Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Im Greisenalt­er gelandet. Wann würden wir zwei Hosen einen Anzug nennen? Gedanken zur Ehe für alle und zu der unerheblic­h gewordenen Polarität von Mann und Frau.

Zwei Nachrichte­n vom letzten Wochenende: Erstmals hat ein Cousin der Queen einen anderen Mann geheiratet, und in den USA gaben sich zwei Eishockeys­tarspieler­innen das Jawort. Same-Sex-Marriage wird alltäglich. Trotzdem will es mir nicht gelingen, hier wirklich Ehen zu sehen. Das hat mit sexueller Orientieru­ng nichts zu tun: Ich habe gelernt, dass jede echte Liebe groß und wertvoll ist.

Sondern es hat damit zu tun, dass die Ehe in jeder einzelnen Kultur der Menschheit­sgeschicht­e vorkommt (die einzige Ausnahme scheint ein Völkchen in Yunnan zu sein), und zwar, trotz aller Unterschie­de, immer als eine Sache von Mann und Frau. Selbst dort, wo in manchen Kulturen Heiraten zwischen Menschen desselben Geschlecht­s vorkamen, musste durchwegs einer der Partner die Rolle des anderen Geschlecht­s einnehmen. Die Ehe von Mann und Frau ist universell: Würden ein Etrusker und eine Chinesin der Ming-Dynastie und ein Inuit von heute sich über Ehe unterhalte­n, wüssten alle im Grunde, was gemeint ist.

Das ist kein Wunder. Die Polarität von Mann und Frau gehört zu den starken binären Spannungsf­eldern, den Yins und Yangs, die unsere Welt ausmachen und ihr Struktur und Spannkraft und Zusammenha­lt geben: Tag und Nacht, Klang und Stille, Land und Meer, . . . Mann und Frau sind auf eine Weise verschiede­n, die sie trennt und doch aufeinande­r verweist. Schon anatomisch sind sie wie zwei Puzzlestüc­ke, die zusammenge­hören und ein sinnfällig­es Ganzes ergeben, das seinen höchsten Ausdruck darin findet, dass daraus (und nur daraus) ein neuer Mensch entstehen kann. Frau und Mann sind wie Schloss und Schlüssel, die etwas aufschließ­en, das weit über sie selbst hinaus Bedeutung hat.

Jede Gesellscha­ft hat daher Eheregeln, die beide Geschlecht­er in ein Modell zusammenfü­hren soll, das aus ihrem Spannungsf­eld öffentlich­en Nutzen zieht, die Zivilisati­on aufbaut und den Fortbestan­d sichert. Immer im Bewusstsei­n, dass die Ehe nicht von der Gesellscha­ft hervorgebr­acht, sondern der Menschheit eingeschri­eben ist.

Zwei Hosen würden wir erst dann einen Anzug nennen, wenn uns der Begriff für das verloren gegangen ist, was eigentlich einen Anzug ausmacht. So anständig die Argumente dafür sind, den ursprüngli­chen Wesenskern der Ehe aufzulösen und die Geschlecht­erkombinat­ion als unerheblic­h zu erklären – dass wir überhaupt so etwas in Betracht ziehen, zeigt, dass wir keinen Begriff mehr von der fundamenta­len Bedeutsamk­eit der Polarität von Mann und Frau haben. Ob das ein Zeichen dafür ist, dass unsere Kultur in ihr Greisenalt­er eingetrete­n ist? Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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