»Bild dir nichts ein!«
Die Vikarin JuliA SChnizlein über Worte, die sie frei machten.
Ich war 21 Jahre, hatte gerade ein sechsmonatiges Praktikum beim deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau absolviert, war mit ihm und der deutschen Luftwaffe quer durchs Land geflogen – und war stolz wie Oskar. Vermutlich kam ich mir selbst vor wie eine Bundespräsidentin, als mich mein Vater unsanft erdete. Und zwar mit einem seiner Lieblingssprüche: „Bild dir nichts ein!“, sagte er. „Du machst, was du tust. Und ich hoffe, du machst es gut. Aber du bist deswegen nicht besser oder schlechter, nicht wichtiger oder unwichtiger als jede andere, die ihren Job macht.“Seine Worte haben sich mir eingebrannt. Vermutlich, weil sie mich in meinem jugendlichen Stolz verletzten. Erst im Nachhinein habe ich sie schätzen gelernt.
„Bild dir nichts ein!“ist für mich zu einem Lebensmotto geworden. Dieser Satz richtet sich nicht gegen ein gesundes Selbstbewusstsein, wohl aber gegen billige Selbstgerechtigkeit. „Bild dir nichts ein!“symbolisiert für mich eine gewisse Demut dem Leben, den anderen und auch Gott gegenüber. Ich weiß, dass nicht alles, was mir gelingt, mein Verdienst ist. Ich weiß aber auch, dass nicht alles, was schiefläuft, meine Schuld ist. Es geht nicht nur um mich. Vielmehr bin ich eingebettet in ein Großes und Ganzes. Das macht mich dankbar. Und es macht mich gelassener für alles, was kommt.
„Bild dir nichts ein!“heißt für mich aber auch: Mach dir keine Trugbilder! Schau genau hin! Lebe reflektiert! Verharre weder in Fantasiewelten noch in festgefahrenen Rollenmustern! Ziehe Authentizität dem schönen Schein vor! Denn was Erfolg ist, was eine glückliche Ehe oder ein gutes Leben ist, das bestimmen nicht die anderen.
Dieser „offene“Zugang zum Leben, zu Erfolg und Status hat mich in der Vergangenheit sehr frei gemacht. Er hat es mir ermöglicht, mich immer wieder neu aufzustellen, Altes hinter mir zu lassen und Neuanfänge zu wagen. Zum Beispiel, als ich mit Ende 30 meine Fixanstellung als Journalistin an den Nagel hängte, um Pfarrerin zu werden. Die Worte „Bild dir nichts ein!“sind für mich heute durch und durch positiv besetzt. Und so wurde aus einem väterlichen Dämpfer mein persönliches Mantra. ( Julia Schnizlein ist Vikarin in der Wiener Lutherkirche.)