Wie böse ist Österreich?
Die UNO will eine Truppe entsenden, um zu überprüfen, ob in diesem Land (und auch in Italien) alles mit rechten Dingen zugeht. Wir sind bei dieser Fact-Finding-Mission gern behilflich.
Truppe ist natürlich übertrieben. Ein UNO-Team reicht auch aus. Und dieses soll nun die Flüchtlingspolitik in Österreich überprüfen, den Umgang mit den Asylwerbern und ihre mögliche Abschiebung. Konkret warf die neue Menschenrechtskommissarin der UNO, Michelle Bachelet, am Montag bei ihrer Antrittsrede in Genf der Republik Österreich vor, „der Rückführung von Migranten aus Europa Vorrang einzuräumen und dabei nicht sicher- zustellen, dass zentrale internationale Menschenrechtsverpflichtungen eingehalten werden.“ Mit 90.000 Flüchtlingen hat Österreich im großen Krisenjahr 2015 nach Schweden von allen EU-Ländern pro Kopf die zweitmeisten Flüchtlinge aufgenommen. Aber – zugegeben: Die Stimmung Flüchtlingen gegenüber war schon einmal besser: 1956 bei den Ungarn oder 1968 bei den Tschechoslowaken etwa. Allerdings: Damals kamen lauter Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention. Nun gibt es neben den Konventionsflüchtlingen viele, die über die Asylschiene einwandern wollen, aber kein Recht auf Asyl haben, weil sie nicht verfolgt werden.
Im Herbst 2015 war die Überraschung bei vielen groß, als offensichtlich wurde, dass sich an die Flüchtlinge, die aus dem Krieg in Syrien geflohen waren und damit als sichere Asylkandidaten galten, auch viele Angehörige anderer Staaten angehängt hatten, die in Österreich einfach einmal ihr Glück versuchen wollten. Letztlich stellte sich heraus, dass im Jahr 2015 mehr Afghanen (25.143) als Syrer (24.314) um Asyl angesucht hatten. Die Asyl-Anerkennungswahrscheinlichkeit bei Afghanen liegt laut Asylstatistik des Innenministeriums übrigens bei knapp unter 50 Prozent. Diesen Eindruck hatte man in den vergangenen Jahren nicht. Im Jahr 2015 beklagte sich sogar der SPÖKlubchef darüber: Der Außenminister müsse endlich auch mit jenen Ländern Rückübernahmeabkommen schließen, „aus denen Menschen kommen, die keinen triftigen Asylgrund haben“, meinte Andreas Schieder. In diese Kerbe schlug erst diese Woche wieder der SPÖ-Chef: Die Regierung streichle in China Pandabären, „aber wann ist einer für ein Rückführungsabkommen nach Marokko gefahren?“, fragte Christian Kern.
Die Regierung bemüht sich nun aber, bei den Abschiebungen konsequenter zu sein – was wiederum auf Widerstand aus der Zivilgesellschaft trifft, etwa bei abgelehnten Asylwerbern, die gerade eine Lehre machen.
Vor allem aber: Österreich gewährt überdurchschnittlich oft Asyl. Bei der Asyl-Anerkennung lag Österreich laut dem in dieser Woche präsentierten Integrationsbericht im vergangenen Jahr europaweit unangefochten an der Spitze: mit 237 Anerkennungen je 100.000 Einwohner. Gefolgt von Deutschland (187) Luxemburg (184) und Schweden (152). Nicht ganz. Während in Wien eine Koalition aus ÖVP und FPÖ regiert, gibt es in Rom gewissermaßen eine aus FPÖ und Liste Pilz. Für Beobachter von außen reicht das für das Attribut rechtspopulistisch in beiden Fällen. Jedenfalls wollen die UNO-Beobachter bei ihrem Besuch in Österreich auch in Italien vorbeischauen.
Italien ist übrigens jenes Land, das viele Jahre mehr oder wenige allein die Ankunft von Bootsflüchtlingen über das Mittelmeer zu bewältigen hatte – ohne dass Europa, die Welt und die UNO davon sonderlich Notiz genommen hätten. Also: Notiz schon. Aber nicht viel mehr. Nun wollen die Italiener eben nicht mehr.
Wobei sich zuletzt Berichte über rassistisch motivierte Übergriffe mehrten. Allerdings wird man wohl davon ausgehen können, dass damit auch die italienische Polizei fertig wird und man nicht unbedingt UNUnterstützung braucht.
Ist Österreich flüchtlingsfeindlich? Schiebt Österreich zu viele Flüchtlinge ab? Ist Österreich wie Italien? Kann man mit dem Thema Migration politisches Kleingeld wechseln?
Ja, selbstverständlich. Deswegen gibt es ja auch neue Regierungen in Österreich und Italien. Es ist aber nicht so, dass hier finstere Populisten ein ahnungsloses, leicht steuerbares Volk verführen würden. Es war, jedenfalls in Österreich, so, dass die Regierungspartei ÖVP auch recht lang auf „Refugees welcome“-Kurs segelte – bis eben der Druck aus der Bevölkerung so groß wurde, hier eine Linienänderung herbeizuführen. Der Unmut kam unter anderen in drei Landtagswahlen im Jahr der großen Flüchtlingskrise 2015 zum Ausdruck.
Ist die UNO also komplett meschugge? Oder Österreich doch ein seltsames Land?
Möglicherweise trifft beides zu. Österreich ist jedenfalls jenes Land, in dem die eine Regierungspartei einen Geheimdienst stürmen lässt, in dem die andere Regierungspartei jahrelang (mutmaßlich) Machtmissbrauch betrieben hat. Ein Land, in dem Kontakte zu amtsbekannten Neonazis in früheren Jahren der späteren Karriere nicht wirklich abträglich sind. Ein Land, in dem Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter – vor allem Letztere – aus allen Wolken fallen, wenn einmal nicht sie regieren, sondern die Regierung.
In diesem Sinne also: Bienvenida, Sen˜ora Bachelet!