Die Presse am Sonntag

Als Mercedes den Hut verlor

2019 wird Dieter Zetsche als Chef von Daimler gehen. Er hat Mercedes zur beliebtest­en Premiummar­ke gemacht. Ausgerechn­et jetzt steht er vor den größten Herausford­erungen.

- VON NORBERT RIEF

Wie also ist der typische Mercedes-Fahrer? Er ist spießig, alt, arrogant, unsportlic­h, nicht umweltbewu­sst, und dick ist er noch obendrein. So beschreibe­n ihn zumindest die Deutschen, die heuer im Frühjahr vom Beratungsu­nternehmen Progenium zum Image der verschiede­nen Autobesitz­er gefragt wurden. Ach ja, und irgendwo taucht natürlich auch wieder der Hut auf.

Und dann steigt man in den Mercedes A 250 ein, in den man als dickere Person gar nicht reinkommt, gibt das Ziel ins Navi ein – womit man sich als älterer Herr schwertut, weil die aktuelle A-Klasse ein Smartphone auf Rädern ist – und gibt Gas, dass einem der imaginäre Hut davonflieg­t. Nein, dieser kleine Mercedes in der Größe eines Golf erfüllt keines der Klischees.

Wie eigentlich auch viele andere Modelle aus Stuttgart nicht. Der GLE Coupe´ beispielsw­eise, eine schamlose, aber etwas schönere Kopie des BMW X6, ein SUV, groß, schwer, aufdringli­ch, laut (mit der richtigen Motorisier­ung). Nichts für den spießigen, älteren, dicken Herrn mit Hut.

Auch wenn es, wie die Umfrage zeigt, bei vielen Menschen noch nicht angekommen ist: Mercedes ist nicht mehr, was es einmal laut vielen Vorurteile­n war. Die Marke ist modern, baut dynamische, schöne Autos und überzeugt damit mittlerwei­le mehr Premiumkäu­fer als Audi oder BMW, der Erzrivale aus München.

Der Erfolg ist vor allem einer Person zu verdanken, die mit ihren Jeans, den Turnschuhe­n und dem gigantisch­en Schnurrbar­t auch nicht wirklich zu dem Bild passt, das man sich vom Vorstandsv­orsitzende­n von Mercedes macht: Dieter Zetsche, seit 2006 an der Spitze des Unternehme­ns. Der Mann, der aus Daimler „eine Perle gemacht hat“, wie der deutsche Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r meint.

Wahrschein­lich steht nur noch Elon Musk mit Tesla ähnlich für eine Automarke wie Zetsche für Mercedes. In den zwölf Jahren seiner Regentscha­ft hat BMW beispielsw­eise seinen Chef schon drei Mal ausgetausc­ht, der VW-Konzern hält aktuell bei Nummer vier (Herbert Diess).

Eine makellose Erfolgsges­chichte demnach von einem Mann, der einen Autokonzer­n am Rande des Abgrunds übernommen hat (Daimler hatte 2006 nach der Fusion mit dem US-Autobauer Chrysler schwer zu kämpfen, Zetsche hat die Zusammenar­beit beendet und Chrysler verkauft) und ihn 2017 mit einem Umsatz von 164,3 Milliarden Euro (Gewinn vor Zinsen und Steuern: 14,7 Mrd. Euro) zum besten Jahr seiner Geschichte geführt hat?

Nicht ganz. Denn ausgerechn­et das letzte Jahr einer sonst makellosen Managerkar­riere wird für Zetsche zur Herausford­erung. Ausgerechn­et jetzt, knapp vor dem lang geplanten Auslaufen seines Vertrags im kommenden Jahr, häufen sich die schlechten Nachrichte­n. Wenn der 65-Jährige Pech hat, wird man den Wechsel an der Konzernspi­tze im Mai 2019 zum heute 49-jährigen Ola Källenius (derzeit Entwicklun­gschef bei Daimler) als Befreiungs­schlag interpreti­eren. Probleme mit Dieselabga­sen. Da ist zum einen der dramatisch­e Gewinneinb­ruch von 30 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres. Grund dafür sind neben einmaligen Sonderbela­stungen vor allem die Zölle in China.

Mit 1. Juli senkte der Staat die Abgaben für Autoimport­e aus Deutschlan­d, weshalb sich potenziell­e Käufer bis zu diesem Datum zurückhiel­ten. Das führt zwar auch bei anderen Hersteller­n zu einem Minus, bei Mercedes gehen die schlechten Nachrichte­n allerdings weiter: China hat nämlich als Antwort auf die amerikanis­chen Strafzölle mit Juli die Abgaben für Autoimport­e aus den USA erhöht. Und dort baut Mercedes seine großen, bei den Chinesen sehr beliebten SUVs.

Wirklich am Image Zetsches, den Zeitungen als „Popstar der deutschen Autoindust­rie“gefeiert haben, kratzt aber der Dieselskan­dal. Mercedes soll, ähnlich wie Volkswagen, eine Abschaltvo­rrichtung verwendet haben, die die Abgasreini­gung im Fahrbetrie­b reduziert. 774.000 Dieselauto­s der C-Klasse, des Vans Vito und des Geländewag­ens GLC müssen deshalb verpflicht­end in die Werkstatt.

Nein, dieser kleine Mercedes in der Größe eines Golf erfüllt keines der Klischees. Der Daimler-Chef ist jetzt nur noch Zuschauer, das Heft hat die Justiz in der Hand.

Während Mercedes alle Schuld von sich weist und erklärt, die Abschaltvo­rrichtung sei keinesfall­s illegal und diene auch nicht zum Bestehen von Abgastests, sondern sei für den ordnungsge­mäßen Betrieb der Pkw notwendig, haben Medien bereits mögliche Strafen ausgerechn­et. Der „Spiegel“kam allein für Deutschlan­d auf knapp vier Milliarden Euro.

Der Daimler-Chef ist jetzt nur noch Zuschauer, das Heft hat die Justiz in der Hand. In Deutschlan­d ermittelt sie wegen der Manipulati­onsvorwürf­e, in den USA bemühen sich die DaimlerAnw­älte um einen milliarden­schweren außergeric­htlichen Vergleich, um die Causa schnell zu erledigen.

Das hat Dieter Zetsche noch gefehlt: dass er vielleicht zum Abschied zum neuen Gesicht des Dieselskan­dals wird, dass die wahrschein­lich größte Karriere in der deutschen Autoindust­rie neben jener von Ferdinand Piech¨ in einem Skandal endet. Dass er vielleicht gar nicht mehr, wie geplant, nach seinem Rückzug als Vorstandsv­orsitzende­r und einer zweijährig­en Abkühlphas­e im Jahr 2021 an die Spitze des Aufsichtsr­ats des Daimler-Konzerns rücken kann.

In einem seiner wenigen Interviews sinnierte Zetsche in der „Süddeutsch­en Zeitung“vor fünf Jahren über die Belastunge­n des Berufs. „Es heißt“, sagte er, „man wird einsam in einem solchen Job. Da ist was dran.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria