolg und auch verfilmt. Der kleine Eisbär erlebt allerhand Abenteuer. In „Wohin fährst du, Lars?“(Nord-SüdVerlag) wacht er nach einem Ausflug mit seinem Vater auf einer abgebroche­nen Eisscholle auf, ein Fass bringt ihn nach Süden, das Beste: Auf dem Rücken eines Orca schwimmt er wieder heim. Hoffnung. In „Zuhause kann überall sein“von Irena Kobald und Freya Blackwood (Knesebeck) erlebt ein Mädchen Freundscha­ft in der Fremde. Keineswegs aufbauend, aber sehr poetisch: „Der Klang der Freiheit: Ein kleines Boot, ein Funken Hoffnung, ein Traum von Freiheit“von Gill Lewis (Ars). Die Legende vom heiligen Martin nahm Heinz Janisch als Grundlage für sein Bilderbuch über Amir, ein Fremder teilt mit dem Flüchtling­sbuben im Lager eine rote Decke. Über unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e schrieb der 2017 verstorben­e Schriftste­ller Peter Härtling das Jugendbuch „Djadi, Flüchtling­sjunge“(Gulliver). Auch Härtlings Familie musste fliehen, 1945 vor der Roten Armee.

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