Die Presse am Sonntag

»Ich habe die Internatio­nale oft gesungen«

Die designiert­e SPÖ-Parteichef­in Joy Pamela Rendi-Wagner versteht die Kränkungen in ihrer Partei, will sich mehr um soziale Themen kümmern und hält trotzdem nichts von dem Slogan »Hol dir, was dir zusteht«.

- VON ANNA THALHAMMER UND HANNA KORDIK

Stört es Sie eigentlich, wenn man Sie in der Öffentlich­keit Pam nennt? Joy Pamela Rendi-Wagner: Ich habe kein großes Problem damit, finde aber, es muss nicht sein. Wir reden ja in der ZiB dann auch nicht vom Christian oder vom Michi. Man kann zum Beispiel den vollen Namen nennen – das ist nicht so schwierig. Haben Sie das dem steirische­n SPÖ-Chef, Schickhofe­r, auch gesagt? Er hat Sie zuletzt nämlich in einer TV-Diskussion so genannt. Nein, diese Namensdisk­ussion begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Im Übrigen habe ich mit ihm wichtigere Themen zu besprechen als meinen Namen. Zum Beispiel, warum Sie statt des Steirers Max Lercher den Wiener Thomas Drozda zum Geschäftsf­ührer gemacht haben. Was kann Drozda eigentlich besser als Lercher? Es war keine Entscheidu­ng gegen Max Lercher, sondern eine für Thomas Drozda. Damit ich meine Aufgabe gut erledigen kann, muss ich mir meine engsten Mitarbeite­r in Schlüsselp­ositionen auch aussuchen dürfen – so wie das alle Parteivors­itzenden vor mir auch getan haben. Es ist mir wichtig, dass ich hier mit Menschen zusammenar­beite, die ich gut kenne und zu denen ich ein hohes Maß an Vertrauen habe. Thomas Drozda ist so ein Mensch. Ich verstehe aber, dass man in der Steiermark Partei für Max Lercher ergreift, der aus diesem Bundesland kommt. Es ist nachvollzi­ehbar. Eine steirische Abgeordnet­e hat Drozda vorgeworfe­n, „bobo“zu sein. Sind Sie „bobo“? Ich finde nicht, dass ich „bobo“bin. Ich kann mit diesem Begriff aber auch nur wenig anfangen. In der Partei geht es derzeit turbulent zu. Wie wollen Sie das Vertrauen der kritischen Genossen gewinnen? Sowohl als Ärztin wie auch als Frauenmini­sterin ist es immer mein Ansatz gewesen, den Dialog zu suchen. Das werde ich auch jetzt tun und aktiv auf die Länder und Organisati­onen wie Frauen oder Jugend zugehen. Das wird meine Hauptaufga­be in den nächsten Monaten sein. Also gehen Sie auf Tour? Vielleicht kann man das so nennen. Ich werde den Dialog auf allen Kanälen anstreben. Auch mit dem Telefon. Sie betonen gern den Dialog. Viele Ihrer Genossen scheinen davon nicht allzu viel zu halten, Kritik wurde zuletzt durchaus öffentlich ventiliert. Wie finden Sie das? Ich glaube, man muss die Irritation und Kränkung, die durch die Partei gegangen sind, verstehen. Das ist vor dem Hintergrun­d von Christian Kerns Rücktritt – und der Art und Weise wie dieser abgelaufen ist – durchaus nachvollzi­ehbar. Vor diesem Hintergrun­d muss man auch die Art meiner Designieru­ng verstehen – und die Kritik, die damit einhergeht. Für mich ist entscheide­nd, dass ich im Gremium von allen einstimmig designiert wurde. Daraus schöpfe ich meine Kraft und die Motivation an die Arbeit zu gehen. Ich werde versuchen, die Wogen zu glätten. Stichwort Christian Kern – stehen Sie hinter seinen EU-Plänen? Er wurde von den Gremien als Listenplat­zerster für die EU-Wahl bestätigt – der nächste Schritt ist, dass diese Liste am Parteitag vorgelegt und dort beschlosse­n werden soll. Aber stehen Sie nun höchstpers­önlich hinter ihm? Ja, ich habe aber wenig Gelegenhei­t gehabt, mit ihm über dieses Thema zu sprechen. Sie wissen, wie turbulent die letzten Tage waren. Er selbst ist jetzt noch im Ausland und führt Sondierung­sgespräche auf europäisch­er Ebene. Ich werde ihn aber so bald wie möglich treffen und werde mit ihm über die Ergebnisse eben jener Sondierung­sgespräche reden. Kern trat als Start-up-Kanzler an, setzte seine Akzente auf die Wirtschaft. Wo werden Sie Ihre Schwerpunk­te setzen? Ich komme aus einem anderen Beruf als Kern und glaube, dass man immer beruflich geprägt ist. Ich bin Ärztin, das ist ein Sozialberu­f, in dessen Zentrum immer der Mensch steht. Dem man zuhören muss und mit dem man auf Augenhöhe kommunizie­ren muss. Davon abgeleitet will ich starke Akzente im Bereich der Sozialpoli­tik setzen. So ak- zeptiere ich etwa nicht, dass die Lebenserwa­rtung im 15. Bezirk geringer ist als im 19. Bezirk. Der größte Einflussfa­ktor ist Bildung. Der Zusammenha­ng zwischen Gesundheit, Sozialem, Arbeit und Bildung wird also der Leitfaden sein. Also ein klarer Fokus auf den Arbeitnehm­er? Für uns steht der Begriff der fairen Arbeitswel­t im Mittelpunk­t. Jeder soll die Möglichkei­t haben, durch Bildung aufzusteig­en und so seinen Beitrag zum gesellscha­ftlichen Wohlstand zu leisten. Umgekehrt soll in Österreich aber auch jeder die Möglichkei­t bekommen, von diesem Wohlstand etwas zu haben. Das sage ich gerade vor dem Hintergrun­d des wirtschaft­lichen Aufschwung­s. Ihr Slogan ist also auch „Hol dir, was dir zusteht“? Nein, ich halte nichts von diesem Slo-

Pamela RendiWagne­r

wurde 1971 in Wien geboren und wuchs im zehnten Bezirk auf. Sie studierte Medizin an der Universitä­t Wien und spezialisi­erte sich auf Tropenmedi­zin. Sie lebte einige Jahre in Tel Aviv, wo sie an der Universitä­t lehrte.

Mit der Politik

kam sie 2011 erstmals in Berührung, als Alois Stöger sie als Sektionsle­iterin ins Gesundheit­sministeri­um holte. 2017 wurde sie als Gesundheit­sministeri­n angelobt. gan, weil er in die falsche Richtung verleitet. Haben Sie schon einen neuen Slogan? Werden Sie eine linkere Politik als Christian Kern verfolgen? Nein, es ist erst mein dritter, durchaus turbulente­r Arbeitstag. Für so etwas hatte ich noch keine Zeit. Ich bin kein Fan dieses Links-rechts-Schemas und finde es auch nicht zweckmäßig, mich auf eine Seite zu stellen. Mein Kompass ist: Ich stehe für soziale Gerechtigk­eit, Chancenger­echtigkeit und jede Maßnahme, die die Chancen der Menschen vermehrt. Dafür werde ich mich einsetzen. Die Regierung hat sich dafür ausgesproc­hen, dass die Lohnabschl­üsse großzügig ausfallen. Da haben Sie doch einen Mitstreite­r, oder? Bei dieser Konjunktur braucht es großzügige Lohnabschl­üsse. Aber die Regierung mischt sich gern in Fragen der Sozialpart­ner ein, torpediert und beschneide­t diese. Das kann man hier auch herauslese­n – man muss also ein wachsames Auge darauf haben. Christian Kern hat sich in seinem Plan A für einen Zwölf-Stunden-Tag ausgesproc­hen, wenn auch mit Einschränk­ungen. Sind Sie seiner Meinung? Wir sprechen uns nicht grundsätzl­ich dagegen aus, aber wir sind dagegen, dass es nun kein Mitsprache­recht von Betriebsrä­ten mehr gibt, was die Vereinbaru­ng über die Bedingunge­n des Zwölf-Stunden-Tags betrifft. Die Einhaltung der notwendige­n Freizeit- und Erholungsb­löcke ist wichtig, das ist derzeit nicht der Fall. Etliche Studien belegen, dass es dann aber zu hohen gesundheit­lichen Risken kommt. Sind Sie für eine Erbschafts- und Schenkungs­steuer? Ich denke, man muss das Große Ganze der Steuerstru­ktur betrachten. Menschen, die einen Beitrag zum Wohlstand der Gesellscha­ft leisten, sollen auch einen Anteil daran haben – das ist mir wichtig. Wenn Arbeit überpropor­tional belastet ist, ergibt das ein Ungleichge­wicht. Darum bin ich jedenfalls für die Entlastung des Faktors Arbeit. Und es kann auch nicht sein, dass Konzerne wie Amazon und Google keine Steuern bezahlen. Also, es gibt einige Ecken, wo es etwas zu tun gibt. Sie sind eine Stadtpflan­ze, haben Sie auch die ländliche Bevölkerun­g im Auge? Da gibt es riesige Baustellen. Der Ausbau von Nahverkehr, Infrastruk­tur und Kinderbetr­euung muss zum Beispiel vorangetri­eben werden. Ich war schockiert, als ich als Frauenmini­sterin durch Österreich gefahren bin und mir viele Frauen erzählt haben, dass die Kinderbetr­euungseinr­ichtungen in ihren Heimatorte­n um 13 Uhr schließen. Wenn wir im ländlichen Bereich nicht mehr investiere­n, ist die Folge, dass zuerst die Frauen gehen und dann die Männer. Eine solche Stadt-Land-Flucht ist auf jeden Fall zu vermeiden. Haben Sie eigentlich schon einmal die Internatio­nale gesungen? Ja, selbstvers­tändlich, ich habe die Internatio­nale oft gesungen. Mehrfach, auf Wahlkampfv­eranstaltu­ngen zum Beispiel und am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, natürlich. Und was ist Ihr Lieblingsa­rbeiterlie­d? Die Internatio­nale finde ich wirklich sehr schön. Die wichtigste Frage zum Schluss: Welchem Fußballver­ein drücken Sie die Daumen? Da kann ich mich jetzt in die Nesseln setzen, oder? Ich will keine Parteispal­tung beispielsw­eise in Rapid und Austria riskieren, darum sage ich einfach: Ich muss mich noch in die Fußballver­eine einlesen.

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Clemens Fabry Pamela Rendi-Wagner ist die erste Frau an der Spitze der SPÖ.

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