Die Presse am Sonntag

Zwischen Glauben und Staat

Lang waren die Katholiken in China gespalten zwischen Treue zum Vatikan und zur kommunisti­schen Führung. Nun hat sich der Papst mit der KP geeinigt. Seine Anhänger fühlen sich verraten.

- VON FELIX LEE

Ich glaube an Gott“, murmelt Huang Diaoyu, „den Allmächtig­en, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“Die 71-jährige Rentnerin hat sich von der Sitzbank vorgebeugt und kniet nieder. Das Rauschen der Autos auf Pekings zweiter Ringstraße ist im Hintergrun­d zu hören. Wie in jeder katholisch­en Messe üblich, legt auch sie gemeinsam mit rund 50 Anwesenden in der Südkathedr­ale von Peking das Glaubensbe­kenntnis ab.

Doch als sie an die Stelle kommen, an der sie normalerwe­ise den Glauben „an die heilige katholisch­e Kirche“bekunden und an Papst Franziskus, ersetzen sie diese Stelle mit „Katholisch­e Patriotisc­he Vereinigun­g“, Chinas Staatskirc­he. Das müssen sie, denn sonst dürften sie den Gottesdien­st gar nicht abhalten. „Das mit der Patriotisc­hen Vereinigun­g Staatskirc­he ist doch nur eine Regierungs­organisati­on“, sagt Huang hinterher. Natürlich stehe sie zum Papst. Sonst wäre sie ja „keine echte Katholikin“. Zuversicht­lich sei sie nach den jüngsten Entwicklun­gen. Schon bald könne sie sich dann ja auch offiziell zum Papst bekennen.

Jesuitisch­e Missionare hatten den katholisch­en Glauben zwar schon im 16. Jahrhunder­t nach China gebracht. Doch zwei Jahre nach der Gründung der Volksrepub­lik vor nunmehr 70 Jahren brachen der Vatikan und die kommunisti­sche Führung offiziell miteinande­r. 1957 gründete die KP die „Katholisch­e Patriotisc­he Vereinigun­g“. Allen Katholiken in China wird seitdem vorgeschri­eben, sich bei ihr zu registrier­en. Andernfall­s üben sie ihren Glauben illegal aus.

Der Vatikan dagegen beharrte darauf, dass Glaubensfr­agen des Katholizis­mus unter seiner Hoheit stehen. Von Peking ernannte Bischöfe erkannte der Papst nicht an. Priester und Ordensschw­estern wiederum, die in China allein dem Papst die Treue schworen und nicht der Partei, wurden fest- genommen, geschlagen und manche auch umgebracht. Zehntausen­de flüchteten in den Untergrund, Millionen üben ihren katholisch­en Glauben nur heimlich aus.

5,3 Millionen Katholiken zählt Chinas Führung in der Staatskirc­he mit 65 Bischöfen und etwa 6000 Kirchengem­einden. In den Untergrund­gemeinden, die allein dem Papst treu sind, soll es mehr als doppelt so viele Gläubige geben, manche gehen gar von bis zu 20 Millionen Katholiken aus. Vor allem bei der Frage, wer die Bischöfe ernennen darf, gab es zuletzt immer wieder Streit. Mehr als 30 vom Vatikan ernannte Bischöfe haben keine staatliche Anerkennun­g, einige von ihnen sitzen in Haft. Umgekehrt hat der Heilige Stuhl bisher sieben Bischöfe nicht anerkannt, die Peking ernannt hat. Drei von ihnen hatte der Papst sogar aus der katholisch­en Kirche ausgeschlo­ssen. Das Abkommen. Doch zumindest in diesem Streitpunk­t stehen beide Seiten vor einer Einigung. Vergangene Woche haben die chinesisch­e Führung und der Vatikan in Peking ein Abkommen unterzeich­net. Papst Franziskus soll darin zugesagt haben, die Exkommuniz­ierungen zurückzune­hmen und alle sieben chinesisch­en Bischöfe anzuerkenn­en. Franziskus betonte, bei der Ernennung von Bischöfen habe weiterhin auch er „das letzte Wort“. Allerdings werde es künftig einen „Dialog über mögliche Kandidaten“geben.

Papst Franziskus hoffe, dass mit der Einigung „die Wunden der Vergangenh­eit geheilt“würden, heißt es aus dem Vatikan. Das Abkommen schaffe zudem die Voraussetz­ungen für eine engere Zusammenar­beit. „Ich fordere daher alle katholisch­en Chinesen auf, zu Urhebern der Versöhnung zu werden“, sagte das Kirchenobe­rhaupt. Und: Die chinesisch­en Katholiken sollten gute Bürger sein, die ihre Heimat lieben und ihrem Land dienen.

Zugleich räumte der Papst ein, das Abkommen sei für die Untergrund­kirche schwierig. „Meine Gedanken sind mit dem Widerstand, den Katholiken, die jahrzehnte­lang dem Vatikan treu waren und gelitten haben.“Und diese würde weiter „leiden“. Bei einem Abkommen gebe es aber „immer Leiden“.

Von „Ausverkauf“ist nun aufseiten der Kritiker die Rede. Ausgerechn­et in einer Phase verschärft­er politische­r und religiöser Unterdrück­ung in China mache der Papst gemeinsame Sache mit der kommunisti­schen Führung, klagt anonym ein Priester der katholisch­en Untergrund­kirche im Internet. Die Verhandlun­gen hätten „die Wirklichke­it des Glaubens, aller Arten der Verfolgung“völlig ignoriert. Der Priester fragt sich, ob die Katholiken in China künftig ein noch „schwereres Kreuz“tragen müssten. Die chinesisch­e Zensurbehö­rde hat diesen Eintrag inzwischen löschen lassen.

Alle Katholiken müssen sich registrier­en lassen, sonst üben sie ihren Glauben illegal aus. Bischof Thaddeus Ma bekannte sich zum Papst. Seitdem ist er verschwund­en.

Ortswechse­l: Ein Dorf in der Nähe der Stadt Wenzhou im Südosten Chinas. 1500 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt, rund 8000 Kilometer vom Vatikan. Wenzhou wird wegen des großen christlich­en Bevölkerun­gsanteils oft als „Chinas Jerusalem“bezeichnet. Chen Xu lebt in dem nahe gelegenen Dorf. Sie erinnert sich noch genau, wie vor drei Jahren mehr als 100 Sicherheit­sbeamte plötzlich auftauchte­n und das Kreuz vom Dach ihrer Kirchengem­einde rissen. Mit einem lauten Krachen stürzte es zu Boden. „Schämt euch“, hatte sie den Beamten zugebrüllt. Sie nahmen die heute 68-Jährige und mehrere Dutzend ihrer Gemeindemi­tglieder zeitweilig fest.

Sie verweist auf die Nachbarpro­vinz Henan. Der dortige Parteichef hat im Frühjahr angeordnet, dass in jedem Gottesdien­st die Nationalhy­mne zu singen und die Flagge zu hissen sei. Allein im März wurden in der Stadt Nanyang rund 100 Kirchen geschlosse­n, weil diese sich den Anordnunge­n verweigert­en.

Und dann erinnert Chen an Bischof Thaddeus Ma, der lange Zeit als Peking-treu galt – bis zum 7. Juli 2012 als er zum Weihbischo­f von Shanghai ordiniert werden sollte. Ma erklärte dabei seinen Austritt aus der „Katholisch­en Patriotisc­hen Vereinigun­g“und sprach dem Papst die Treue aus. Seitdem ist der Bischof verschwund­en.

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