Wie die Justiz mit Rechtsextremen umgeht
Die Zahlen der Schuldsprüche wegen Verhetzung und Verbotsgesetz-Verstößen steigen.
Als ein viel beschäftigter Grazer Staatsanwalt (er bittet, seinen Namen nicht zu nennen) im heurigen Frühjahr 17 Mitglieder der ultrarechten Identitären Bewegung Österreich wegen Verhetzung anklagt, machen sich kritische Beobachter Sorgen: Jemanden wegen öffentlicher Protestaktionen – diesfalls gegen Zuwanderung (Leitspruch: „Integration ist Lüge“) – anzuklagen, rieche stark nach Gesinnungsstrafrecht.
Es kommt, wie es kommen muss: Ein Gericht billigt den Identitären rund um Frontmann Martin Sellner zu, dass man ihren Aktionismus auch als legitimen Protest „gegen eine verfehlte Politik“sehen könne. Zumindest im Zweifel für die Angeklagten. Daher ergehen Freisprüche.
Hätte besagter Staatsanwalt die Protestaktionen nicht gleich kriminalisiert, hätte er, basierend auf der Verdachtslage, (verdeckte) Strukturermittlungen innerhalb der international vernetzten rechten Szene (siehe Artikel ne- benan) vorgenommen – vielleicht hätten sich belastbare Beweise ergeben. Vielleicht auch nicht. So bleibt der bittere Nachgeschmack, die Freisprüche könnten als Persilschein für Rechtsextreme missverstanden werden.
Der Identitären-Prozess war der zuletzt wohl größte Prozess gegen Vertreter des ultrarechten Spektrums. Davor stach das Verfahren gegen einen gewissen Gottfried Küssel heraus, der schon eine Generation früher als Leitfigur der Rechtsextremen galt und derzeit eine Haftstrafe, sieben Jahre und neun Monate, wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung absitzt. Doppelt so viele Schuldsprüche. Und sonst? Wie oft schlagen die typischen Delikte, nämlich Verhetzung (Beispiel: öffentliches Aufstacheln zu Hass aus rassistischen Gründen) oder eben Verstöße gegen das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP (kurz: Verbotsgesetz) bei der Justiz auf? Laut Sta- tistik immer öfter. Gemäß Sicherheitsbericht 2017 wurden im Jahr 2014 noch 30 Verurteilungen wegen Verhetzung gezählt, im Jahr darauf schon 44, noch ein Jahr später 52. Im Vorjahr gab es laut Justizressort mehr als doppelt so viele Verurteilungen wie 2016, nämlich 107. In der ersten Jahreshälfte dieses Jahres gab es 31 Verhetzungs-Schuldsprüche (dies geht aus einer Anfragebeantwortung hervor).
Etwa 90 Prozent der Verhetzungsdelikte werden im Internet verwirklicht, wo eine Unzahl sogenannter Hasspostings, vielfach gegen Zuwanderer und Flüchtlinge, kursiert. Das ändert an der Strafbarkeit nichts, bringt aber die Ermittler zuweilen an ihre (technischen) Grenzen.
Auch wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz gibt es immer mehr Verurteilungen. Von 62 (Jahr 2014), 71 (2015), 74 (2016) bis zu 119 im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 2018 wurden bereits 62 Schuldsprüche verkündet.