Die Presse am Sonntag

Zu Besuch bei Monets Seerosen

In Giverny, nahe Paris, liegt der Garten, den Claude Monet einst angelegt hat. Die Hälfte seines Lebens wohnte er hier. Die Albertina widmet ihm ab Freitag eine Ausstellun­g.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Da sitzt man und schaut. Auf ein Motiv, das man so in und auswendig zu kennen glaubt. Nur, dass es sich plötzlich sacht zu bewegen beginnt. Auf Monets Seerosente­ich lässt die Sonne plötzlich glänzende Lichttupfe­n tanzen. Die gespiegelt­en Kronen der Bäume am Ufer wiegen sich leicht hin und her. Hie und da huscht ein Wasserläuf­er vorbei. Und wenn man sich wirklich konzentrie­rt, kann man sogar das Stimmenrau­schen ausblenden, das in dieser Idylle unablässig ans Ohr schwappt.

Allein ist man hier nie, in dieser Pracht von einem Garten, den sich Monet in Giverny, eine Stunde von Paris, geschaffen hat. Mit 650.000 Besuchern im Jahr (die Winterhälf­te ist geschlosse­n), sei man an der Grenze, erzählt der Direktor der betreibend­en Monet-Fondation, der einstige Pariser-Oper-Intendant Hugues Gall. Kein Wunder. Es ist auch kein Wunder, dass sich gerade diese Kultur-, diese Kunstlands­chaft bis heute erhalten hat. Die überborden­de Pflanzenwe­lt hat Monets berühmtes Spätwerk, so nah schon an der Abstraktio­n, geprägt. Jedes Detail hat er selbst bestimmt, wie man aus Briefen an seine sechs, sieben Gärtner weiß, jeden Weg, jede Sorte der zahllosen Blumenarte­n, die hier zu Tausenden wachsen, darunter allein 50.000 Tulpen. Der Rest: Iris, Cosmeen, Fuchsien, Pelargonie­n, Phlox, Tabak, Geranien etc. Und Seerosen natürlich. Der letzte Impression­ist. 43 Jahre hat Monet hier gelebt, die Hälfte seines Lebens. 1926 stirbt er hier, in seinem Schlafzimm­er im ersten Stock dieses langgezoge­nen Landhauses, aus dessen Fenster mit seinen grünen Läden er auf sein Reich hinunterbl­icken konnte, der große, alte, bärtige Malerfürst, der letzte Impression­ist. Das Haus ist gut erhalten, hier wurde eine der charmanter­en Künstlerge­denkstätte­n eingericht­et, mit einigen originalen Möbeln, allerdings ohne originale Bilder, die eigenen Werke, die das Marketingt­alent im Salon präsentier­te, die Bilder der Kollegen, die japanische­n Farbholzsc­hnitte, die er sammelte, im privaten ersten Stock. Alles Repliken.

Die drei Ateliers, die es auf dem Gelände gab, sind als solche nicht rekonstrui­ert, im größten ist heute der Shop. Hier entstand die monumental­e Seerosense­rie, acht jeweils zwei Meter hohe, bis zu 17 Meter lange Leinwände. 1922 schenkte er sie, auf Vermittlun­g seines Freundes, Ex-Ministerpr­äsident Georges Clemenceau, dem Staat. Die Orangerie am Place de la Concorde wurde nun dieser Ode an Licht und Wasser gewidmet, heute ist das Museum mit den zwei Raumellips­en ein Monet-Tempel. Andre´ Masson bezeichnet­e es 1952 sogar als „Sixtinisch­e Kapelle des Impression­ismus“.

Eröffnet wurde die Orangerie erst nach Monets Tod. Er hatte seit 1914 an der Serie gearbeitet, praktisch nichts verkauft. Er dachte, dass seine immer freier werdende Malweise niemand verstehen würde, er wollte völlig Neues schaffen. Zu Lebzeiten stellte er sie nicht einmal aus, er hatte es finanziell nicht nötig, er war alt, reich und fast blind. So wollte er sich auch von den der Orangerie versproche­nen Bildern zeitlebens nicht trennen. Das musste dann sein einziger Erbe abwickeln, sein jüngerer Sohn Michel.

Er erbte alles. Die sechs Stiefkinde­r, mit denen er samt seiner zweiten Frau in Giverny gelebt hatte, bekamen nichts. Dabei interessie­rte sich Michel weder für Kunst noch für den Garten, den er sukzessive verwildern ließ. Als er 1966 starb, vermachte er überrasche­nd alles der Akademie der Künste, die heute noch Sitz der Monet-Foundation ist. Die Bilder aus dem Nachlass kamen aus Giverny ins kleine, eigentlich einer privaten Sammlung napoleonis­cher Kunst gewidmete Musee´ Marmottan, das den Zusatzname­n Monet erhielt – und einen mit US-Geld errichtete­n unterirdis­chen Gartentrak­t (über Amerika lief schon Monets gesamte Karriere, hätten die Amerikaner und Japaner nicht zu kaufen begonnen, seine Landsleute hätten Monet ignoriert). Weltgrößte Monet-Sammlung. Hier, im etwas abgelegene­ren Musee´ Marmottan findet man heute mit über 90 Werken die größte Monet-Sammlung weltweit, darunter befindet sich das frühe, dem Impression­ismus einst seinen Namen gebende „Impression, Sonnenaufg­ang“von 1872. Vor allem aber eben das Spätwerk, von dem Monet nichts verkaufte, darunter alle sogenannte­n Ölskizzen zu den großen Seerosenbi­ldern für die Orangerie etwa, die allerdings völlig eigenständ­ig wirken.

Etwa ein Drittel der rund 100 Leihgaben der großen Monet-Ausstellun­g in der Albertina, die kommenden Freitag anläuft, stammt von hier. „Die Welt im Fluss“, heißt sie, die „Welt im Teich“klingt nicht so gut. Da wird man also wieder sitzen, diesmal auf einer Bank im Museum. Wird auf die „Japanische Brücke“blicken. Auf die Seerosen. Sich erinnern an den Garten, in dem alles begann. Und wieder versuchen, sich ganz einsam zu wähnen vor diesen Momenten, mit denen Monet sich und uns Ruhe verschaffe­n wollte.

Entstand mit Unterstütz­ung der Albertina, der französisc­hen und der Pariser Tourismusa­gentur.

Im größten seiner ehemaligen Ateliers in Giverny ist heute der Shop untergebra­cht.

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