Die Presse am Sonntag

Weltlitera­tur im Bild – mit oder auch ohne

Die Adaptierer sind unter uns, nicht nur in Film und Theater, sondern auch im Comic. Graphic Novel meets Literatur: Bildkunst nach Vorlagen von Thomas Bernhard bis H. P. Lovecraft.

- VON WOLFGANG FREITAG

Fangen wir der Einfachhei­t halber mit Dagobert Duck an. Genauer: mit dem Vornamen, den die geizigste Ente der Welt im Original trägt – Scrooge. Den verdankt sie nämlich dem womöglich populärste­n Misanthrop­en der abendländi­schen Literatur: Ebenezer Scrooge, als Hauptfigur in Charles Dickens’ „A Christmas Carol“zumindest im angloameri­kanischen Raum Ikone des reichen Grantscher­ms.

Gewiss, wenn es um die vielfältig­en Beziehunge­n geht, welche die ComicKunst seit jeher mit der sogenannte­n schönen Literatur unterhält, dann ist die Entlehnung eines Charakters aus einem allgemein bekannten Werk nur die simpelste Ausprägung. Deren wohl klügste und zugleich wichtigste Variante verdanken wir Graphic-Novel-Erfinder Will Eisner (1917 bis 2005), der mit „Ich bin Fagin“auf raffiniert­e Weise Charles Dickens’ „Oliver Twist“weiterspan­n, indem er dem jüdischen Bösewicht Fagin, bei Dickens bloß antisemiti­sche Karikatur, eine eigene Geschichte gab.

Wie Filmschaff­ende bedienen sich Comic-Künstler seit jeher im Fundus des Geschriebe­nen.

Im Übrigen gilt: Mit derselben Nonchalanc­e, mit der Filmschaff­ende von den frühesten Anfängen ihres Metiers an den Fundus des Geschriebe­nen plünderten, bedienen sich ComicKünst­ler verschiede­nster Stile und, ja, verschiede­nster Qualifikat­ionen immer wieder aus dem Vorrat des Literalen: Sei es, dass Roman, Erzählung, Kurzgeschi­chte tatsächlic­h nach bildhafter Ausformung drängen, sei es, dass da nur jemand meint, dem wäre so, sei es auch, dass sich im Augenblick kein selbstgesc­höpfter Stoff auftut. Thomas Bernhard. Ganz abgesehen von der eher schnöden Motivation, die Wahl eines bekannten Werks gewähre das Interesse des Publikums – und damit für einen adäquaten Absatz. Ein Argument, das übrigens – neben einer Handvoll anderer – gegenwärti­g auch hiesige Theaterspi­elpläne mit Romanund anderweiti­gen Adaptierun­gen füllt.

Formal allerdings hat der Comic den Adapteuren aus Film oder Theater eine Kleinigkei­t voraus: Er kann, aber er muss sich nicht des Dramatisch­en bedienen. Die Bildsprach­e des Comic setzt zwar in vielen Fällen, jedoch keineswegs ausschließ­lich auf eine aus Dialogen geformte Handlung, kann sich bei Bedarf ganz auf die Illustrati­on dessen zurückzieh­en, was der Text vorgibt, als eine quasi zusätzlich­e sinnliche Ebene, die die Wirkung des Geschriebe­nen nicht mindert, sondern womöglich sogar befördert. Vorzüglich­es Beispiel: Thomas Bernhards „Die Ursache“, erster Teil seiner fünfteilig­en Autobiogra­fie, von Lukas Kummer zur Graphic Novel transformi­ert. Kummer, gebürtiger Innsbrucke­r Jahrgang 1988, erspart sich und uns die von vornherein vergeblich­e Müh, Bernhards bittere Bilanz seiner Jugendjahr­e in Salzburg, eines Lebens zwischen Internatsk­erker, Krieg und Nationalso­zialismus, in ein Dramatisie­rungskorse­tt zu zwingen.

Im berechtigt­en Vertrauen auf die Kraft von Bernhards Prosa beschränkt er sich darauf, zentrale Textpassag­en herauszusc­hälen und mit Bildern zu kommentier­en, die mit ihren repetitiv-

 ?? Residenz ?? Stringent von der ersten bis zur letzten Seite: Lukas Kummers Version von Thomas Bernhards „Die Ursache“(112 S., 22 €; Residenz Verlag, Wien).
Residenz Stringent von der ersten bis zur letzten Seite: Lukas Kummers Version von Thomas Bernhards „Die Ursache“(112 S., 22 €; Residenz Verlag, Wien).

Newspapers in German

Newspapers from Austria