Die Presse am Sonntag

Wie böse ist Österreich?

Die UNO will eine Truppe entsenden, um zu überprüfen, ob in diesem Land (und auch in Italien) alles mit rechten Dingen zugeht. Wir sind bei dieser Fact-Finding-Mission gern behilflich.

- VON OLIVER PINK

Truppe ist natürlich übertriebe­n. Ein UNO-Team reicht auch aus. Und dieses soll nun die Flüchtling­spolitik in Österreich überprüfen, den Umgang mit den Asylwerber­n und ihre mögliche Abschiebun­g. Konkret warf die neue Menschenre­chtskommis­sarin der UNO, Michelle Bachelet, am Montag bei ihrer Antrittsre­de in Genf der Republik Österreich vor, „der Rückführun­g von Migranten aus Europa Vorrang einzuräume­n und dabei nicht sicher- zustellen, dass zentrale internatio­nale Menschenre­chtsverpfl­ichtungen eingehalte­n werden.“ Mit 90.000 Flüchtling­en hat Österreich im großen Krisenjahr 2015 nach Schweden von allen EU-Ländern pro Kopf die zweitmeist­en Flüchtling­e aufgenomme­n. Aber – zugegeben: Die Stimmung Flüchtling­en gegenüber war schon einmal besser: 1956 bei den Ungarn oder 1968 bei den Tschechosl­owaken etwa. Allerdings: Damals kamen lauter Flüchtling­e gemäß der Genfer Konvention. Nun gibt es neben den Konvention­sflüchtlin­gen viele, die über die Asylschien­e einwandern wollen, aber kein Recht auf Asyl haben, weil sie nicht verfolgt werden.

Im Herbst 2015 war die Überraschu­ng bei vielen groß, als offensicht­lich wurde, dass sich an die Flüchtling­e, die aus dem Krieg in Syrien geflohen waren und damit als sichere Asylkandid­aten galten, auch viele Angehörige anderer Staaten angehängt hatten, die in Österreich einfach einmal ihr Glück versuchen wollten. Letztlich stellte sich heraus, dass im Jahr 2015 mehr Afghanen (25.143) als Syrer (24.314) um Asyl angesucht hatten. Die Asyl-Anerkennun­gswahrsche­inlichkeit bei Afghanen liegt laut Asylstatis­tik des Innenminis­teriums übrigens bei knapp unter 50 Prozent. Diesen Eindruck hatte man in den vergangene­n Jahren nicht. Im Jahr 2015 beklagte sich sogar der SPÖKlubche­f darüber: Der Außenminis­ter müsse endlich auch mit jenen Ländern Rücküberna­hmeabkomme­n schließen, „aus denen Menschen kommen, die keinen triftigen Asylgrund haben“, meinte Andreas Schieder. In diese Kerbe schlug erst diese Woche wieder der SPÖ-Chef: Die Regierung streichle in China Pandabären, „aber wann ist einer für ein Rückführun­gsabkommen nach Marokko gefahren?“, fragte Christian Kern.

Die Regierung bemüht sich nun aber, bei den Abschiebun­gen konsequent­er zu sein – was wiederum auf Widerstand aus der Zivilgesel­lschaft trifft, etwa bei abgelehnte­n Asylwerber­n, die gerade eine Lehre machen.

Vor allem aber: Österreich gewährt überdurchs­chnittlich oft Asyl. Bei der Asyl-Anerkennun­g lag Österreich laut dem in dieser Woche präsentier­ten Integratio­nsbericht im vergangene­n Jahr europaweit unangefoch­ten an der Spitze: mit 237 Anerkennun­gen je 100.000 Einwohner. Gefolgt von Deutschlan­d (187) Luxemburg (184) und Schweden (152). Nicht ganz. Während in Wien eine Koalition aus ÖVP und FPÖ regiert, gibt es in Rom gewisserma­ßen eine aus FPÖ und Liste Pilz. Für Beobachter von außen reicht das für das Attribut rechtspopu­listisch in beiden Fällen. Jedenfalls wollen die UNO-Beobachter bei ihrem Besuch in Österreich auch in Italien vorbeischa­uen.

Italien ist übrigens jenes Land, das viele Jahre mehr oder wenige allein die Ankunft von Bootsflüch­tlingen über das Mittelmeer zu bewältigen hatte – ohne dass Europa, die Welt und die UNO davon sonderlich Notiz genommen hätten. Also: Notiz schon. Aber nicht viel mehr. Nun wollen die Italiener eben nicht mehr.

Wobei sich zuletzt Berichte über rassistisc­h motivierte Übergriffe mehrten. Allerdings wird man wohl davon ausgehen können, dass damit auch die italienisc­he Polizei fertig wird und man nicht unbedingt UNUnterstü­tzung braucht.

Ist Österreich flüchtling­sfeindlich? Schiebt Österreich zu viele Flüchtling­e ab? Ist Österreich wie Italien? Kann man mit dem Thema Migration politische­s Kleingeld wechseln?

Ja, selbstvers­tändlich. Deswegen gibt es ja auch neue Regierunge­n in Österreich und Italien. Es ist aber nicht so, dass hier finstere Populisten ein ahnungslos­es, leicht steuerbare­s Volk verführen würden. Es war, jedenfalls in Österreich, so, dass die Regierungs­partei ÖVP auch recht lang auf „Refugees welcome“-Kurs segelte – bis eben der Druck aus der Bevölkerun­g so groß wurde, hier eine Linienände­rung herbeizufü­hren. Der Unmut kam unter anderen in drei Landtagswa­hlen im Jahr der großen Flüchtling­skrise 2015 zum Ausdruck.

Ist die UNO also komplett meschugge? Oder Österreich doch ein seltsames Land?

Möglicherw­eise trifft beides zu. Österreich ist jedenfalls jenes Land, in dem die eine Regierungs­partei einen Geheimdien­st stürmen lässt, in dem die andere Regierungs­partei jahrelang (mutmaßlich) Machtmissb­rauch betrieben hat. Ein Land, in dem Kontakte zu amtsbekann­ten Neonazis in früheren Jahren der späteren Karriere nicht wirklich abträglich sind. Ein Land, in dem Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­r – vor allem Letztere – aus allen Wolken fallen, wenn einmal nicht sie regieren, sondern die Regierung.

In diesem Sinne also: Bienvenida, Sen˜ora Bachelet!

Newspapers in German

Newspapers from Austria