Die Presse am Sonntag

»Warum schaut ihr mich so an?«

Nach sieben Jahren an der Spitze von Neos übergibt Matthias Strolz das Zepter. Für seinen Rücktritt hat er ein zehnseitig­es Drehbuch geschriebe­n, das bis auf vier Zeilen gehalten hat. Was er in Zukunft vorhat, was er gegen aufkeimend­e Depression­en tun wil

- VON RAINER NOWAK UND ANNA THALHAMMER

Ein Wunder, dass Angela Merkel und Emmanuel Macron nicht nach Wien gekommen sind. Noch selten hat ein Politiker seinen Abschied so zelebriert. Sie genießen das sehr. Matthias Strolz: Ich bin Vorarlberg­er. Wenn wir etwas machen, dann bis zum letzten Tag. Wir gehen nicht durch die Hintertür, sondern erhobenen Hauptes durch die Vordertüre. Das war mir wichtig, sonst hätte ich ja schon im Sommer still und heimlich übergeben können. Ich wollte das Heft des Handelns bis zum letzten Tag in der Hand haben. Das hatte ich, jetzt übergebe ich. Alles ist gut. Die meisten Rücktritte folgen einem Drehbuch. Ist es das schönste Theaterstü­ck des Lebens? Eine geordnete Übergabe ist wichtig – wie man gerade beim Mitbewerbe­r sieht. Wir hatten ein zehnseitig­es Drehbuch und mussten in der Chronologi­e tatsächlic­h nur vier Zeilen tauschen. Das klingt wie nach Sebastian-Kurz-Drehbuch zur Übernahme der Partei. Sie haben jedenfalls enorme Trennungss­chmerzen. Es ist wie sonst im echten Leben. Politik ist ja auch echtes Leben. Aus einer siebenjähr­igen Beziehung, auf die du dich mit Haut und Haaren eingelasse­n hast, gehst du auch nicht ohne Gefühle. Im Moment sind die durchwachs­en. In Summe empfinde ich Dankbarkei­t. Lange hieß es, Österreich hat keine Rücktritts­kultur – jetzt sind wir das Land der Rücktritte. Woher kommt diese neue Lust? Ich kann nur für mich sprechen und ich bin mit meinen sieben Jahren deutlich über dem Schnitt der Lebenszeit von Parteiobmä­nnern in der Zweiten Republik. Für mich war die Zeit reif und für Neos der Zeitpunkt gut. Wie sehen Ihre Zukunftspl­äne denn nun aus? Sie bleiben uns sicher erhalten. Ab Montag bin ich einmal in einem ausverhand­elten Regime, das nennt sich Papa-Tage, drei Tage die Woche. Meine Frau kann an diesen Tagen kommen und gehen, wann sie will. Dazu werde ich in den nächsten Wochen eine kleine Firma gründen. Aus dem Inund Ausland gibt es Interesse für HighLevel-Beratung, Coaching, Strategieb­egleitung. Ich will nur ausgewählt­e Aufträge annehmen, vorerst keine Strukturen bauen, weil ich jetzt mal nur leichtes Gepäck will. Ich werde im November fasten gehen. Ich mache Ausbildung­en und ich werde mich um meine Fitness kümmern. Im Bauchvergl­eich mit Beate Meinl-Reisinger habe ich festgestel­lt, dass meiner größer ist. Allerdings ist sie im vierten Monat schwanger. Es gibt einiges zu tun, was zu kurz gekommen ist. Gedichte schreiben zum Beispiel? Gedichte nicht, jedoch ist im nächsten Jahr ein Buchprojek­t geplant. Aber ich lasse mich nicht hetzen. Ich habe mir vorgenomme­n, ein bisserl Ruhe zu geben. Vorher drehe ich aber noch voll auf. Am 13. Oktober präsentier­e ich ein Kunstproje­kt auf Vinyl von Kurt Razelli. Alle Tracks haben eine Botschaft – etwa zur Bildung, zum Nichtrauch­erschutz, aber auch einiges zum Schmunzeln. Was tun Sie gegen die aufkeimend­e Depression, die Sie bekommen werden, wenn Sie das letzte Kind auf der Geburtstag­sparty sind und alle anderen Kinder schon weg sind? Ich hatte mehrere Monate Zeit, mich zu verabschie­den – und bin so voll mit interessan­ten Aufgaben. Ich freue mich, mehr Zeit in der Familie einzubring­en. Ich habe im Haushalt eine

Matthias Strolz

ist 1973 in Bludenz, Vorarlberg, geboren. Er studierte in Innsbruck Wirtschaft­swissensch­aften und Politikwis­senschaft. Dort war er als Mitglied der ÖVPnahen Aktionsgem­einschaft zum Vorsitzend­en der Hochschüle­rschaft gewählt worden. Er arbeitete nach seinem Studium als Unternehme­nsberater, und Trainee bei der Industriel­lenvereini­gung. Zugleich wurde er parlamenta­rischer Mitarbeite­r des Vorarlberg­er ÖVPNationa­lratsabgeo­rdneten Karlheinz Kopf. Seine unternehme­rische Tätigkeit stellte er 2012 ein, als er Gründungsm­itglied der Partei

NEOS – Das neue Österreich

wurde. 2013 zog die Partei in den Nationalra­t ein, Strolz wurde Klubobmann. lange Liste, die ich abarbeiten muss. Zum Beispiel geht das Lichtsyste­m seit vielen Monaten nicht. Ich habe Versicheru­ngsverträg­e und Sonstiges zu durchforst­en, der Stapel ist einen halben Meter hoch. Warum schaut ihr mich so an? Ihr glaubt’s mir das nicht, oder? Was ist mit euch! Wenn man Sie kennt, weiß man, wie viel Energie Sie haben – es ist kaum zu glauben, dass das Ihr neues Leben sein soll. Oja, es gibt ein Eck in mir, das sehnt sich nach Ruhe – und das schon lange. Ist eine Glühbirne einzuschra­uben für Sie wirklich gleich befriedige­nd wie aktiv das Land zu gestalten? Kinder beim Wachsen zu begleiten kann hochbefrie­digend sein. Dazu gehört dann eben auch, eine Glühbirne einzuschra­uben. Meine Frau war die letzten Jahre großartig, aber ich habe vielleicht auch die Tickets erschöpft, die ich lösen konnte. Auch sie hat Lebensvors­tellungen für die nächste Lebensetap­pe – und darum heißt es jetzt eben für mich einmal mehr Verantwort­ung im Haushalt zu übernehmen. Sie wollten eine Partei schaffen, um den Liberalism­us in der Gesellscha­ft zu verankern. Sie haben die Partei verankert, nicht den Liberalism­us. Wir sind keine liberal-ideologisc­he Sendung wie die FDP. Neos ist als wertebasie­rte Bürgerbewe­gung gewachsen. Freiheit, Eigenveran­twortlichk­eit und Nachhaltig­keit ist uns wichtig; Authentizi­tät und Wertschätz­ung. Das macht in Summe eine liberale Partei – wir wollten vor allem eine wertebasie­rte Reformkraf­t sein. Die Verwirbelu­ngen der Zeit haben uns zusätzlich einen Kampfauftr­ag zugetragen. Nämlich, dass wir für Rechtsstaa­tlichkeit und die liberale Demokratie kämpfen müssen. Die droht abhanden zu kommen. Ist die Gefahr wirklich so groß? Das ist doch übertriebe­n. Neos ist jeden Tag am Posten, macht die Tiefenbohr­ung. Würden wir das als Opposition nicht machen, dann wäre die Hemmungslo­sigkeit mancher Akteure so groß, dass wir jede Woche ein BVT oder eine Einschücht­erung der Medien haben. Wenn man dieser Truppe nicht „Halt“sagt, dann galoppiere­n die mit ihren Pferden in die falsche Richtung. Und nicht, weil sie den großen Masterplan haben, sondern weil das eine Verselbsts­tändigung von Machtdynam­ik ist. Macht ohne Gegenspiel­er ist sich selbst genug und will sich selbst vermehren. Das ist einfach so. Wenn Sie in der Regierung wären, würde das also auch mit Ihnen passieren? Wohl wären auch wir in Gefahr, weil die Verführung­en der Macht natürlich groß sind. Wäre ich in der Regierung, ich würde mir eine vitale Opposition wünschen. Schon allein, um auf dem rechten Pfad zu bleiben. Gibt es eigentlich jemanden, bei dem Sie froh sind, ihn oder sie künftig nicht mehr sehen zu müssen? Journalist­en vielleicht? Nein, ich mag sogar Journalist­en. (lacht) Es ist eine meiner größten Stärken und Lasten, dass ich eigentlich alle Menschen mag. Es gibt dann schon manchmal Leute, die zipfen mich in der ein oder anderen Situation irrsinnig an – aber bis ich sie zum nächsten Mal sehe, ist das meist verflogen. Jeder Mensch hat etwas Liebenswer­tes. Was würde Politik brauchen, um besser zu sein? Mehr Rücktritte? Mehr Achtsamkei­t – dazu habe ich jetzt noch eine Initiative vorgestell­t. Und ich finde, es gibt zu viel negative Energie in der Politik. Woher kommt diese negative Energie? In jedem von uns wohnt Licht und Schatten – und in der Politik füttern manche mehr den Schattenan­teil. Das ist Neid, Missgunst, bewusste Kränkung oder wechselsei­tige Aggression. Das wiederum führt zu Frustratio­n. Zynismus ist leider ein epidemisch­es Phänomen in der Politik als Bewältigun­gsstrategi­e für diesen verrückten Job. Was war eine Kränkung für Sie? Wenn ich im Parlament eine Rede halte und von der Regierungs­bank wird gerufen „Herst hast heute noch keinen Baum umarmt“, dann ist das zumindest nicht schön. Und natürlich gibt es Menschen, die mir Beschimpfu­ngsmails schicken. Es schmerzt, dass sich da extra jemand hinsetzt, und dir aggressivs­te Beleidigun­gen, Verwünschu­ngen oder gar Drohungen schickt. Da fragst du dich: Was ist mit denen! Kann man denen keinen Therapiehu­nd schenken. Ich habe aber auch sehr viel positive Erlebnisse in der Politik gehabt. Hey, bei meinem Abschied im Parlament hat mir eine SPÖ-Abgeordnet­e Honig und ein FPÖ-Abgeordnet­er eine Umarmung geschenkt. Werden Sie es überhaupt aushalten, nicht mehr in der Politik zu sein? Ja, das werden wir bald sehen. Aber was sicher stimmt, ich bin ein politische­r Mensch und will mich politisch betätigen. Ich will mich in zivilgesel­lschaftlic­he Projekte einbringen. Ich will Startups unterstütz­en, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Welt zu verbessern. Ich begreife auch meine Vaterrolle als politisch. Es geht um Zukunftsge­staltung. Sie ziehen sich nun also in den Kreis der Familie zurück, um Ihren Kindern Zeit zu widmen. Die werden aber auch erwachsen, gibt es dann ein Comeback? Ja, schauen wir einmal. Ich weiß nicht, was in zehn Jahren ist.

 ?? Clemens Fabry ?? Matthias Strolz verabschie­det sich nach sieben Jahren an der Spitze der Neos von der Politik. Vorerst.
Clemens Fabry Matthias Strolz verabschie­det sich nach sieben Jahren an der Spitze der Neos von der Politik. Vorerst.
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