Die Presse am Sonntag

»Empathie für Juden fehlt«

»Gegen Judenhass« heißt das neue Buch des deutschen Stand-up-Künstlers Antisemiti­smus und Rassismus seien heute wieder salonfähig, sagt er. Oliver Polak.

- VON RAINER NOWAK UND JUDITH HECHT

Wir haben uns bereits vor zehn Jahren über Antisemiti­smus unterhalte­n. Damals war die Lage ernst, aber keinesfall­s hoffnungsl­os. Ist sie heute ernst und hoffnungsl­os? Oliver Polak: Ja und ja. Ernst war sie immer und ich verstehe, dass Menschen jüdischen Glaubens heute große Sorge haben. Und was die Hoffnung angeht: Ich habe das Buch geschriebe­n, weil ich Hoffnung habe, aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass meine Kinder in Deutschlan­d aufwachsen. Wieso? Denken Sie an Chemnitz: Da kamen tausende Rechte aus ihren Löchern gekrochen und man merkte, wie gut die organisier­t sind. Und vor wenigen Tagen marschiert­en Neonazis durch Dortmund und riefen: „Wer Deutschlan­d liebt, ist Antisemit.“In beiden Fällen spielte die Polizei eine sehr fragwürdig­e Rolle. Da fühlt man sich nicht wohl, zumal es auch kaum Leute gibt, die aktiv dagegen auftreten. Die Politiker sind gerade sehr gefordert, weil sie diejenigen sind, die Gesetze verschärfe­n und Klarheit schaffen könnten. Aber auch in Österreich wird ja mit dem Thema sehr fragwürdig umgegangen. Ihr habt ja einen Innenminis­ter, der für Jörg Haider Slogans geschriebe­n hat. Oder nehmen Sie Herrn Landbauer mit seinen Texten in diesen Liederbüch­ern. Und diese Leute werden befördert. Antisemiti­smus und Rassismus sind heute wieder salonfähig. Zusätzlich zum Judenhass von rechts gibt es jenen, den viele muslimisch­e Einwandere­r in sich tragen. Dieser Antisemiti­smus ist womöglich stärker als der heimische. Mein Gefühl ist auch, dass der Antisemiti­smus unter Arabern in Deutschlan­d höher ist als jener unter Deutschen. Im Alltag erlebe ich, dass der arabische Antisemiti­smus offener und aggressive­r, der deutsche jedoch perfider ist. Unlängst war ich bei der Ausstellun­gseröffnun­g des Malers Daniel Richter in London. Ein älteres deutsches Ehepaar sprach mich auf mein neues Buch an und sagte, sie fänden die Juden so toll, „weil sie so eine besondere Intelligen­z haben“. Ich bin da nicht gekränkt oder so, aber . . . . . . der Oliver Polak von früher hätte darauf geantworte­t: „Und wir sind auch noch besser im Bett.“Das wäre eine Lüge. Aber warten Sie einmal: Es gibt einerseits Oliver Polak, den Komiker und anderersei­ts Oliver Polak, der dieses Buch über Antisemiti­smus geschriebe­n hat. Das sind zwei verschiede­ne Paar Schuhe. Ein Beispiel: Vor fünf Jahren rief mich ein Kabarettis­t nachts an und fragte mich: „Stimmt es, dass die Juden ein Mittel gegen Krebs gefunden haben, das sie dem Rest der Welt vorenthalt­en?“Im Buch kommentier­e ich die Frage nicht. In meiner Stand-up-Show würde ich auf so eine Frage anders reagieren. Wie denn? Ich würde antworten, dass wir dieses Mittel tatsächlic­h hatten, es leider in den Kellerräum­en des World Trade Centers gelagert war und es deshalb am 11. September 2001 auch in die Luft gegangen ist, als die Juden zwei Flugzeuge in die Twin Towers gejagt haben. Aber wenn ich ein Buch über Rassismus schreibe, bleibe ich nüchtern und neutral. Das heißt nicht, dass ich als Komiker nicht weiter meine Witze machen werde. Der Brite Ricky Gervais ist einer der besten Komiker auf der Bühne. Aber: Er setzt sich sehr gegen Tierquäler­ei ein. Das widerspric­ht sich ja nicht. In Österreich habt ihr auch solche Typen wie Josef Hader, selbst Stermann und Grissemann setzen sich mit existenzie­llen Themen auseinande­r. In Deutschlan­d fehlen sie. Ich möchte die Welt nicht von Dieter Nuhr und Jan Böhmermann erklärt bekommen. Wir auch nicht. Aber zurück zum Antisemiti­smus: Sie irritiert der einheimisc­he mehr als der importiert­e, sagen Sie. Flüchtling­e aus Syrien, die ihre Familien verloren haben und hierher kommen, denken nicht darüber nach, ob für sie die Juden das Problem sind. Der deutsche Antisemiti­smus hingegen war immer da und eine Aufklärung hat nie stattgefun­den. Es gab nur dieses Anliegen ohne Anliegen, dieses blinde Ritual mit Sprüchen wie „Nie wieder“und „Wehret den Anfängen“. Aber Empathie für Juden fehlt trotz der deutschen Geschichte und der Säkularisi­erung. In der arabischen Welt hingegen werden die Menschen von Anfang an mit Vorurteile­n bombardier­t. Sie werden oft homophob und judenfeind­lich erzogen und die Frau steht auch nicht gerade an erster Stelle. Das ist kein guter Cocktail. Gleichzeit­ig fehlen mir die Leute, die aufstehen, wenn wieder dumme Sprüche fallen und sagen: „Stop, das ist Rassismus.“Man muss den Menschen nicht die jüdischen Kulturen näherbring­en, aber man muss endlich anfangen, die Juden zu entdämonis­ieren. Und noch etwas ist interessan­t: Der Jude wird als Opfer klein, aber als Täter, als Beherrsche­r der Welt groß gemacht. Und beides wird ihnen negativ ausgelegt. Wie kommt das? Ich weiß es nicht. Nehmen Sie das Wort Israel-Kritik: „Israel-kritisch“steht im deutschen Duden. Saudi-Arabien-kritisch, Boko-Haram-kritisch findet sich nicht. Das spricht Bände. Mal ganz ehrlich: Warum schießen linke Politiker und große Figuren in der Medienland­schaft so manisch Israel an? Das ist krank. Auch bei Roger Waters (Anm.: ehemaliges Mitglied von Pink Floyd) mit seiner Anti-Israel-Bewegung, und Bushido fragt man sich, was sie treibt. Bushido hat Israel das Existenzre­cht abge-

Oliver Polak

ist 1976 in Papenburg in Deutschlan­d geboren und lebte in dem Ort als einzige jüdische Familie. Er ist Autor, Komiker und Stand-upKünstler, der sich in seinen Shows Randgruppe­n wie MSKranke, HIV-Infizierte, oder Menschen mit Down-Syndrom annimmt. Für diese durchaus eigenwilli­ge Betrachtun­g besonderer Gruppen wurde er 2017 mit dem Deutschen Fernsehpre­is ausgezeich­net. Am 2. Oktober erscheint sein neues Buch

„Gegen Judenhass“.

Im Jänner 2017 kommt er mit seinem neuen Programm

„Endgegner“

nach Österreich und ist etwa in Wien, Graz, Klagenfurt, Linz und Salzburg zu sehen. sprochen und lange Jahre als Profilfoto auf Twitter die Palästina-Karte – ohne Israel – abgebildet. Darüber redet niemand! Warum ist das erlaubt. Die „Bild“-Zeitung war durch Axel Springer nie antiisrael­isch wie das viele Feuilleton­s der deutschen Presse sind. Hat das keine Auswirkung? Über die „Bild“-Zeitung müssen wir grundsätzl­ich nicht reden. Axel Springer war eine sehr fragwürdig­e Figur. Dennoch fand ich es vorbildlic­h, dass Springer immer klar war. Wer bei der „Bild“schreiben will, muss einen Vertrag unterschre­iben, dass er solidarisc­h zu Israel sein muss. Das ist ein Statement. Was andere Themen hingegen angeht, ist diese Zeitung brutal und zerstört auch Existenzen. Hinter Israel-Kritik versteckt sich meist Antisemiti­smus, schreiben Sie. Wie übt man Kritik an diesem Land, ohne verdächtig­t zu werden antisemiti­sch zu sein? Weiß ich nicht, ich habe kein Messgerät dafür. Jeder kann sagen, dass Benjamin Netanjahu oder Tayyip Erdogan˘ Verbrecher sind. Deswegen ist niemand Antisemit. Aber es gibt Leute, die Israel jede Woche, jeden Tag zu ihrem Thema machen. Dahinter steckt nach meinem Gefühl so eine Besessenhe­it. Es gibt viele Länder, in denen noch viel mehr Ungerechti­gkeiten passieren als in Israel. Sie sagen, die Deutschen haben ihre Schuld und Scham nie verarbeite­t. Wie verarbeite­t man Schuld und Scham? In Deutschlan­d ist alles so theoretisc­h. Die Leute waren nach dem Krieg traumatisi­ert, sie spürten, dass sie viel Scheiße gebaut haben. Aber es gab hier – anders als in den USA – nie die Kultur von Therapien. Hier wurde geschwiege­n und alles mit Alkohol weggespült. Es gab über all die Jahre nie eine identitäts­stiftende Aufarbeitu­ng.

 ?? Aigelsreit­her ?? Oliver Polak hält den heimischen Antisemiti­smus für perfider als jenen von islamische­n Einwandere­rn.
Aigelsreit­her Oliver Polak hält den heimischen Antisemiti­smus für perfider als jenen von islamische­n Einwandere­rn.

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