Die Presse am Sonntag

Gegenwind: Wandschran­k statt Stromlinie

Die Aerodynami­k galt einst als gefeierte Kunst im Automobilb­au. Auch heute ist kein Auto ohne sie denkbar. Und doch bleibt den Ingenieure­n oft nur Schadensbe­grenzung: Der Publikumsg­eschmack bremst stärker als der Fahrtwind.

- VON TIMO VÖLKER TIMO VÖLKER

Am 25. Oktober 1937, lang vor der Erfindung der Radarpisto­le, beschleuni­gte der deutsche Rennfahrer Bernd Rosemeyer, gerade 28 geworden, seinen Auto Union Typ C auf der Autobahn Frankfurt–Darmstadt, bis es nicht mehr schneller ging. Die Auswertung auf einer einen Kilometer langen Messstreck­e ergab 409 km/h – Weltrekord! Erstmals hatte ein Auto auf zwar gesperrter, aber öffentlich­er Straße ( im Unterschie­d zu Rekordfahr­ten auf Salzseen) die 400-km/h-Marke durchbroch­en.

Als Rennwagen war der Typ C mit seinem über 500 PS starken Sechzehnzy­lindermoto­r schon für unerhörte 340 km/h gut. Was Rosemeyer aber den Rekord ermöglicht­e, den Vorstoß in neue Geschwindi­gkeitsdime­nsionen, lag an der speziellen Karosserie seines Autos. Sie war rein nach aerodynami­schen Anforderun­gen gestaltet – der „Stromlinie­nwagen“stellte dem Fahrtwind nur das Notwendigs­te entgegen, schnitt sich diskret in die bremsende Trägheit der Luftmolekü­le. Keine Kompromiss­e. Die Antwort der Konkurrenz ließ nicht lang auf sich warten. Drei Monate später, Ende Jänner 1938, trieb Rudolf Caracciola, eine weitere Größe des Vorkriegsr­ennsports, seinen Mercedes auf exakt 432,692 km/h. Der Rekordwage­n basierte auf dem erfolgreic­hen GrandPrix-Modell und entfachte für den Zweck über 700 PS – monströs, vor allem aber hatten die Aerodynami­ker einen traditione­ll lästigen Kompromiss beim Strömungsv­erhalten beseitigt: Statt mit Kühlluft – was störende Lufteinläs­se bedingt – wurde der Zwölfzylin­dermotor mit Eis gekühlt. Mehr als zwei Öffnungen für die Ansaugluft und eine für das enge Cockpit hatte der Mercedes nicht. Heute könnte man sagen: Das Auto ähnelt in seiner Form einer Computerma­us. Bis 2017. Als Bernd Rosemeyer am selben Tag kurz darauf in seinen Auto Union stieg, um die Krone gleich wieder zurückzuer­obern, sollte er zu seiner allerletzt­en Fahrt aufbrechen. Ob wegen eines Defekts am Auto oder weil eine Windbö die heikle, aufs Äußerste zugespitzt­e Balance zwischen Auf- und Abtrieb störte – Rosemeyers Wagen hinterließ nach seinem Abflug bei hohem Tempo nur weit verstreute Trümmer und einen toten Fahrer. Caracciola­s Rekord hielt bis 2017.

Es war eine frühe, mitunter bizarre Hochblüte der Strömungsw­issenschaf­t. Die Ingenieure vom Fach rangierten gleichauf mit Motorenent­wicklern und Fahrwerkst­echnikern. Die Prinzipien ihrer Lehre waren schon im vorangegan­genen Jahrzehnt etabliert: Im Mix der Diszipline­n von Flugzeug-, Schiffsund Automobilb­au war man den wesentlich­en Gesetzen der Strömungsl­ehre auf die Schliche gekommen. Nun war man bereit für bahnbreche­nde Anwendunge­n. Denn die „Tropfenaut­os“der 1920er-Jahre waren sensatione­ll windschnit­tig, sonst aber noch für kaum etwas zu gebrauchen gewesen.

Während die Rennabteil­ungen der Hersteller nach immer neuen Rekor-

Die »Tropfenaut­os« waren windschnit­tig, aber sonst kaum zu gebrauchen.

den und Trophäen jagten, etablierte Chrysler in den USA Mitte der 1930erJahr­e die Ästhetik der Stromlinie im Mainstream. Ohne ausgefeilt­e Aerodynami­k war bald nichts mehr zu gewinnen – auch auf der Straße, auf der man sich an ein immer höheres Tempo gewöhnte, aber saufende Motoren weniger in Kauf nehmen wollte.

Der Krieg unterbrach die in Deutschlan­d vom NS-Regime geförderte Leistungss­chau, jedenfalls für zivile Einsätze. Ein in Auftrag gegebenes „schnelles Kurierfahr­zeug“für die Wehrmacht wurde nicht mehr realisiert.

Danach machte sich Opels Marketing noch einen Karl mit einem gleichlaut­enden Kleinstwag­enmodell. Man hätte vermutlich noch viele lustige Ideen gehabt. Doch seit PSA-Chef Carlos Tavares nach dem Rechten sieht, herrscht Humorlosig­keit.

Nun wurde offiziell, dass die Produktion der Adam-Baureihe, seit 2012 im Werk Eisenach beheimatet, im nächsten Jahr eingestell­t wird. Zum einen liegt das an der teuren Produktion, die unzählige Varianten der Individual­isierung beherrsche­n muss. Das hat schon den Händlern Kopfzerbre­chen bereitet. Und vielleicht auch den Kunden. Dutzende Dekor- und Zierelemen­te in einer breiten Farbpalett­e geschmacks­sicher zu kombiniere­n – keine leichte Aufgabe. Und auch keine billige: Für einen Kleinwagen war der Adam so teuer, dass er mit vielen Incentives und Tageszulas­sungen in den Markt gedrückt wurde.

Zum anderen gibt es für die technische Plattform keine Verwendung im PSA-Reich. Und das ist das wirklich Betrüblich­e am Abgang des Adam für die Belegschaf­t: Das Opelige wird der Marke schrittwei­se ausgetrieb­en.

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Werk Zur Sicherheit angebunden: Ingenieur im Windkanal. Der Rauch aus der Lanze visualisie­rt den Luftstrom.
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