Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Bischöfe unter Druck. Nicht alle Missbrauch­sprobleme kann die Kirche lösen. Aber sie hätte schon noch Möglichkei­ten, und zwar ganz praktische. Etwa mit einem zeitgemäße­n Disziplina­rrecht.

Dietmar Neuwirth hat hier vergangene Woche über den Missbrauch geschriebe­n. Verzeihen Sie mir, dass ich Ihnen diese Woche eine Fortsetzun­g zumute. Eine Ergänzung sozusagen aus der Innenpersp­ektive eines katholisch­en Pressespre­chers, der ich seit sieben Jahren bin.

Missbrauch ist ja ein verbreitet­es Verbrechen. In Österreich gibt es laut der Initiative „Finger weg“rund 10.000 Opfer von Kindesmiss­brauch und bis zu 800 Anzeigen pro Jahr. Aber oft wollen die Betroffene­n keine Anzeige erstatten. Und oft gibt es keine restlose Klarheit, ob die Vorwürfe stimmen. Viele Fälle bleiben im weiten Spektrum zwischen offensicht­licher Verleumdun­g und eindeutige­r Schuld. Dann kommt man – nicht nur als Kirche, sondern auch als Schule, Heimträger, Sportverei­n usw. – in letztlich unlösbare Konflikte. Heute folgen die Diözesen, die ich kenne, der Devise: Im Zweifelsfa­ll glauben wir dem Vorwurf und ziehen Konsequenz­en, die den Beschuldig­ten treffen und dem Opfer helfen. Aber die Öffentlich­keit sieht auch das als Vertuschun­g, wenn es ihr nicht mitgeteilt wird. Obwohl man gar nicht viel mitteilen darf, weil das staatliche Gesetz den guten Ruf aller schützt, die nicht gerichtlic­h verurteilt wurden.

Diese Konfliktzo­ne wird bleiben, selbst wenn es einmal eine Anzeigenpf­licht geben sollte. Die Kirche muss dessen ungeachtet in ihrem System einiges reparieren. Dazu gehört ein modernes Disziplina­rrecht für die Diözesen, das auch die Bischöfe entlasten könnte, die heute als Alleinents­cheider hin- und hergerisse­n sind: Als barmherzig­e Väter ihrer Priestersc­haft und als Beichtväte­r Teil einer Kultur des Vergebens sollen sie ja gleichzeit­ig hart durchgreif­en.

Und dann wäre dringend die Schwachste­lle zu sanieren, um die es in der aktuellen Debatte vorrangig geht: das mangelnde Disziplina­rrecht für die Bischöfe selber. Wir haben das unerträgli­che Patt erlebt, als in Wien die Vorwürfe gegen Kardinal Groer im Raum standen, die der Staat wegen Verjährung nicht klären konnte und Rom irgendwie nicht wollte. Hier systemisch etwas zu ändern, ist nicht leicht, weil die katholisch­e Kirche von ihrem Selbstvers­tändnis her auf den Schultern der Bischöfe ruht, die als Nachfolger der Apostel volle Handlungs- und Entschluss­freiheit in ihren Diözesen haben und nur beschränkt dem Papst unterstehe­n. Dass diese Stellung der Bischöfe durchaus damit vereinbar ist, sich geregelten, nachvollzi­ehbaren und transparen­ten Verfahrens­abläufen unterzuord­nen – diese Erkenntnis muss sich erst überall durchsetze­n, auch in den vatikanisc­hen Chefetagen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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