Wenn der Müll zum Trend wird
Joggen und dabei weggeworfenen Mist aufsammeln – der schwedische Modesport Plogging will mit Umweltsünden aufräumen. Viel sauberer wird es dadurch vermutlich aber nicht.
Diesmal waren es „nur“ein paar zerknüllte Papiersackerln, eine leere Zigarettenpackung und vier Bierdosen: Ottakringer, Stiegl und zweimal Gösser. Mehr hat Elizabeth Toth auf der Wiese neben der Maria-TheresiaStatue nicht an Müll gefunden. Das liegt wohl daran, dass auf dem Platz zwischen dem Naturhistorischen und Kulturhistorischen Museum gerade Zelte für ein Wissenschaftsfestival aufgebaut werden und davor noch einmal extra gründlich gereinigt wurde.
Normalerweise ist der „Zwidemu“– so wird der Platz zwischen den Museen von Wiener Jugendlichen genannt– voll mit Müll vom Abend davor. Und deshalb einer der Fixpunkte von Toths wöchentlicher Runde, wenn sie sich mit Handschuhen und Sackerl bewaffnet zum „Plogging“aufmacht. Es ist der neueste Modesport – der dieses Mal aus Schweden kommt.
Der Begriff setzt sich aus dem englischen „jogging“und dem schwedischen „plocka“– für pflücken oder aufheben – zusammen. Es war der Einfall von Umweltaktivist Erik Ahlström, simples Müllaufsammeln als „WunderWorkout“zu verpacken. Das Laufen und Bücken soll ja nicht nur der Umwelt, sondern auch dem eigenen Körper etwas bringen.
Ploggen reiht sich ein in eine lange Liste an in den vergangenen Jahren aufgekommenen Trends, die alle eines gemeinsam hatten – umweltbewusst zu leben: Gratissackerln, Plastikstrohhalme und Einwegbecher sind verpönt, Eco-Fashion gibt es mittlerweile bei allen großen Modeketten, und Gemüse bezieht man ohnehin schon länger am besten nur noch aus dem eigenen Hochbeet aus alten Paletten. Auch wenn es sich nicht an den Umfragewerten für die Grünen ablesen lässt: Umweltbewusstes Leben ist vielen ein Anliegen.
„Ich sehe mich eigentlich nicht als Öko“, sagt Toth. Trotzdem versucht sie, Ploggen in Österreich bekannter zu machen. Sie selbst betreibt den Sport schon seit einigen Jahren. Also lang bevor es Plogging gab. Es war im Urlaub in Los Angeles, als sie am Strand joggen ging. „Ich war so erschüttert über den ganzen Müll, der am Strand gelegen ist.“Am Ende ihrer Laufrunde fing Toth an zu sammeln. Seitdem hat die 34-Jährige nicht mehr aufgehört.
Andere haben offenbar ähnlich gedacht wie sie und es ihr gleichgetan. Mittlerweile ist Plogging zum globalen Trend geworden. Zehntausende Plogger präsentieren in den Sozialen Medien ihre Beute, Plogging-Clubs gibt es nicht nur in Schweden, sondern auch in der Türkei, in China oder Australien.
„In Stockholm sind es die Leute gewohnt, lauter Plogger zu sehen“, erzählt Toth. Nicht so in Wien, da sind die Reaktionen auf Toths Hobby durchwachsen. „Am Anfang wurde ich öfters ausgelacht. Einmal warf mir ein Jugendlicher seinen Dreck absichtlich vor die Füße.“
Mittlerweile reagieren die meisten positiv, erzählt Toth. „Die Leute sind sehr interessiert und total neugierig.“Dass es in Österreich wirklich zum neuen Trendsport wird, bezweifelt sie dennoch. Zu ihrem ersten PloggingTreffen auf der Donauinsel kamen 36 Teilnehmer. Es gehe ihr ohnehin weniger um das Plogging, sondern darum, zu zeigen, „dass schon Kleinigkeiten die Umwelt positiv beeinflussen“– und dass „Littering“, also das achtlose Zu-Boden-Werfen des eigenen Mülls, ein großes Problem sei. „Es fällt uns überhaupt nicht auf, weil die MA48 so einen guten Job macht.“
Die 34-Jährige hat ihr Hobby inzwischen zum Beruf gemacht. Anfang des Jahres kündigte sie ihren Job und gründete die NGO Green Heroes – in die sie all ihre Ersparnisse gesteckt hat. Die Idee dahinter: Aktivitäten zu schaffen, die Spaß machen, Umweltbewusstsein schaffen und Menschen aktivieren. Etwa Plogging-Events, Workshops in Schulen oder „Clean Yoga“. Das sind Yogatreffs, die mit zehn Minuten Müll aufsammeln enden. Ihr ganz großes Projekt ist der World Cleanup Day, eine weltweite Aufräumaktion, die die Green Heroes auch in Österreich etablieren wollen. Mit den Kindern beginnen. Menschen erst im Erwachsenenalter zu mehr Umweltbewusstsein zu erziehen, sei oft sehr schwierig, sagt die Umweltpsychologin Kathrin Röderer. Besser sei es, schon früher anzufangen. „Kinder und Jugendliche, die muss man hinaus in die Natur bringen.“Denn die Verbundenheit mit der Natur sei das, was sich später in einem umweltschützenden Verhalten niederschlage. Dass Trends wie Ploggen ein Zeichen von einem wieder steigenden Umweltbewusstsein sei, bezweifelt die Psychologin. „Früher war der Umweltschutz tagesaktuell: Das Waldsterben, der sauere Regen, das war täglich in den Medien.“
»Einmal warf mir ein Jugendlicher seinen Dreck absichtlich vor die Füße.« »Viele, die Stoffsackerln tragen, machen es nicht, weil sie Plastik vermeiden wollen.«
Mittlerweile habe sich die Aufmerksamkeit verschoben, in Richtung Konsumkritik oder einer „Antiwegwerfgesellschaft“. Das gehe mit vielen scheinbaren Umwelttrends einher – wie die Verweigerung von Plastik im Supermarkt oder das „Upcycling“von alten Gegenständen. „Viele, die Stoffsackerln tragen, machen es, weil es alle anderen tun, und nicht, weil sie Plastik vermeiden wollen“, gibt Röderer ein Beispiel. Vielleicht werde auch Ploggen nur eine Modeerscheinung bleiben, sagt auch Toth. Dass Menschen bewusster leben und sich mehr Gedanken über die Umwelt machen, daran glaubt sie aber. „Es ist wie bei den Freilandeiern.“Die, meint Toth, seien auch einmal bloß ein Trend gewesen. „Und heute würde keiner mehr Käfigeier kaufen.“