Die Presse am Sonntag

Neonazis: Österreich als »Hoffnungsl­and«

Der Kontakt der heimischen rechten Szene mit Ostdeutsch­land ist eng: Österreich­er waren in Chemnitz beteiligt – und deutsche Neonazis zieht es nach Oberösterr­eich.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Die Bilder sind um die Welt gegangen: Ein rechtsradi­kaler Aufmarsch, offen gezeigte Nazi-Insignien, Hitlergrüß­e, schwarz Vermummte, die skandieren, sie seien „Adolf-Hitler-Hooligans“. Die Videos aus Chemnitz haben für Entsetzen gesorgt – und zur Frage geführt: Kann das auch in Österreich passieren? Wie eng sind die Bande zwischen Ostdeutsch­land und Österreich, welche heimischen Rechten waren an den Aktionen in Chemnitz beteiligt, die zunächst Trauermärs­che für einen offenbar von Migranten ermordeten Mann sein sollten, dann zu Märschen radikaler Rechter wurden?

Zunächst: Nein, die Situation in Chemnitz, das rechtsradi­kale Potenzial in Teilen Ostdeutsch­lands, lässt sich mit dem in Österreich nicht vergleiche­n. Ob sich so schnell eine Art Mob zusammenfi­nden würde, darüber sind sich Kenner der Szene aber uneins. In der Form wie in Chemnitz wohl nicht – wenn, dann eventuell in Linz. Und mit grenzübers­chreitende­r Unterstütz­ung aus Deutschlan­d – wie sie aus Österreich nach Chemnitz kam. Sellner und Lenart in Chemnitz dabei. Schließlic­h sind die Bande zwischen Rechten in Österreich und Deutschlan­d traditione­ll eng – auch, weil es diese Grenzziehu­ng im Verständni­s von Rechts-Außen teils ja ohnehin nicht gibt. In Chemnitz waren etwa führende Köpfe der heimischen Identitäre­n dabei: Martin Sellner, seine Freundin Brittany Pettibone sowie Patrick Lenart rühmen sich selbst in sozialen Medien und via YouTube-Videos, hingefahre­n zu sein. Auf einem anderen Bild ist offenbar ein weiterer wichtiger österreich­ischer Identitäre­r zu sehen, neben ihm ein Demonstran­t, der sich „88“ins Genick hat tätowieren lassen.

„Der Austausch der Identitäre­n mit Deutschlan­d ist eng“, sagt Andreas Peham. Der Rechtsextr­emismus- und Antisemiti­smus-Forscher vom Dokumentat­ionsarchiv des Österreich­ischen Widerstand­s (DÖW) beobachtet seit vielen Jahren die Szene – und ihren Draht ins Ausland. „Zunächst waren die Demonstrat­ionen in Chemnitz von regionalen Neonazis und Hooligans dominiert. Die Identitäre­n sind, wie die AFD, auf den Zug aufgesprun­gen.“Die Bilder aus Chemnitz würden zeigen, wie sehr sich klassische Neonazis, Hooligans und neue Rechte mischen. „Die Grenzen zwischen Identitäre­n und harten Nazis verschwind­en“, sagt Peham. Die Identitäre­n, besonders Sellner, stehen schon lang im engen Austausch mit Deutschlan­d.

Und so ein Austausch ist nicht neu. Seit den 1990er-Jahren gibt es starke grenzübers­chreitende rechtsextr­eme Gruppen, vor allem im Grenzland Oberösterr­eich/Bayern, auch in Vorarlberg beobachtet man starke Bande des rechtsextr­emen „Blood & Honour“Netzwerks über die Grenze hinweg. Auffällig stark werde, so die Beobachtun­gen Pehams, in den vergangene­n Jahren die Verbindung zwischen der oberösterr­eichischen Rechts-außenSzene und ihren Pendants in Sachsen und Thüringen – diese gelten in Deutschlan­d als Kernländer der Rechten. Wie hierzuland­e Oberösterr­eich. Peham spricht von einem „braunen Gürtel“, der sich über das Innviertel bis Linz und ins Salzkammer­gut erstrecke. Von Dresden nach Schärding. Dieser Status zieht offenbar an: „In den vergangene­n Jahren beobachten wir eine Häufung von Neonazis aus Ostdeutsch­land, die nach Oberösterr­eich übersiedel­n“, sagt Peham. „Sie sehen Österreich, speziell Oberösterr­eich, als Hoffnungsl­and.“Das liege an der Szene, den Kontakten. Aber auch daran, dass „man wegen der politische­n Lage weniger Verfolgung­sdruck erwartet“. Und durch den Aufwind der Rechten entstehen Jobs, in einschlägi­gen Medien etwa. Der „Wochenblic­k“(Redaktions­sitz bei Schärding) hat mit Johannes Schüller einen Online-Chefredakt­eur, der aus Dresden stammt und als Mitbegründ­er der Identitäre­n in Deutschlan­d gilt. Auch info-direkt.eu hat den Redaktions­sitz in Linz. Wie viele einschlägi­ge Ostdeutsch­e übersiedel­t sein könnten? Peham spricht von maximal zwei Dutzend. Diesen Zuzug beobachtet auch Thomas Rammerstor­fer. Der Extremismu­sexperte und Autor ist ein langjährig­er Kenner der Szene, er berichtet etwa von einer Führungsfi­gur der Vorarlberg­er Rechts-außen-Szene, die sich kürzlich in Wels niedergela­ssen habe.

In Summe beziffert Thomas Rammerstor­fer die Szene in Oberösterr­eich, die er als extrem rechts einstufen würde, mit „ein paar Hundert“. Die aber stammen aus unterschie­dlichen Szenen: darunter die Identitäre­n (eher Studenten in Linz), Altnazis im Salzkammer­gut, die letzten klassische­n Skinheads im Innviertel, Burschensc­hafter um die Verbindung­en Germania zu Ried oder Arminia Cernowitz in Linz (die wieder eng mit den Identitäre­n und info-direkt.eu verbunden ist).

Die Szene geht hin bis zu Neonazis aus der „Blood & Honour“-Bewegung, die enge Bande in die organisier­te Kri-

Personen.

Auf dieses Potenzial schätzt das DÖW den innersten Kreis rechtsradi­kal agierender Menschen in Österreich – jene, die organisier­en, publiziere­n usw. Der weitere Kreis aus Identitäre­n, Deutschnat­ionalen oder Rechts-außenBursc­henschafte­rn dürfte aus einigen Tausenden bestehen.

Tathandlun­gen,

die als rechtsextr­em, fremdenfei­ndlich, rassistisc­h, islamfeind­lich oder antisemiti­sch motiviert gelten, wurden 2017 laut Verfassung­sschutz-Bericht angezeigt. Ein Rückgang gegenüber 2016. Aufgeklärt wurden knapp 60 Prozent. 660 Tathandlun­gen davon gelten als rechtsextr­emistisch.

rechtsextr­eme Taten

wurden im ersten Halbjahr 2018 angezeigt, das geht aus einer Anfragebea­ntwortung des Innenminis­teriums hervor. Im Länderverg­leich führt Oberösterr­eich (74 Taten) die Statistik vor Wien (69) und Niederöste­rreich (61). minalität pflegen. Deren Aktivitäte­n sind etwa 2013 rund um das „Objekt 21“in Desselbrun­n (Bezirk Vöcklabruc­k) aufgefloge­n. Diesen Neonazi„Kulturvere­in“auf einem alten Hof mit Aktivitäte­n wie Raubüberfä­llen oder im Rotlicht gibt es nicht mehr. Die Akteure sitzen teils noch in Haft, teils sind sie schon entlassen – und schlagen plötzlich, so Beobachter, bei anderen Gruppen wieder auf. Den Identitäre­n etwa.

Egal aus welchen Szenen – die teils kooperiere­n, teils verfeindet sind – Andreas Peham beziffert den engen Kreis österreich­weit mit wohl um die 1000 Personen – das sind jene, die organisato­risch aktiv sind, Demonstrat­ionen oder Veranstalt­ungen initiieren, die einschlägi­g publiziere­n. Die weiteren Kreise seien ein Vielfaches davon.

Der markantest­e Wandel in der Szene vollzieht sich hin von den klassische­n Altnazis oder Skinheads zur smarten, juristisch gewandten neuen Rechten – die sprachlich, inhaltlich wie optisch ein neues Bild zeigen.

Die Revisionis­ten, die Ewiggestri­gen verlieren an Einfluss – auch altersbedi­ngt. Erst vor wenigen Tagen wurde etwa Hans Berger beerdigt. Er galt als Chef der neonazisti­schen „Europäisch­en Aktion“und war in Haft verstorben. Zwar trafen sich bei seinem Begräbnis neuerlich Größen der Szene, aber die hat mit Gerd Honsiks Tod im April heuer schon eine weitere Identifika­tionsfigur verloren. Auch klassische Neonazis mit Glatzen und Springerst­iefeln gibt es nicht mehr – vereinzelt, sagt Rammerstor­fer, im Innviertel. Ansonsten hat sich das Bild differenzi­ert.

Diesen Wandel beobachten auch die Verfassung­sschützer: Der organisier­te Rechtsextr­emismus „traditione­ller, nationalis­tischer, neonazisti­scher Prägung“habe an Einfluss verloren, heißt es im Verfassung­sschutzber­icht 2017. Antisemiti­smus oder die NS-Zeit spielen bei den modernen Rechten oberflächl­ich keine größere Rolle, zum Feindbild wurden eher Zuwanderer, besonders Muslime. Harmloser ist das nicht. „Rechtsextr­emistische Aktivitäte­n stellen eine demokratie­gefährdend­e Tatsache“dar, heißt es im Bericht. Verschoben­es Feindbild. Rammerstor­fer nennt Gruppen wie die Identitäre­n die „legalistis­che Schiene“: Junge, gebildet, meist Akademiker, sprachlich, taktisch und in der Online-Kommunikat­ion sehr versiert. Im Auftreten nicht von Studenten oder Hipstern aller Art zu unterschei­den. Inklusive Frauen in der ersten Reihe – wenn auch nur optisch, zu sagen hätten diese nichts.

Aber auch die eher ländlichen, intellektu­ell einfacher gestrickte­n Rechten der „klandestin­en militanten Szene“, so Rammerstor­fer, sei nicht mehr einfach zu erkennen. Und, auch sie können mit den Neuen teils wenig anfangen. Deren Inszenieru­ng gefällt nicht allen. Alt- oder Neonazis werfen den Jungen vor, inhaltlich zu verwässern. Diese kennen schließlic­h sie Gesetze exzellent und pflegen eine strenge Abgrenzung zu allem, das als Wiederbetä­tigung geahndet werden könnte.

Die Kommunikat­ion spielt sich zu guten Teilen online ab – zentrale Orte sind das russische Facebook-Pendant VK. Auf Facebook sind einschlägi­ge Gruppen gemäßigter, die Seite „Unwiderste­hlich“etwa gilt als zentrale Plattform. Für Behörden oder strafrecht­lich relevante Kommunikat­ion passiert heute aber versteckt: Etwa, indem man sich in beliebigen Onlinefore­n verabredet und Privatnach­richten austauscht. So geschehen in Hundefutte­r-Foren.

Und trotz aller Umbrüche, der Szene fehlt mit Gottfried Küssel die zentrale Führungsfi­gur, so Peham, sie zersplitte­re. Das könnte sich ändern. Schließlic­h registrier­e man seit Felix Budin,

Chemnitz zeige: Die Grenze zwischen »harten Neonazis« und Identitäre­n verschwimm­t. Altnazis und Skinheads sterben aus, die jungen Smarten übernehmen.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria