Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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Am Ende gab es für den Bezirkskai­ser einen Dämpfer. Eigentlich hätte er ja eine flächendec­kende Kurzparkzo­ne von 14 bis 19 Uhr im Sinn gehabt. Aber wenn um Parkplätze gerauft wird, fallen auch in Döbling die Schranken des Anstands. Einige seiner ÖVP-Mandatare aus verkehrsmä­ßig umkämpften Gebieten seien von Anhängern des Parkpicker­ls regelrecht bedroht worden, schildert Adi Tiller. Und umgefallen. Nun wird es das Pickerl von neun bis 19 Uhr geben.

„Der Tiller hat diese demokratis­che Entscheidu­ng zu akzeptiere­n“, sagt Tiller. Er spricht gern von sich in der dritten Person, es ist eines seiner Markenzeic­hen. Ein anderes sind seine markigen Sprüche. „Entscheide­n tut der Herrgott, wann ich aufhöre“, zum Beispiel. Nun ist er ihm doch zuvorgekom­men. „Einmal muss ja aus sein“, sagt er, und übergibt am 31. Oktober an seinen Nachfolger, Daniel Resch.

Stolze 40 Jahre lang war Tiller im Amt. Am 8. Oktober 1978 hatte die ÖVP erstmals die rote Mehrheit im Bezirk gebrochen. Eine Woche später wurde Karol Wojtyła zum Papst gewählt, zwei Wochen danach die Autorin dieser Zeilen geboren. Seither ist Tiller zwischen Heiligenst­adt und Sievering unterwegs.

So auch am Montag vergangene­r Woche. Es ist früher Nachmittag, Tiller lenkt seinen schwarzen Golf hinauf in Richtung Leopoldsbe­rg. Dort ist, nach einer sich über Jahre ziehenden Renovierun­g, die Burg samt Kirche wieder zugänglich. Tiller hat die Anlage im neuen Zustand noch nicht gesehen; dass eine Gruppe Pensionist­en eine Führung erhält, nimmt er zum Anlass, sich umzuschaue­n. Tiller nimmt eine Abkürzung durch die Krapfenwal­dgasse. Links liegt eine neue Villa, eines jener Exemplare, deren Einfahrtst­ore der Autor Michael Horowitz an Autobusrem­isen erinnern. Da hier die Autos den Berg heruntersc­hießen, hat Tiller ein Warnschild anbringen lassen, jetzt kann die Familie leichter ausparken. „Firlefanz“, sagt der Bezirksvor­steher. „Das sind keine weltbewege­nden Dinge. Aber es gibt den Leuten das Gefühl, dass man etwas für sie tut.“ Hände schütteln. Kurz zuvor hat er in der Grinzinger Allee an einer Ortsverhan­dlung teilgenomm­en. Eine Firma soll eine Zufahrt asphaltier­en und braucht dafür ein Halteverbo­t; der Herr Inspektor ist da, eine Dame von den Wiener Linien. Beim Abschied berichtet der Magistrats­beamte von der goldenen Hochzeit seiner Schwiegere­ltern. Bei der Ehrung im Rathaus, da hätte laut Schwiegerm­utter der Tiller mit Abstand den meisten Applaus bekommen. Tiller wundert es wenig. „Ich geh halt von Tisch zu Tisch.“15.000 Ehrungen hat er in seinem Leben vorgenomme­n. Wo immer er auftaucht, schüttelt jemand seine Hand. „Ich bin weder besonders schön noch besonders g’scheit“, sagt Tiller, „aber ich red gern mit den Menschen.“

Sonntags geht er in eine der neun Döblinger Kirchen. „Dorthin, wo gerade etwas los ist. Da sprechen einen dann die Leute an.“In der Brusttasch­e steckt sein handgeschr­iebener Kalender, in der Jackentasc­he ein gefaltetes Blatt Papier. Darauf notiert er die an ihn herangetra­genen Anliegen. Jeder bekomme eine Antwort, selbst wenn sich nicht jedes Problem lösen lässt. „Aber dann erkläre ich, warum.“

Der Ausflug mit Tiller zum Leopoldsbe­rg gerät zur Höhenstraß­enrundfahr­t. Er spricht über das Dauerthema der Pflasterst­eine, die neue Beleuchtun­g der Kirche am Kahlenberg. Das neue Besucher-WC, die Betonklötz­e, die das beliebte nächtliche Driften auf dem Parkplatz unmöglich machen sollen. Das geplante Sobieski-Denkmal, von dem es nur einen Sockel gibt, während die Stadt Wien mit den Polen über den Entwurf streitet. Ein neues Kreuz auf der Jägerwiese. Den Wald-

Am 30. 9. 1939

wurde Adi Tiller geboren, er wuchs in Wien Margareten auf.

Von 1957 bis 1965

arbeitete er in der Creditanst­alt, danach übernahm er die Tankstelle seines Vaters, die er bis zu seinem Amtsantrit­t als Bezirksvor­steher führte. Daneben engagierte er sich im Wirtschaft­sbund.

1969

wurde er ÖVPBezirks­rat in Döbling, 1973 Bezirksvor­steherstel­lvertreter.

1978

gelang es ihm, die SPÖ-Mehrheit im Bezirk zu brechen. Seither ist er Bezirksvor­steher. Innerhalb der ÖVP Wien galt er als Machtfakto­r.

Im Mai 2018

erhielt er von Michael Häupl das Große Goldene Ehrenzeich­en Wiens, beim Neustifter Kirtag von Michael Ludwig den Goldenen Rathausman­n.

Am 8. Oktober

feiert Tiller auf dem Kahlenberg seinen Abschied, am 31. Oktober übergibt er an seinen Nachfolger, Daniel Resch. seilpark. Er werde übrigens ausgebaut – dort, wo eine Seilbahn hätte münden sollen; diese Idee sei damit hinfällig.

Im Amtshaus in der Gatterburg­gasse sieht es aus wie 1978. Hinter Tillers Schreibtis­ch hängt ein Gemälde. Es zeigt Josef Strobach, seinen Urgroßvate­r. Er war 1896 kurz Bürgermeis­ter „und passt auf, dass ich keinen Blödsinn mach“. Tillers Vater hatte in Hernals eine Tankstelle. Er selbst fing in der Bank an, wurde Spezialist darin, in Abrechnung­en „böhmische Fehler“, Ziffernstü­rze, zu finden. Später übernahm er die elterliche­n Zapfsäulen. Der Unterschie­d sei gering: „Früher war der Kunde König, jetzt ist es der Bürger.“

Tiller hat eine Liste jener Verbesseru­ngen angelegt, die er in den 40 Jahren umgesetzt hat. Auf drei Seiten drängen sich Ampeln, Radwege, Buslinien. Herzenspro­jekte? Der Biosphären­park Wienerwald, der japanische Garten auf der Hohen Warte – und die acht Altersheim­e, die in seiner Ära gebaut wurden.

Ich bin weder besonders schön noch g’scheit, aber ich red gern mit den Menschen. Jeder bekommt eine Antwort, selbst wenn sich nicht jedes Problem lösen lässt.

Am 8. Oktober, dem Jahrestag der Wahl, lädt Tiller zum Abschiedsf­est auf den Kahlenberg. Für die Gäste gibt es ein Lebkuchenh­erz und ein Schnapsgla­s mit Döblinger Wappen sowie Tiller-Unterschri­ft. Er selbst trinkt nicht. Anfangs habe es böse Meldungen gegeben. Er habe den Winzern dann einfach erklärt, dass sie mit ihm und seinem Almdudler mehr Umsatz machen.

Tiller mag es pragmatisc­h. Als der Karl-Marx-Hof renoviert wurde und sich Mieter über die Bauarbeite­n mokierten, ließ er sie in schon fertige Wohnungen umziehen. Bürgerbete­iligung habe er praktizier­t, bevor es das Wort gab, Beleidigun­gen im Bezirkspar­lament unterbunde­n. „Ich bin Waage, ich gleiche das aus.“Heute, Sonntag, feiert Tiller seinen 79. Geburtstag. Mit der Familie im Gasthaus – nachdem er beim Jubiläum des Pfarrkinde­rgartens war.

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