Die Presse am Sonntag

Zu gut für die Politik?

Der SPÖ-Chef a. D. ist nun auch SPÖ-EU-Spitzenkan­didat a. D. Christian Kern besiegelt seinen Rückzug auf Raten aus der Politik. Zum Finale richtet er seiner Branche aus, was er von ihr hält.

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Dem Spruch vom guten Roten, den man am Abgang erkennt – dem konnte Christian Kern nicht widerstehe­n. Paradoxerw­eise. Denn würde man ihn wirklich allein danach bewerten, fiele das Urteil harsch aus. Kern hat es geschafft, das, was fast allen Politikern gelingt – Zitat Matthias Strolz: „Nie ist die Liebe so groß wie im Abschied“–, zu vergeigen. Nicht einmal. Sondern zwei Mal.

Statt sanft besonnt vom Glanz verfrühter Nostalgie abzutreten, stolpert Kern den ExitGang entlang. Wankelmut, dein Name sei Kern – das ist es, was letztlich von dem verunglück­ten Abschied auf Raten übrig bleibt.

Wobei es verschiede­ne Theorien zu diesem zweiten Rückzug gibt. Eine lautet: Kern habe realisiert, dass seine Chance, Spitzenkan­didat der Europäisch­en Sozialdemo­kraten zu werden, doch überschaub­ar sind. Als einfacher Abgeordnet­er im EU-Parlament zu sitzen wäre für einen, der nur gut in der ersten Reihe ist, aber keine Option gewesen.

Eine andere Variante geht so: Kern habe für die EU-Wahl ein Bündnis mit Neos und Grünen schmieden wollen. Und die SPÖ habe das abgedreht. Sicher ist, dass es in der Partei viele mit viel Gewicht gab, die Kern loswerden wollten und die am Samstag zwar vom Termin, aber nicht vom Abgang überrascht waren. Darunter wohl auch Pamela „Ich bin nicht Christian Kern“-Rendi-Wagner. Der einstige Strahleman­n wurde zunehmend als Altlast und als zu wenig berechenba­r empfunden. Das Klein-Klein. Das passt auch zu der Art, wie sich Kern verabschie­det hat. Nämlich doch eher unfreundli­ch. Die Botschaft, grob zusammenge­fasst: Kern hätte gern noch einmal kurz, wenn nicht die Welt, dann doch Europa gerettet, aber die schnöde Innenpolit­ik („das Klein-Klein“) ist ihm dazwischen­gekommen.

Wer mit den kleinen Kleinen gemeint ist, wurde schnell klar: alle – außer Kern, der herausstri­ch, dass er, der Idealist, weder mit den Genossen („Intrigen von hüben und drüben“) noch mit dem Rest der Innenpolit­ik viel gemein hat. „Ich komme nicht aus dem politische­n System, ich bleibe nicht in dem politische­n System“, sagt er und zeigt, dass auch ein Ex-Kanzler den „Volkssport Politik-Bashing“beherrsche­n kann.

Auch die Nachfolger­in, der er als Abschiedsg­eschenk schon einen Bihänder überreicht hat, geht nicht leer aus. Im Gehen ruft er ihr quasi zu, dass sie nicht vergessen soll, wem sie ihre Karriere zu verdanken habe: Er habe sie in der Partei trotz „Friktionen“durchgedrü­ckt und überhaupt ihre Karriere von langer Hand geplant. Es sei kein Zufall, dass sie die Nummer zwei auf der Nationalra­tswahllist­e gewesen sei.

Alles Masterplan also. Aber gut, das Schönen der Bilanz (darunter fällt: „Habe Partei auf besserem Niveau übergeben als übernommen“) gehört zum Finale dazu. Genauso wie die Kränkung. Die traf auch jene mit den geglückter­en Abschieden. Reinhold Mitterlehn­er etwa, dem Kern explizit dankte und von dem Sebastian Kurz dieser Tage vielleicht denkt, er hätte ihm doch einen Job geben sollen. Dann hätte er weniger Zeit, das Frauenvolk­sbegehren zu unterschre­iben – und für Pressekonf­erenzen mit den Grünen.

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