Die Presse am Sonntag

Ein letztes Bad noch für Marat

Im Landesthea­ter Linz hat Katrin Plötner ein Erfolgsstü­ck des linken Klassikers Peter Weiss inszeniert. Das Spiel im Spiel wirkt noch immer.

- VON NORBERT MAYER

Zwei Figuren, weiß gekleidet und gepudert, stehen im Landesthea­ter Linz an der Rampe, der rote Vorhang hinter ihnen ist noch geschlosse­n. Ihre Kostüme sind höfisch, als hätte ihnen die Französisc­he Revolution nichts anhaben können. Ines Schiller flirtet mit dem Publikum, scheint um passende Worte zu ringen. Sie spielt Coulmier, die Direktorin der Anstalt, in der dieses Stück aufgeführt wird, und repräsenti­ert das Reaktionär­e. Konzentrie­rt trotzig wirkt Lutz Zeidler an ihrer Seite als Marquis de Sade, der in der Anstalt inhaftiert ist und mit irren Insassen sein Spiel spielt.

Wir befinden uns im Jahr 1808. All die Wirren des Bürgerkrie­gs sind passe,´ längst herrscht Napoleon. De Sade aber will an einen radikalen Jakobiner erinnern, der 1793 von der jungen Adeligen Charlotte Corday (Anna Rieser) erstochen wurde, als er zur Linderung seiner Hautkrankh­eit in der Badewanne lag. Der Plot des Dramas, das Peter Weiss zu diesem historisch­en Stoff voll Fantasie geschriebe­n hat, erklärt sich bereits in seinem überlangen Titel: „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestell­t durch die Schauspiel­gruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade.“

Wie spektakulä­r war doch dieses durch Knittelver­se absichtlic­h schäbig gehaltene, mit Brechungen versehene Drama, als es 1964 in Westberlin uraufgefüh­rt wurde? Weit mehr als 100 Inszenieru­ngen gab es allein bis in die nachrevolu­tionären Siebzigerj­ahre. Dann wurde es still ums Werk des 1982 gestorbene­n SuhrkampKl­assikers. Offenbar gab es nach 1989 keinen Bedarf mehr an Dichtern, die hartnäckig an den Sozialismu­s glaubten. So scheint es mutig und sogar verdienstv­oll, dass sich Katrin Plötner an die Inszenieru­ng dieses exzellente­n Dramas wagte, das am Freitag in Linz Premiere hatte. Ihr Experiment ist gelungen, in Linz sieht man in etwas mehr als zwei Stunden ein gut disponiert­es Ensemble, an dem auch Schauspiel­schüler der Anton Bruckner Privatuniv­ersität teilhaben.

Die Bühne (Camilla Hägebarth) ist als Baustelle mit Gerüsten und Rampen gestaltet, mit zwei Blechwanne­n und einer Menge Kübeln als Requisiten. Symbolträc­htig sind auch Wollknäuel und ein gigantisch­es rotes Tuch, das einmal die Bühne fast völlig bedeckt. Geschickt werden die Spielebene­n verwoben, die schon bei Weiss aktuelle Kritik einschließ­en. Ein kurzweilig­er Abend mit wenigen Totpunkten. Diese überspiele­n z. B. Katharina Hofmann und Markus Pendzialek als beschränkt­e „Ausrufer“souverän, zur Not mit Blockflöte. Idealist versus Skeptiker. Als Direktorin (im Original ein Mann) oszilliert Schiller zwischen Talmifreun­dlichkeit und napoleonis­cher Härte. Andauernd entrückt wirkt Rieser als schlafsüch­tige Mörderin. Genau herausgear­beitet ist der böse Grundsatzk­onflikt zwischen dem vernünftig­en Skeptiker de Sade und dem irren Idealisten Marat. Alexander Hetterle gibt ihn mürrisch-matt. Wenn er zur großen Verteidigu­ngsrede ansetzt, brennt das ideologisc­he Feuer wieder leuchtend rot, wie es sich Weiss wohl unzeitgemä­ß gewünscht hätte. Man spürt aber, dass sich sein Kontrahent inzwischen klar durchgeset­zt hat.

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