»Die Realität ist manchmal widerborstig«
Nach vier Jahren hat Wolf Haas wieder einen neuen Roman herausgebracht. Kein Brenner-Krimi diesmal, sondern eine autobiografisch angehauchte bittersüße Geschichte über das Erwachsenwerden. Mit der »Presse am Sonntag« sprach der Autor über den Wahnsinn der
Viele Bücher für oder über Kinder und Jugendliche von „Jim Knopf“bis „Tschick“funktionieren nach dem Muster: Einer zieht aus, erlebt etwas und kehrt dann reifer zurück. Das ist bei „Junger Mann“auch so. Wolf Haas: Er verliebt sich, ist noch blauäugig und glaubt, er muss nur alles richtig machen, dann wird schon alles so werden, wie er sich das vorstellt. Er geht auf große Fahrt. Als er zurückkommt, am Ende der Sommerferien, ist er kein Kind mehr. Waren Sie gern jung? Ich kann mich vor allem gut an das Gefühl erinnern, dass ich unbedingt erwachsen sein wollte. Und dass ich andererseits nie so werden wollte wie meine Eltern und die anderen Erwachsenen! Dieser ganze Katzenjammer! Das Leben muss doch mehr zu bieten haben! Währenddessen ist man selbst oft nicht gerade sehr glücklich. Ja, auch weil man die Mitglieder der Peergroup oft maßlos überschätzt: Man glaubt immer, nur man selbst ist so ratlos und die anderen checken alles, und ahnt gar nicht, dass nicht nur die anderen Druck ausüben, sondern dass man diesen Druck wieder retour gibt. Das ist eine Gruppe von Verzweifelten! Aber in meinem Roman haben mich die Probleme nicht so interessiert wie die Kraft, die aus diesen Problemen erwächst. Denn diese Zeit ist auch unglaublich lässig. Man hat noch diesen Wahnsinn in sich, ist nicht von der Vernunft geradegebogen, hat sich noch nicht der Einsicht in das Notwendige gebeugt. Das ist ja auch der Charme am Roman „Junger Mann“: Diese 13-Jährigen machen einen auf eine gute Art ratlos. Ihr Roman hat autobiografische Züge? Ja, ich war wirklich Tankwart, habe wirklich in einem Sommer viele Kilos abgenommen, habe wirklich einige Unfälle beim Skifahren gehabt. Natürlich stimmt nicht alles. Aber am Schluss habe ich zum Teil selbst nicht mehr gewusst, was erfunden ist und was nicht. Da habe ich mir gedacht: Das passt. Manchmal muss man eine Erinnerung verändern, damit das Gefühl stimmt, das man vermitteln will. Manchmal ist das Verdrehte echter als das Authentische. Meine Eltern haben zum Beispiel so nah an der Kirche gewohnt, dass gar kein Licht in unsere Wohnung fiel. Das war wirklich so, aber ich habe diese Beschreibung aus dem Roman gestrichen, weil es so symbolträchtig klingt. Und Ihre Mutter war wirklich eine Einpackkünstlerin? Sie beschreiben ja sehr komisch, wie sie Nahrungsmittel auf Millimeter passgenau in die Taschen schlichtete. Ja, das war sie. Das steht auch für eine gewisse Zeit, man hat die Dinge sehr sorgfältig behandelt, so ein Kuchen hatte einen großen Wert! Mein Bruder hat Bildhauerei studiert und während seines Studiums angefangen, die Verpackungskünste unserer Mutter wie Kunstwerke zu bewundern. Was sagt Ihre Mutter dazu? Meine Mutter ist gestorben, während ich an dem Roman geschrieben habe. Ich glaube, sie hätte kein Verständnis dafür gehabt, dass ich das so stilisiert habe. Sie hätte gedacht: So macht man das, so verhält man sich eben. War es unter diesen Umständen schwer, über Ihre Mutter zu schreiben? Es war schön für mich. Es hat mir eine große Freude bereitet, meine Eltern besser darzustellen, als sie waren. Es ist
1960
in Maria Alm, Salzburg, geboren. Mit zehn Jahren kam Wolf Haas ins Internat eines katholischen Gymnasiums in Salzburg.
Ab 1980
studierte er Germanistik und Linguistik, anschließend arbeitete er als Universitätslektor und Werbetexter. Er schuf unter anderem den Slogan „Ö1 gehört gehört“.
1996
erschien der erste von acht Brenner-Krimis, „Auferstehung der Toten“. Der letzte kam 2014 heraus. Mehrere Krimis wurden verfilmt. Außerdem schrieb Wolf Haas die Romane „Ausgebremst“, „Das Wetter vor 15 Jahren“und „Verteidigung der Missionarsstellung“.
2018
erscheint sein Roman „Junger Mann“bei Hoffmann und Campe. ja so: Wenn man Kinder hat, möchte man, dass sie glücklich sind. Aber das gilt irgendwann auch umgekehrt. Es kommt der Punkt, da wünscht man sich, dass die Eltern ein glückliches Leben gehabt haben. Man weiß, dass das vermutlich nicht stimmt. Aber man kennt seine Eltern schließlich nicht so richtig, vielleicht fanden sie eine Art Glück, die man nicht gesehen hat. Ich wollte diesen Roman ja schon viel früher schreiben. Aber ich bin froh, dass ich so lang dafür gebraucht habe, in jüngeren Jahren hätte ich das Bedürfnis gehabt, meine Eltern oder die Welt, für die sie standen, in die Pfanne zu hauen. Auch die anderen Figuren wachsen einem ans Herz. Ich wollte, dass beim „Jungen Mann“nur sympathische Menschen vorkommen. Wenn man ein Monster oder einen Psychopathen beschreibt, geht man den Weg des geringsten Widerstands. Einen halbwegs netten Menschen zu zeichnen, ist viel schwieriger. Und über sich selbst zu schreiben, wie war das? Das war das Schwierigste. Man hat ja ganz viel auszusetzen an sich. Man braucht viel Wohlwollen gegenüber der eigenen Biografie. Manches, an das man sich erinnert, ist schambelastet. Was für Niederlagen! Und was mein Gewicht damals betrifft: Mit 20 Jahren war es mir schon noch peinlich, dass ich so ein dicker Loser war. Und deshalb haben Sie für den Roman Zeit gebraucht? Als ich ihn begonnen hatte, steckte ich in einer Art Identitätskrise. Ich wusste nicht: In welcher Phase bin ich? Eine Zeit lang ist man der junge Autor, der versucht, die Szene aufzumischen. Und dann gibt es den alten Autoren, von dem habe ich auch ein klares Bild. Aber 57 Jahre? Das ist doch vollkommen uninteressant! Über mein Alter nachdenkend, bin ich zu dem „Jungen Mann“vorgedrungen. Und das Schreiben hat ja auch sehr viel mit der Pubertät zu tun. In der Pubertät lebt man zu 90 Prozent in ausgedachten Szenarios und zu zehn Prozent in der Realität – das nimmt dann mit jedem Jahr ab. Aber bei einem Schriftsteller bleiben es immer 90 Prozent. Das klingt doch ganz angenehm. Ist es auch, aber es kann zu Schwierigkeiten führen. Man muss sich schließlich auch in der Realität zurechtfinden, die empfinde ich manchmal als widerborstig. Ich kann sie nicht einfach umdichten. Ich würde den Mitmenschen gern manchmal Dialoge schreiben. Hätten Sie das in Ihrer Jugend auch gemacht? Mit einem fast fremden Menschen nach Griechenland zu fahren? Ich war ein zwiespältiger Charakter, feig und mutig zugleich. In den Siebzigerjahren war natürlich der Alltag der Kinder noch nicht so durchorganisiert, da gab es nicht Tausende Judokurse und Klavierstunden. Und wenn es sich ergeben hat, bin ich halt irgendwo mitgefahren. Es würde mich sehr interessieren, wie es den Jungen heute geht mit der Langweile. Mir war damals dauernd langweilig, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Jetzt langweilt man sich ja nicht einmal mehr, wenn man auf die Bim warten muss, man hat ja eh ein Handy. Warum haben Sie sich denn so gelangweilt? In unserem Dorf hat es nicht so viel zu tun gegeben. Im Winter ist man Ski gefahren. Nicht umsonst beginnt der Roman damit: Er will über die Schanze springen, will fliegen. Diese Euphorie! Und dann fährt er in das Loch daneben und bricht sich das Bein. . . . ob Sie Romane auch dann fertig lesen, wenn sie Ihnen nicht gefallen? Ich bin da leider etwas zwänglerisch, das hat mir schon manchen schlechten Tag beschert. Wobei für mich als Schriftsteller auch ein Buch interessant ist, das mir nicht ganz entspricht. Auch daran kann man sich schließlich orientieren. . . . ob Sie manchmal Bücher verborgen und sich ärgern, wenn Sie sie nicht zurückbekommen? Da gibt es von Fontane den schönen Aphorismus: „Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.“Aber andererseits: Es ist ja nicht schlimm. Sonst stehen sie vielleicht nur herum. . . . ob Ihnen das Schreiben dieses Romans leichtgefallen ist? Ich habe lang daran herumgedoktert, weil ich den richtigen Ton nicht gefunden habe. Wenn etwas pomadig klingt, dann deprimiert mich das richtig. Als ich den Ton hatte, war es leicht. Und gelesen haben Sie nicht? Gegen die Langeweile? Das einzige Buch, an das ich mich erinnern kann, ist ein Band von Enid Blyton – der gehörte einem Nachbarsbuben. Der Band hat mir gut gefallen, aber doch nicht so gut, dass ich unbedingt einen zweiten hätte lesen wollen. Meine Lehrerin hat einmal in der Woche Bücher mitgebracht und man hat eines mit heimnehmen können. Manche meiner Schulkollegen haben sich jede Woche ein neues ausgeborgt. Ich habe mir Anfang des Jahres eines geholt – und es am Schulende zurückgegeben. Ungelesen. Dann haben Sie Germanistik studiert und über die „sprachtheoretischen Grundlagen der Konkreten Poesie“dissertiert. Es ist mir tatsächlich leichter gefallen, Konkrete Poesie zu lesen, als dicke Wälzer: Ich wollte erfassen, wie Kunst funktioniert. Mich interessiert die Form, die Theorie dahinter. Ich bin einer der Letzten, der noch Gedichte liest. Aber dieses Bücherfressen habe ich nie gelernt, das fällt mir heute noch schwer. Das hat aber auch sein Gutes. Ich gehe als Schriftsteller nicht von vornherein davon aus, dass ein Buch auf lustvolle Rezeption stoßen wird. Ich weiß, dass man eventuell auch jemanden verführen muss. Das finde ich manchmal in der literarischen Welt etwas selbstgerecht: Man beklagt, dass niemand liest, aber tut wenig dazu, die Leute ins Boot zu holen. Es wird dem Lesen oft eine bewusstseinsbildende Kraft zugesprochen, die es meiner Erfahrung nach nicht hat. Ich könnte nicht sagen, dass Menschen, die viel lesen, gescheiter wären, weiser, freundlicher. Es ist erstaunlich, dass es diesbezüglich null Effekt hat, wenn Menschen sich mit Literatur beschäftigen. Die anderen Kräfte sind offenbar zu dominant.