Kulturgut als heiße Ware
Anita Gach, Kunstfahnderin im Bundeskriminalamt, jagt nach gestohlener Kunst, ermittelt in Fälschungsfällen und braucht dafür vor allem viel Geduld.
Gemälde, sakrale Skulpturen, Kerzenleuchter, Schmuck oder Musikinstrumente: Die Liste der in Österreich gestohlenen Antiquitäten, Kunst- und Sakralgegenstände liest sich wie ein Kunstkatalog. Selbst bei zeremoniellen Wertsachen aus Kirchen werden Langfinger häufig schwach. 2017 wurden in Österreich 172 Fälle von Kulturgutdiebstahl angezeigt, geht aus dem Lagebericht zur Kulturgutkriminalität 2017 des Bundeskriminalamts hervor. Der Gesamtschaden wird mit 770.000 Euro beziffert. Die Schadenssumme sieht auf den ersten Blick relativ niedrig aus, bedenkt man, dass in Auktionen und auf Messen auch in Österreich oft einzelne Kunstwerke siebenstellige Preise erzielen. „Diese Summe beruht auf den Schätzungen der Personen, die im Diebstahlsfall Anzeige erstatten, und hat nichts mit einer echten Schätzung durch einen Experten zu tun“, sagt Anita Gach, Leiterin des Kulturgutreferats im Bundeskriminalamt.
Aussagekräftiger ist die Gesamtzahl der Fälle von Kulturgutdiebstahl, und die ist laut Gach in den vergangenen Jahren konstant geblieben. Der Großteil der Diebstähle passiere im Rahmen von normalen Einbrüchen. Den Diebstahl von spezifisch ausgesuchten Werken, der, wie in Filmen gerne dargestellt, von fanatischen Kunstliebhabern in Auftrag gegeben wird, gibt es so gut wie gar nicht. Am beliebtesten sind Diebstähle von Wertsachen wie Schmuck, Uhren oder Kunsthandwerk aus Gold und Silber. Im Vorjahr waren laut Gach vermehrt Kirchen betroffen. Die Diebe hatten es auf Kelche, Monstranzen und Ziborien abgesehen. Wenn es um Kunst geht, seien Bilder ein beliebtes Diebesgut, weil sich Gemälde gut verkaufen ließen. „Das Problem ist, dass es kein Gesetz gibt, das vorschreibt, dass ich beweisen muss, woher das Werk kommt, das ich verkaufen möchte. In vielen Fällen wird behauptet, es sei ein Erbstück“, erzählt Gach.
Im Vorjahr lag die Aufklärungsquote laut Lagebericht bei 22 Prozent. Das sei sehr gut. Interpol, mit der auch das Bundeskriminalamt eng kooperiert, gehe im Schnitt von nur zehn Prozent aus. „Das Problem bei der Aufklärung ist, dass gestohlene Kunstwerke schnell den Besitzer wechseln, oder manchmal auch verändert werden. Deshalb dauert die Aufklärung oft Jahre“, sagt Gach. Im Vorjahr wurden beispielsweise in Italien zwölf Gemälde aus dem 15. Jahrhundert sichergestellt, die in den 1980er-Jahren aus Kirchen in Bad St. Leonhard in Kärnten und in Hallstatt in Oberösterreich gestohlen worden waren.
Verkauft werde Diebesgut gerne in Onlineauktionen. „In Auktionen kann gestohlenes, gefälschtes oder illegal ausgeführtes Kulturgut beinahe anonym weltweit angeboten werden“, sagt Gach. Auch im Kunsthandel oder auf Auktionen werde versucht, die Ware loszuwerden. Da bieten sich dann oftmals die Chancen für die Ermittler, weil die Objekte oder Fälschungen erkannt werden, und die Polizei einen Tipp bekommt. „Wenn ein gestohlenes Werk auftaucht, können durch die Quelle oft mehrere andere gestohlene Objekte auch gefunden werden“, erklärt die Kulturgutfahnderin. Detailliert dokumentieren. Entscheidend für die Aufklärung eines Diebstahls ist die detaillierte Beschreibung eines Kunstobjekts. „Es ist sinnvoll, Kunstgegenstände und Schmuck detailliert und mit Fotos zu dokumentieren. Dazu zählen das Material, die Größe, natürlich der Künstler, Signaturen und besondere individuelle Details, die das Werk eindeutig identifizierbar machen“, rät Gach. Eine Checkliste zur richtigen Beschreibung findet man übrigens auf der Website des Bundeskriminalamts im Bereich Prävention. Auf der Website werden auf der Fahndungsseite auch die gestohlenen Kulturgüter veröffentlicht und laufend aktualisiert. Zusätzlich arbeitet das Bundeskriminalamt mit Interpol zusammen, und auch dort werden die Fahndungen in der Datenbank gespeichert. „Gegen eine einmalige Anmeldung ist diese Datenbank seit 2009 für jeden zugänglich und die aktuellsten Fälle sind direkt auf der Website auch ohne Anmeldung abrufbar“, sagt Gach. Die Datenbank von Interpol sei die umfangreichste Sammlung gestohlener Kulturgüter und sei eine gute Informationsquelle für Händler und Auktionshäuser.
Neben Diebstählen hat es die Kulturgutfahndung mit Fälschungen zu tun. „Das Problem ist, viele Geschädigte wissen es nicht, oder zeigen es nicht an. Oft kommt die Fälschung erst durch die Erben, die Werke verkaufen wollen, ans Tageslicht“, sagt Gach. Auch Tipps von Künstlern helfen bei der Aufklärung. „Künstler melden sich bei uns, wenn sie ein Werk im Handel, Internet oder bei Auktionen sehen, das sie nie gemacht haben“, sagt Gach. Gefälscht werde vor allem zeitgenössische Kunst und Kunst des 20. Jahrhunderts. Im Vorjahr flogen etwa Fälschungen von Hans Staudacher auf.
Zu den spektakulärsten Fälschungsfällen gehört eine österreichisch-slowenische Tätergruppe, die 2016 Gemälde internationaler Künstler, wie Picasso, Munch, Klee, Klimt und Nolde zum Kauf angeboten hat. Als ein Verkaufskatalog mit Gemälden von Picasso samt Preisliste in Höhe von 72 Millionen Euro in Österreich angeboten wurde, sei ein gerichtlich bewilligtes Scheingeschäft vereinbart worden. Die Täter konnten festgenommen werden. „Bei nachfolgenden Hausdurchsuchungen sind weitere Werke sichergestellt worden. Die Fälschungen waren minutiös durchgeführt, enthielten Signaturen und auf den Rückseiten Stempel von zum Teil bekannten Galerien, oder im Fall Picassos Echtheitsbestätigungen von Picassos Sohn Claude Ruiz-Picasso“, schildert Gach.
2017 wurden in Österreich 172 Fälle von Kulturgutdiebstahl angezeigt. Wer Kunstgegenstände besitzt, sollte sie fotografieren und detailliert dokumentieren.
Immer mehr zum Problem werde laut Gach in den letzten Jahren das Thema Handel mit antikem Kulturgut aus Raubgrabungen und Plünderungen. „Bei illegalen Ausgrabungen ist eine Ermittlung besonders schwierig, weil die Stücke ja nirgends dokumentiert sind“, sagt Gach. Nicht zuletzt diene der Verkauf der antiken Kulturgüter auch der Terrorismusfinanzierung. Mehr Klarheit erhofft sich Gach von der umfangreichen Studie Illicid, die in Deutschland gemacht wird, die erstmals Daten zu gehandelten Objekten, Größenordnungen, Akteuren, Netzwerken, Handlungsroutinen und Gewinn- und Geldwäschepotenzialen ans Licht bringen soll.