Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Digitale Technologien erweitern unsere kognitiven Fähigkeiten. Führen Smartphone und Co. aber auch dazu, dass unsere geistigen Fähigkeiten verkümmern?
Wie nutzen Sie Ihr Smartphone? Oder genauer gefragt: Wie viele Funktionen übernimmt Ihr Smartphone, die bisher anderen Dingen oder sogar Ihrem Kopf vorbehalten waren? Ich für meinen Teil komme auf 14: Neben dem Telefonieren sind das auch Internet, Fotoapparat, Diktiergerät, Wecker, Stadtplan, Taschenrechner, MP3Player, Wörterbücher, Lyriksammlung, Zugfahrplan, Metronom, Stimmgerät und zurzeit das Spiel Quarto. Und das ist bei Weitem nicht alles, was das kleine Ding in meiner Sakkotasche könnte: Ich nutze es z. B. nicht als Kalender, zum Einkaufen und Bezahlen, als Navigationsgerät oder als Fernseher.
Digitale Technologien unterstützen uns – sie sind in gewisser Weise eine Erweiterung unseres Geistes. Das ist an sich nichts Neues: So benutzten wir seit Jahrhunderten etwa Notizbücher, um uns besser an Vergangenes erinnern zu können. Neu ist nun freilich, dass die elektronischen Helfer allgegenwärtig, umfassend und stets verfügbar sind. Das schürt bei vielen Menschen Ängste, dass Maschinen menschliche Fähigkeiten komplett übernehmen könnten: Wer z. B. ständig Zugriff auf große Datenbanken hat, braucht nichts mehr auswendig zu lernen; in der Folge wird das Gedächtnis nicht mehr trainiert – und es wird immer schlechter.
Eine weitverbreitete These lautet: Je mehr wir an die Technik delegieren, umso stärker verkümmert unser Geist. Das klingt zwar plausibel – und es gibt Hinweise darauf, etwa Lkw, die auf schmalen Feldwegen stranden, weil sich die Lenker voll auf das Navi verlassen haben. Aber die These ist derzeit kaum beweisbar. Denn, wie holländische Forscher um Sari Nijssen argumentieren: Es gebe derzeit kein aussagekräftiges Maß dafür, in welchem Ausmaß wir kognitive Fähigkeiten an die Technik auslagern. Die Zeitdauer, die man täglich mit Smartphones und Co. verbringt, sei nur bedingt aussagekräftig, weil dabei nicht berücksichtigt werde, womit man sich z. B. im Internet beschäftigt.
Die Forscher haben nun versucht, eine bessere Maßzahl zu finden: Sie testeten eine Extended Mind Questionnaire (XMQ) mit zwölf Fragen zur Nutzung digitaler Technologien, die die zentralen Faktoren Zugänglichkeit, Unterstützung und Abhängigkeit abbilden (PlosOne, 31. 8.). So konnte u. a. gezeigt werden, dass die meisten Menschen kaum zentrale kognitive Fähigkeiten an die Technik delegieren. Zumindest zurzeit. Mit der neuen Maßzahl soll nun die weitere Entwicklung genau mitverfolgt werden. Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.