Die Presse am Sonntag

Wenn hauchdünne­s Holz reist: So viel Bruegel

Am Dienstag beginnt eine Ausstellun­g, die man eine Sensation nennen kann: Die weltweit erste große Einzelauss­tellung Pieter Bruegels des Älteren. Und das in Wien.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Brügel, Brögel, Brüschel, Bröchel – im Stakkato sieht man in dem Video des Kunsthisto­rischen Museums Menschen vor dem „Turmbau zu Babel“den Namen des berühmten Malers ausspreche­n, die totale Sprachverw­irrung vor dem biblischen Symbol genau dieser, das hat etwas. Der Flame sagt übrigens so etwas wie „Bröchel“. Dem Wiener wird das angesichts seines BreugelSaa­ls im KHM wohl relativ egal bleiben.

Wie es überhaupt mit Bruegel und dem Wissen über ihn so eine Sache ist. Haben Sie als Kind auch diese Geschichte mit dem einen Bein zu viel gehört, das sich in der „Bauernhoch­zeit“befinden soll? (Stimmt nicht.) Tradiertes Halbwissen wie dieses soll ab Dienstag die Ausstellun­g im Kunsthisto­rischen Museum ausräumen; Bundeskanz­ler Kurz wird sie mit dem belgischen Königspaar eröffnen. Es ist schließlic­h nicht irgendeine Ausstellun­g, man kann hier guten Gewissens Superlativ­e bemühen: Es ist die erste nur Pieter Bruegel dem Älteren, dem Vater der Malerdynas­tie, gewidmete überhaupt und wird auch „hoffentlic­h die letzte sein“, richtete der Direktor des königliche­n Kunstmuseu­ms in Brüssel, Michel Draguet, seiner Kollegin in Wien Sabine Haag aus. Auf hauchdünne­s Holz gemalt. Draguet ist einer der nervösen Leihgeber für dieses monumental­e Wiener Unternehme­n, an dem seit 2012 gearbeitet wird, seit man bei einem Projekt der US Getty Foundation zur Holztafelb­ildrestaur­ierung einstieg. Es ist nämlich so: Bruegel-Gemälde gehören zu den größten Schätzen der Museumswel­t, man könne sie in ihrer Fragilität mit „riesigen Porzellans­kulpturen“vergleiche­n, so KHM-Restaurato­rin Elke Oberthaler aus dem Kuratorent­eam (Sabine Penot,´ Manfred Sellink, Ron Spronk). Gemalt wurden sie auf hauchdünne baltische Eiche, weswegen sie ungern bewegt werden, schon gar nicht von einem Land ins andere.

Außerdem gibt es insgesamt nur 40 davon (plus eins, siehe Geschichte). Wien besitzt dank Rudolf II. und seinem jüngeren Bruder Ernst, damals spanischem Statthalte­r in den Niederland­en, über ein gutes unglaublic­hes Viertel dieses Werks, zwölf Stück. Es wussten daher alle: Wenn eine große Bruegel-Ausstellun­g überhaupt je zustande kommen sollte, dann in Wien. So werden hier 90 Werke Bruegels zu sehen sein, darunter 28 Gemälde.

Durch dieses Unterfange­n hat die Forschung enormen Aufwind bekom- men, wurde Wien wieder als Zentrum der Bruegel-Forschung etabliert, eine Rolle, die mit der Vertreibun­g der jüdischen Bruegel-Experten des KHM wie Gustav Glück 1938 abriss. Seither scheint nicht viel passiert zu sein, außer dass sich täglich Massen von Touristen im Bruegel-Saal auf die Füße treten. Die Liebe war nicht immer so groß, die Bruegel-Rezeption ging über die Jahrhunder­te durch viele Höhen und Tiefen, er wurde als „Bauernbrue­gel“missversta­nden, bis auf eines seiner Bilder wurden praktisch alle in ihrer Größe beschnitte­n, nur, um besser in irgendwelc­he Rahmen oder Galerieauf­hängungen zu passen. Triumph des Nationalkü­nstlers. Erst Ende des 19. Jahrhunder­ts, mit der Etablierun­g des Fachs Kunstgesch­ichte und der Suche nach Nationalkü­nstlern, begann Bruegels Triumphzug. Dennoch gab es bisher, man kann es sich schwer vorstellen, nicht einmal durchgehen­d Röntgenbil­der oder Fotos der Rückseiten dieser Ikonen flämischer Malerei. Der Darstellun­g dieser Ergebnisse ist ein eigener Strang in der Ausstellun­g gewidmet. So konnten etwa neue Rückschlüs­se auf die Malweise gezogen werden – etwa, dass die Umrisse der Figuren höchstwahr­scheinlich mittels Schablonen oder Kartons aufgetrage­n wurden, wie Bruegel sie aus seiner Ausbildung, in der auch Tapisserie­n gefertigt wurden, gut kannte. Hatte er eine Werkstätte? Wie viele Werke sind verschwund­en? Man weiß ziemlich wenig über diesen um 1525/30 in Nordbraban­t geborenen Maler. Ehrgeizig muss er gewesen sein, nicht zufällig erinnern uns viele seiner teils grotesken Motive und seine Wimmelbild­er an seinen berühmten Vorgänger Hieronymus Bosch, der etwa zehn Jahre vor seiner Geburt, nur 50 Kilometer entfernt gestorben ist. Der „neue Bosch“. Der junge Bruegel vermarktet­e sich bewusst als „neuer Bosch“, dessen Kunst damals viele nachjagten, u. a. eben Kaiser Rudolf II. Zur Not „begnügten“sie sich eben auch mit Bruegel. Doch bald wurde er eigenständ­ig, bei Bruegel etwa findet die Hölle, die bei Bosch netterweis­e noch schön brav separiert ist, mitten unter uns, mitten auf Erden statt. Überhaupt wirken Bruegels Bilder viel realistisc­her, er zeigt Szenen aus dem alltäglich­en Leben, Kinderspie­le etwa oder die Jahreszeit­en. Dabei folgt alles einer genauen Dramaturgi­e, der Blick wird gelenkt und in die Tiefe gesogen, schweift von einem winzigen Detail zum nächsten; das hat auch Filmregiss­eure immer beeindruck­t, viele bezogen sich auf Bruegel. In „Solaris“von Andrei Tarkowski Bruegelbil­der auf Reisen: Die „Tolle Grete“aus Antwerpen (li.) und die „Heuernte“aus Prag, eines der Jahreszeit­enbilder. oder „Melancholi­a“von Lars von Trier spielt etwa das Gemälde die „Heimkehr der Jäger“eine wichtige Rolle.

Bruegels Winterbild­ern, mit denen er den Kanon der nordischen Winterbild­er prägte, ist ein neues Buch gewidmet, das anlässlich der Wiener Ausstellun­g vom Brüsseler Museum herausgege­ben wurde. Hierher war Bruegel von Antwerpen gezogen, wo er bei Pieter Coecke van Aelst und seiner Frau, Miniaturma­lerin Mayken Verhulst, gelernt und des Meisters Tochter geheiratet hat. In Brüssel bediente er einen humanistis­chen Sammlerkre­is, war hochgeschä­tzt und hinterließ 1569 zwei männliche Kleinkinde­r, die ihn, ausgebilde­t vermutlich von der Schwiegerm­utter, beerben und seine Bildmotive unzählige Male variieren sollten.

Das Grab Bruegels in der NotreDame de la Chapelle ist der einzige Ort, der heute in Brüssel an Bruegel erinnert. Es gibt kein Haus, die meisten Bilder sind in Wien – dafür gibt es Bokrijk. Das Freiluftmu­seum, eine Stunde von Brüssel, widmet sich ab April 2019, wenn Bruegels Todestag sich das 450. Mal jährt, seiner Welt. Sehr originell plant man dort, Bruegels Bilder zum Leben zu erwecken, den Alltag mit originalen Geräten und Häusern sowie einem virtuellen Spiel spürbar werden zu lassen. Denn, so realistisc­h Bruegels Landschaft­en und Szenen auch wirken, sie waren, wie die Bokrijk-Anlage einer niederländ­ischen Idealkultu­rlandschaf­t, alle konstruier­t.

Die Wiener Bruegels reisen nicht: Sie sind fragil wie riesige Porzellans­kulpturen.

 ?? KHM/Boijmans von Boningen ?? Erstmals nach 400 Jahren wieder vereint – der Wiener Turmbau zu Babel und der „kleine“aus Rotterdam. Beide waren einmal in der Sammlung Kaiser Rudolfs II.
KHM/Boijmans von Boningen Erstmals nach 400 Jahren wieder vereint – der Wiener Turmbau zu Babel und der „kleine“aus Rotterdam. Beide waren einmal in der Sammlung Kaiser Rudolfs II.
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