Am großen Wagen hängen die Geschicke
Das Magna-Steyr-Werk in Graz platzt aus allen Nähten. Doch auch wenn die Auftragsbücher voll sind und eine Expansion ansteht – das Rückgrat des Standorts ist die Produktion der Mercedes G-Klasse. Sie war vor wenigen Jahren alles andere als gesichert.
Viele Wege führen auf den Grazer Hausberg Schöckl hinauf. Auf 1445 Metern Höhe kann man die Aussicht genießen und sich auch mitten im Sommer einen Schnupfen holen, wenn man, leicht geschürzt vom Tal aufbrechend, auf den Temperatursturz nicht vorbereitet ist. Es gibt eine Seilbahn, Trails für fitte Mountainbiker, Forststraßen für Autos.
Dann gibt es noch Wege, die kaum ein Auto befahren kann – das wäre das Revier des Mercedes G, hierzulande als Puch G eingeführt. Als echter Grazer wird er seit 1979 unten im Werk gebaut, das früher Steyr-Daimler-Puch hieß und heute Magna Steyr. Der Schöckl, natürliches Habitat für einen Geländewagen, dient von Beginn an als Entwicklungs- und Erprobungsgelände. Keine Konkurrenz. Die Testfahrer von Magna entführen zuweilen auch andere Fabrikate in diese Wälder, um die Konkurrenz mit dem G zu vergleichen. Dabei sind sie der Meinung: „Es gibt keine mehr.“
Ein Hardcore-Geländewagen, der neben typischen Offroad-Charakteristika wie Leiterrahmen und Untersetzung auch über 300-prozentige mechanische Sperren verfügt, um in absurd vertrackten Situationen noch weiterzukommen, so etwas wird in nennenswerter Stückzahl nirgendwo mehr gebaut. Mag es Geländeautos geben, die sich unter fahrerischem Geschick den Weg hinauf noch bahnen können, „aber nicht so schnell und mühelos wie der G“, sagt einer der Fahrer.
Gänzlich die Spreu vom Grazer trennt schließlich eine Disziplin, die sie am Schöckl „Downhill“nennen: das Hinabstürzen über steile, teils felsig zerklüftete Waldpassagen mit hoher Geschwindigkeit, ein Manöver, das Mitfahrenden den Atem raubt. Hart im Nehmen. „Das macht man eigentlich nicht beim Offroadfahren“, sagt unser Mann am Steuer, „aber wir wollen zeigen, was mit dem Auto möglich ist“. Ein Exemplar habe man gezählte 100 Mal auf diese Weise misshandelt, ohne das Material zur Aufgabe gebracht zu haben. Nicht nur um schiere Belastbarkeit geht es dabei, sondern auch um eine Elektronik, die mittels Sensoren in Millisekunden die Härte der Dämpfer verstellen kann. Der G ist auf allen Ebenen hochgerüstet, erst recht im Motorraum, in den auf Wunsch ein Biturbo-V8 mit weit über 500 PS einzieht.
Hart im Nehmen, das ist der Naturbursche, der vornehmlich in gut bestückten Luxusgaragen heimisch ist, auch bei den Tarifen: In Österreich starten sie derzeit bei 142.490 Euro. Von Hand. Das ist nicht zuletzt der Preis für eine aufwendige Produktion. In den Werkshallen der G-Fertigung vollführen keine Roboter ihr Technoballett, hier wird von Hand gearbeitet. Die Sitze werden nicht, wie in der Branche üblich, zugeliefert, sondern vor Ort gebaut. Es surren die Nähmaschinen an Werkbänken, auf denen feine Stoffe und große Mengen Leder verarbeitet werden. Auf Kundenwunsch wird maßgeschneidert.
Dann und wann entdeckt man in der Fertigungsstraße Modelle, die aus dem Rahmen fallen: die Karosserie aus der vorhergehenden Generation, der Innenraum spartanisch, die Sitze mit strapazierfähigem Kunststoff bezogen. Am Limit: Gelände von Magna Steyr in Graz. Der Ausbau erfolgt in Slowenien. Das sind Exemplare fürs Militär, die zehn bis 20 Prozent des Volumens ausmachen können – eine Reminiszenz an den Ursprung der Baureihe. Zirbenschnaps. Das Fahrzeug mit den vielen Gesichtern ist das wirtschaftliche Rückgrat des Standorts. Jeder vierte der rund 12.000 Magna-Mitarbeiter arbeitet für die G-Klasse.
Die Jobs gelten als sicher, denn die Baureihe feiert Hochkonjunktur. 2017, im letzten Jahr der auslaufenden Generation, wurde mit über 20.000 verkauften Exemplaren ein Rekord gefeiert. Seit der gründlichen Überarbeitung, pompös vorgestellt in Detroit Anfang des Jahres, mit Zetsche und Schwarzenegger beim Zirbenschnaps auf der Bühne, halten die Manager 25.000 Stück pro Jahr für möglich – dann wären bald die Kapazitäten erschöpft.
Es ist nicht lang her, da dümpelten die Verkaufszahlen im vierstelligen Bereich, da hat Mercedes erwogen, die Produktion aus Graz abzuziehen. 2012 sei das kritische Jahr gewesen: Würde
Den Schöckl „downhill“: ein Manöver, das Mitfahrenden den Atem raubt.