Der Peter Pan des Pop spielt wieder
Paul McCartney legt mit »Egypt Station« sein 25. Album nach dem Ende der Beatles vor. Es ist rundum geglückt. So verspielt, so gelöst hat McCartney ewig nicht mehr geklungen. Zu verdanken ist das kurioserweise einer TV-Doku.
Er ist einer der erfolgreichsten Songwriter aller Zeiten, aber mit einzelnen Liedern glückt es ihm schon lange nicht mehr, in die Top Ten der Hitparaden zu gelangen. Zuletzt passierte es 1987 mit der von einem Saxofon umschmeichelten Ballade „Once Upon A Long Ago“. In die US-Top-Ten kam er mit dem Soundtrack-Titel „Spies Like Us“zuletzt gar 1986. Das nagt sogar an einem nicht für übertriebenen Ehrgeiz bekannten Musiker wie Paul McCartney.
Statistisch dominiert die Jugend die Single-Charts, die reiferen Musiker haben aber gute Chancen in den Albumwertungen. Bob Dylan hatte mehr Nummer-eins-Alben in den Nullerjah- ren als in seiner kreativen Hochzeit. Und Neil Diamond hievte überhaupt erst 2008 ein Album auf die Topposition. McCartney konnte sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten im Albumsegment über solide Positionen zwischen Platz drei und fünf freuen. Zuletzt lancierte er durchaus gelungene Konzeptalben wie „Chaos And Creation In The Backyard“und „Memory Almost Full“. Auch die Jazzwundertüte „Kisses On The Bottom“wusste zu bezirzen. Hätte er die richtigen Lieder als Singles ausgekoppelt, wären Hits möglich gewesen.
Umso kalkulierter sucht sich Paul McCartney die Musiker aus, mit denen er arbeitet. Er, der immerjunge Ex-Bea- tle, der Peter Pan des Pop, versucht auch mit 76 Jahren, hip zu klingen. Mit Kanye West und Rihanna reüssierte er 2015 mit dem von ihm mitkomponierten Song „FourFiveSeconds“. Mit AmyWinehouse-Produzent Mark Ronson nahm er 2013 das krachige „New“-Album auf. Fürs aktuelle Opus „Egypt Station“hat er sich mit Greg Kurstin, einem gelernten Jazzpianisten und Gründer der Band The Bird And The Bee, zusammengetan. Kurstin ist KoAutor von Adeles Welthit „Hello“. Eine akzeptable Wahl. Ein Lied namens „Fuh You“hat McCartney allerdings mit Ryan Tedder, dem Sänger der Teenieband One Republic, komponiert und aufgenommen. Viele treue Fans in Großbritannien schäumen darob.
Auch McCartney selbst hatte während der Aufnahme einen Moment der Unsicherheit – wegen des ursprünglichen, allzu banalen Textes. „Ich habe eine Karriere mit Songs gemacht, die Bedeutung haben, und das hier bedeutet nichts. Ich habe ,Eleanor Rigby‘ geschrieben, und jetzt soll ich ,I love you Baby, yes I do‘ singen?“, blaffte er Tedder an, ehe er neue Songlyrics verfasste. Stattdessen heißt es jetzt erwachsener: „I could stay up half the night trying to crack your code, I could stay up half the night, but I rather hit the road.“ Eh nicht so schlecht! Gegen neue Sounds und Ideen McCartneys zu opponieren, das ist ein Langzeitritual vieler Fans. Meist geben sie dann einige Jahre später zu, dass dieses oder jenes eh nicht so schlecht war. So könnte es vielen auch mit dem neuen Werk „Egypt Station“gehen. Es tönt verspielter, vielfältiger und abenteuerlicher als alles, was McCartney in den Nullerjahren herausgebracht hat. Zu verdanken ist dies kurioserweise einer TV-Dokumentation namens „Sgt. Pepper’s Musical Revolution“von Howard Goodall, die sich McCartney beim Prokrastinieren im ersten Arbeitsstadium von „Egypt Station“reinzog. In recht geschwollener Musikologendiktion analysierte Goodall die künstlerischen Errungenschaften jener Phase der Beatles. „Das hab ich gemacht?“wunderte sich McCartney nach Goodalls Analyse von „Penny Lane“.
Statt zu arbeiten, schaute McCartney eine Beatles-Doku: »Das habe ich gemacht?«
Also erinnerte er sich seiner kindlichen Experimentierfreude, seines intuitiven Zugangs zur Musik. Spontanität war das Zauberwort im Studio. Im unwiderstehlich melodiösen „Dominoes“umarmt er die Welt, in „Happy With You“Gattin Nancy – dafür, dass sie ihn ausgeglichener gemacht hat. „I sat round all day, I liked to get stoned, I used to get wasted, but these days I don’t, ’cos I’m happy with you.“Auf etlichen Songs hört man Instrumente, die McCartney schon für die Beatles drückte. Ein Cembalo, ein Harmonium, ein E-Piano, die er allesamt den Abbey-Road-Studios abgekauft hat.
Ein Ohrwurm der hintergründigen Art ist auch „Despite Repeated Warnings“, das den Klimawandelignorierer Donald Trump geißelt, ohne ihn namentlich zu nennen. „Egypt Station“charmiert mit beseeltem Gesang und starken Melodien, die zuweilen erst nach mehrmaligem Hördurchgang erblühen. Harsche Riffs und hippieske Soundornamente halten einander die Waage. Anders als die meisten Stars trägt Paul McCartney selten Sonnenbrille. „Ich habe wohl welche, aber mein Schutzschild gegen die Welt sind Humor und Gutmütigkeit.“Beides tritt in diesem Werk anrührend zutage.