Neonazis: Österreich als »Hoffnungsland«
Der Kontakt der heimischen rechten Szene mit Ostdeutschland ist eng: Österreicher waren in Chemnitz beteiligt – und deutsche Neonazis zieht es nach Oberösterreich.
Die Bilder sind um die Welt gegangen: Ein rechtsradikaler Aufmarsch, offen gezeigte Nazi-Insignien, Hitlergrüße, schwarz Vermummte, die skandieren, sie seien „Adolf-Hitler-Hooligans“. Die Videos aus Chemnitz haben für Entsetzen gesorgt – und zur Frage geführt: Kann das auch in Österreich passieren? Wie eng sind die Bande zwischen Ostdeutschland und Österreich, welche heimischen Rechten waren an den Aktionen in Chemnitz beteiligt, die zunächst Trauermärsche für einen offenbar von Migranten ermordeten Mann sein sollten, dann zu Märschen radikaler Rechter wurden?
Zunächst: Nein, die Situation in Chemnitz, das rechtsradikale Potenzial in Teilen Ostdeutschlands, lässt sich mit dem in Österreich nicht vergleichen. Ob sich so schnell eine Art Mob zusammenfinden würde, darüber sind sich Kenner der Szene aber uneins. In der Form wie in Chemnitz wohl nicht – wenn, dann eventuell in Linz. Und mit grenzüberschreitender Unterstützung aus Deutschland – wie sie aus Österreich nach Chemnitz kam. Sellner und Lenart in Chemnitz dabei. Schließlich sind die Bande zwischen Rechten in Österreich und Deutschland traditionell eng – auch, weil es diese Grenzziehung im Verständnis von Rechts-Außen teils ja ohnehin nicht gibt. In Chemnitz waren etwa führende Köpfe der heimischen Identitären dabei: Martin Sellner, seine Freundin Brittany Pettibone sowie Patrick Lenart rühmen sich selbst in sozialen Medien und via YouTube-Videos, hingefahren zu sein. Auf einem anderen Bild ist offenbar ein weiterer wichtiger österreichischer Identitärer zu sehen, neben ihm ein Demonstrant, der sich „88“ins Genick hat tätowieren lassen.
„Der Austausch der Identitären mit Deutschland ist eng“, sagt Andreas Peham. Der Rechtsextremismus- und Antisemitismus-Forscher vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) beobachtet seit vielen Jahren die Szene – und ihren Draht ins Ausland. „Zunächst waren die Demonstrationen in Chemnitz von regionalen Neonazis und Hooligans dominiert. Die Identitären sind, wie die AFD, auf den Zug aufgesprungen.“Die Bilder aus Chemnitz würden zeigen, wie sehr sich klassische Neonazis, Hooligans und neue Rechte mischen. „Die Grenzen zwischen Identitären und harten Nazis verschwinden“, sagt Peham. Die Identitären, besonders Sellner, stehen schon lang im engen Austausch mit Deutschland.
Und so ein Austausch ist nicht neu. Seit den 1990er-Jahren gibt es starke grenzüberschreitende rechtsextreme Gruppen, vor allem im Grenzland Oberösterreich/Bayern, auch in Vorarlberg beobachtet man starke Bande des rechtsextremen „Blood & Honour“Netzwerks über die Grenze hinweg. Auffällig stark werde, so die Beobachtungen Pehams, in den vergangenen Jahren die Verbindung zwischen der oberösterreichischen Rechts-außenSzene und ihren Pendants in Sachsen und Thüringen – diese gelten in Deutschland als Kernländer der Rechten. Wie hierzulande Oberösterreich. Peham spricht von einem „braunen Gürtel“, der sich über das Innviertel bis Linz und ins Salzkammergut erstrecke. Von Dresden nach Schärding. Dieser Status zieht offenbar an: „In den vergangenen Jahren beobachten wir eine Häufung von Neonazis aus Ostdeutschland, die nach Oberösterreich übersiedeln“, sagt Peham. „Sie sehen Österreich, speziell Oberösterreich, als Hoffnungsland.“Das liege an der Szene, den Kontakten. Aber auch daran, dass „man wegen der politischen Lage weniger Verfolgungsdruck erwartet“. Und durch den Aufwind der Rechten entstehen Jobs, in einschlägigen Medien etwa. Der „Wochenblick“(Redaktionssitz bei Schärding) hat mit Johannes Schüller einen Online-Chefredakteur, der aus Dresden stammt und als Mitbegründer der Identitären in Deutschland gilt. Auch info-direkt.eu hat den Redaktionssitz in Linz. Wie viele einschlägige Ostdeutsche übersiedelt sein könnten? Peham spricht von maximal zwei Dutzend. Diesen Zuzug beobachtet auch Thomas Rammerstorfer. Der Extremismusexperte und Autor ist ein langjähriger Kenner der Szene, er berichtet etwa von einer Führungsfigur der Vorarlberger Rechts-außen-Szene, die sich kürzlich in Wels niedergelassen habe.
In Summe beziffert Thomas Rammerstorfer die Szene in Oberösterreich, die er als extrem rechts einstufen würde, mit „ein paar Hundert“. Die aber stammen aus unterschiedlichen Szenen: darunter die Identitären (eher Studenten in Linz), Altnazis im Salzkammergut, die letzten klassischen Skinheads im Innviertel, Burschenschafter um die Verbindungen Germania zu Ried oder Arminia Cernowitz in Linz (die wieder eng mit den Identitären und info-direkt.eu verbunden ist).
Die Szene geht hin bis zu Neonazis aus der „Blood & Honour“-Bewegung, die enge Bande in die organisierte Kri-
Personen.
Auf dieses Potenzial schätzt das DÖW den innersten Kreis rechtsradikal agierender Menschen in Österreich – jene, die organisieren, publizieren usw. Der weitere Kreis aus Identitären, Deutschnationalen oder Rechts-außenBurschenschaftern dürfte aus einigen Tausenden bestehen.
Tathandlungen,
die als rechtsextrem, fremdenfeindlich, rassistisch, islamfeindlich oder antisemitisch motiviert gelten, wurden 2017 laut Verfassungsschutz-Bericht angezeigt. Ein Rückgang gegenüber 2016. Aufgeklärt wurden knapp 60 Prozent. 660 Tathandlungen davon gelten als rechtsextremistisch.
rechtsextreme Taten
wurden im ersten Halbjahr 2018 angezeigt, das geht aus einer Anfragebeantwortung des Innenministeriums hervor. Im Ländervergleich führt Oberösterreich (74 Taten) die Statistik vor Wien (69) und Niederösterreich (61). minalität pflegen. Deren Aktivitäten sind etwa 2013 rund um das „Objekt 21“in Desselbrunn (Bezirk Vöcklabruck) aufgeflogen. Diesen Neonazi„Kulturverein“auf einem alten Hof mit Aktivitäten wie Raubüberfällen oder im Rotlicht gibt es nicht mehr. Die Akteure sitzen teils noch in Haft, teils sind sie schon entlassen – und schlagen plötzlich, so Beobachter, bei anderen Gruppen wieder auf. Den Identitären etwa.
Egal aus welchen Szenen – die teils kooperieren, teils verfeindet sind – Andreas Peham beziffert den engen Kreis österreichweit mit wohl um die 1000 Personen – das sind jene, die organisatorisch aktiv sind, Demonstrationen oder Veranstaltungen initiieren, die einschlägig publizieren. Die weiteren Kreise seien ein Vielfaches davon.
Der markanteste Wandel in der Szene vollzieht sich hin von den klassischen Altnazis oder Skinheads zur smarten, juristisch gewandten neuen Rechten – die sprachlich, inhaltlich wie optisch ein neues Bild zeigen.
Die Revisionisten, die Ewiggestrigen verlieren an Einfluss – auch altersbedingt. Erst vor wenigen Tagen wurde etwa Hans Berger beerdigt. Er galt als Chef der neonazistischen „Europäischen Aktion“und war in Haft verstorben. Zwar trafen sich bei seinem Begräbnis neuerlich Größen der Szene, aber die hat mit Gerd Honsiks Tod im April heuer schon eine weitere Identifikationsfigur verloren. Auch klassische Neonazis mit Glatzen und Springerstiefeln gibt es nicht mehr – vereinzelt, sagt Rammerstorfer, im Innviertel. Ansonsten hat sich das Bild differenziert.
Diesen Wandel beobachten auch die Verfassungsschützer: Der organisierte Rechtsextremismus „traditioneller, nationalistischer, neonazistischer Prägung“habe an Einfluss verloren, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2017. Antisemitismus oder die NS-Zeit spielen bei den modernen Rechten oberflächlich keine größere Rolle, zum Feindbild wurden eher Zuwanderer, besonders Muslime. Harmloser ist das nicht. „Rechtsextremistische Aktivitäten stellen eine demokratiegefährdende Tatsache“dar, heißt es im Bericht. Verschobenes Feindbild. Rammerstorfer nennt Gruppen wie die Identitären die „legalistische Schiene“: Junge, gebildet, meist Akademiker, sprachlich, taktisch und in der Online-Kommunikation sehr versiert. Im Auftreten nicht von Studenten oder Hipstern aller Art zu unterscheiden. Inklusive Frauen in der ersten Reihe – wenn auch nur optisch, zu sagen hätten diese nichts.
Aber auch die eher ländlichen, intellektuell einfacher gestrickten Rechten der „klandestinen militanten Szene“, so Rammerstorfer, sei nicht mehr einfach zu erkennen. Und, auch sie können mit den Neuen teils wenig anfangen. Deren Inszenierung gefällt nicht allen. Alt- oder Neonazis werfen den Jungen vor, inhaltlich zu verwässern. Diese kennen schließlich sie Gesetze exzellent und pflegen eine strenge Abgrenzung zu allem, das als Wiederbetätigung geahndet werden könnte.
Die Kommunikation spielt sich zu guten Teilen online ab – zentrale Orte sind das russische Facebook-Pendant VK. Auf Facebook sind einschlägige Gruppen gemäßigter, die Seite „Unwiderstehlich“etwa gilt als zentrale Plattform. Für Behörden oder strafrechtlich relevante Kommunikation passiert heute aber versteckt: Etwa, indem man sich in beliebigen Onlineforen verabredet und Privatnachrichten austauscht. So geschehen in Hundefutter-Foren.
Und trotz aller Umbrüche, der Szene fehlt mit Gottfried Küssel die zentrale Führungsfigur, so Peham, sie zersplittere. Das könnte sich ändern. Schließlich registriere man seit Felix Budin,
Chemnitz zeige: Die Grenze zwischen »harten Neonazis« und Identitären verschwimmt. Altnazis und Skinheads sterben aus, die jungen Smarten übernehmen.