»Kickl hat eine Grenze überschritten«
Wir dürften uns nicht an Ungarn orientieren, sagt Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, der den Innenminister und die Asylpolitik kritisiert.
Wie beurteilen Sie die Performance der Regierung? Georg Kapsch: Das muss man unterteilen. Die wirtschaftspolitische Performance beurteile ich grundsätzlich gut, die Vorhaben sind gut, die Schritte, die sie setzen, sind auch gut. Man sieht schon, dass sie etwas tun wollen. Aber? Die Migrationspolitik in diesem Land würde ich etwas anders lösen. Ich würde das Thema „Asyl“natürlich vom Thema „Qualifizierte Zuwanderung“trennen. Ich würde aber beides gleichzeitig lösen und nicht erst versuchen, das eine zu lösen und dann das andere. Konkret geht es gerade um Asylwerber als Lehrlinge. Was ist Ihre Meinung dazu? Ich bin der Ansicht, man hätte da das deutsche Modell machen sollen (Flüchtlinge dürfen nach drei Monaten eine Arbeit annehmen und ihre Ausbildung auch bei negativem Asylbescheid beenden; Anm. d. Red.). Wenn das nicht geht, schauen wir, dass wir gleich einen Weg über die Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen. Da würden Sie mehr Tempo erwarten? Da würde ich auf der einen Seite ein bisschen weniger und auf der anderen Seite ein bisschen mehr Tempo erwarten. Ich würde mir erwarten, dass man beides zugleich löst. Zuständig ist Innenminister Herbert Kickl, der gerade stark kritisiert wird. Was halten Sie von seiner Vorgangsweise? Wer die Pressefreiheit irgendwie infrage stellt, rüttelt an den Grundfreiheiten der Demokratie. Ich verstehe das absolut nicht. Und ich bin glücklich, dass sich der Bundeskanzler dazu geäußert hat. Hat er eine rote Linie überschritten? Ich glaube, Kickl hat wirklich eine Grenze überschritten. Wir wissen, dass das in der Vergangenheit immer wieder gemacht wurde, das passiert ja nicht zum ersten Mal. Aber dass er das so offiziell macht, ist neu. Wir haben jetzt auch noch den Vorsitz der Europäischen Union, da muss man beson- ders vorsichtig sein. Es gibt immer mehr Staaten, die genau in diese Richtung gehen, und zu diesen Staaten sollten wir uns nicht zählen. Ungarn und Polen sind kein Vorbild. Wir sollten sicher nicht in Richtung Ungarn gehen. Halten Sie Minister Kickl noch für tragbar? Dazu will ich mich nicht äußern, ich bin kein Politiker. Ich sage nichts zu Personen, sondern nur zu Taten und Inhalten. Und hier ist eine Grenze überschritten worden, die man schlicht und einfach nicht überschreitet, weil es gefährlich ist. Die Regierungsspitze hat einen Vorstoß für höhere Löhne gemacht. Gehen Sie da konform? Ich bin der Ansicht, dass sich die Bun- desregierung aus solchen Dingen grundsätzlich herauszuhalten hat. Das sind Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dazu hat die Regierung keinen Kommentar abzugeben. Und vom Inhaltlichen her: Sind höhere Löhne gerechtfertigt? Es geht grundsätzlich um die Frage der Wettbewerbsfähigkeit, und ich mische mich als Präsident der Industriellenvereinigung auch nicht in die Kollektivvertragsverhandlungen ein. Ich habe zehn Jahre lang Kollektivverträge verhandelt und weiß, was das bedeutet, wenn man irgendwelche Rufe von der Seite hereinbekommt. Ich will die Verhandlungen nicht mit meinen Kommentaren stören. Die Regierung hat von der Arbeitszeitflexibilisierung bis zur Senkung der AUVA-Beiträge schon einiges umgesetzt, mit dem Sie sehr zufrieden sein können. Gibt es weitere Wünsche? Ich würde mir wünschen, dass die Sozialversicherungsreform jetzt wirklich durchgeht, wie sie geplant ist. Außerdem eine Steuerreform: Egal, wann sie in Kraft tritt, sie soll jetzt entschieden werden, damit es Rechtssicherheit gibt. Und dann gibt es noch zwei große Blöcke, von denen ich im Moment gar nichts sehe, das sind die Pensionsreform und die Staatsreform. Pensionsreform heißt für Sie eine Anhebung des Antrittsalters? Das würde vieles heißen. Das kann heißen, das Prinzip zu verändern, von der Leistungsorientierung in Richtung Beitragsorientierung. Das dauert ohnehin eine Generation, bis man das geändert hat. Das kann heißen, Anpassung des Pensionsalters an das gestiegene Lebensalter. Da gibt es viele Modelle. Aber es muss etwas geschehen, weil sich das so sicher nicht ausgeht. Wie soll eine Staatsreform aus Ihrer Sicht aussehen? Das würde eine neue Aufteilung der Aufgaben bedeuten. Eine neue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Soll der Bund oder sollen die Länder mehr Aufgaben bekommen? Vor allem sollte man sich entscheiden, ob man ein föderales System wie in der Schweiz oder ein zentrales System will. Aber das Mischsystem, das wir jetzt haben, ist das teuerste, das man sich überhaupt vorstellen kann. Wir müssen klären, welche Aufgaben in Zukunft der Bund, die Länder und die Gemeinden haben. Wir werden unsere Budgets nicht in den Griff bekommen, wenn wir diese Themen nicht lösen.