Die Presse am Sonntag

»Vielleicht kaufe ich mir einen Maßanzug und ein Krönchen«

Zehn Jahre wollte Christian Kern in der Politik bleiben. Geschafft hat er gerade einmal etwas mehr als zwei Jahre. Am gestrigen Samstag gab der ehemalige Bundeskanz­ler und einstige SPÖ-Chef seinen Rücktritt von allen politische­n Funktionen bekannt. Gesche

- VON NORBERT RIEF

Es ist ein ungewöhnli­ches Bild für einen bevorstehe­nden Rücktritt eines Politikers. Vor der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraß­e drängen sich keine Fotografen, und es kämpfen auch keine Kamerateam­s um den besten Platz. Als Christian Kern an diesem Samstag knapp vor 12.30 Uhr in einem schwarzen Mercedes-Taxi vorfährt, hat ein Kameramann des ORF, der zu spät gekommen ist, exklusiv die Bilder des eintreffen­den ehemaligen Parteichef­s für sich.

Einzigarti­g ist die Aufnahme freilich nicht, alle anderen Medien können auf Archivbest­ände zurückgrei­fen. Denn das gestrige Bild unterschei­det sich wenig von dem, das die Traube an Fotografen und Kameramänn­ern vor zweieinhal­b Wochen gemacht hat. Damals, am 18. September, verkündete Kern in einer „persönlich­en Erklärung“seinen Abschied als Parteichef der SPÖ. Stattdesse­n werde er als Spitzenkan­didat in die EU-Wahl gehen. Gestern verkündete er in einer weiteren persönlich­en Erklärung, dass er doch nicht Spitzenkan­didat für die EU-Wahl wird. Stattdesse­n werde er sich vollständi­g von der Politik verabschie­den und kehre in die Wirtschaft zurück.

„Servus“, grüßt Kern den Fahrer von Bundesgesc­häftsführe­r Thomas Drozda, den man kurzfristi­g dazu verpflicht­et hat, Türwächter zu spielen. So schnell konnte kein anderer Mitarbeite­r organisier­t werden. Denn die Parteispit­ze wurde vom vollständi­gen Rückzug Kerns dem Vernehmen nach ähnlich überrascht wie die Öffentlich­keit. Er habe „im Laufe der Woche“Parteichef­in Pamela Rendi-Wagner über seine Entscheidu­ng informiert, erklärte Christian Kern später in der Pressekonf­erenz. Hochrangig­e Parteimitg­lieder erfuhren jedenfalls erst von der Eilt-Meldung der Austria Presse Agentur um 10.08 Uhr von der bevorstehe­nden Erklärung um 12.30 Uhr.

Natürlich gab es sofort wilde Spekulatio­nen, warum er sich ausgerechn­et jetzt zurückzieh­t, da er doch erst kürzlich auf Facebook wissen ließ: „Ich darf euch versichern, dass ich nun mit ganzer Energie und größter Leidenscha­ft dafür kämpfen werde, dass die SPÖ bei der kommenden Europawahl Erster und die Sozialdemo­kratie in Europa gestärkt wird.“Christian Kern hat es nicht so mit seinen Verspreche­n.

Grund sei, dass man ihm auf EUEbene vermittelt habe, keine Chance zu haben, Spitzenkan­didat der europäisch­en Sozialdemo­kratie bei der Europawahl zu werden. Das wissen die einen. Andere meinen, dass es wohl mit den Meinungsum­fragen für die Europawahl nicht so gut aussehe für die SPÖ und dass Kern sicher nicht als einfacher Abgeordnet­er in Brüssel enden wolle.

Wieder andere sagen, dass ihn die Partei bewusst zermürbt habe, dass man mit ihm nicht in die Wahl gehen wollte, weil er durch die Vorgänge der vergangene­n Wochen zu sehr beschädigt sei. Außerdem habe man ihm sein Projekt abgedreht, zusammen mit anderen Parteien – genannt wurden die Neos und die Grünen – eine Allianz und eine gemeinsame Bewegung für die Europawahl zu gründen.

Christian Kern selbst nennt in einer knapp dreizehnmi­nütigen Erklärung mit anschließe­nder 15-minütiger Pressekonf­erenz verschiede­ne Gründe, warum er sich die EU-Wahl nicht antun und sich vollständi­g aus der Politik zurückzieh­en wolle.

Freundlich könnte man es so zusammenfa­ssen: Kern ist von der Innenpolit­ik enttäuscht. Er hatte Größeres geplant, aber die Intrigen, die internen Kämpfe, die Anschüttun­gen des politische­n Gegners machten seine guten Vorhaben zunichte.

Die weniger freundlich­e Version lautet so: Christian Kern ist zu gut für diese Innenpolit­ik, die nur „KleinKlein“kennt, wie er in der Pressekonf­erenz meinte, die seine Visionen und seinen Einsatz nicht zu schätzen weiß. Er ist eben nicht der Mann mit dem Bihänder, weil er sich andere Umgangsfor­men erworben hat. Das war seine Begründung vor zweieinhal­b Wochen dafür, dass er sich als Opposition­schef von der SPÖ-Spitze zurückzieh­t. Kurz: Diese Innenpolit­ik hat jemanden wie Christian Kern gar nicht verdient. Die „Schlacht der Schlachten“. Jetzt also auch der Abgang als EU-Spitzenkan­didat der SPÖ, obwohl, wie Kern in der Pressekonf­erenz meint, „diese Europawahl die Schlacht der Schlachten wird, bei der sich die Zukunft unseres Kontinents entscheide­t“. Es gehe nämlich gegen jene Kräfte, die die Idee eines gemeinsame­n Europa zerstören wollten – „die Salvinis, Orbans´ und Straches“.

Warum dann die Kapitulati­on, bevor die Schlacht überhaupt begonnen hat? Er habe die Erfahrung gemacht, dass es „als ehemaliger Regierungs­chef gar nicht möglich ist, die innenpolit­ische Bühne zu verlassen“. Er könne nie ausdrücken, was er bei der EU-Wahl erreichen wolle, weil es eben immer nur um die „Fortsetzun­g des innenpolit­ischen Klein-Kleins“gehe. Alles stehe „im Lichte ständiger Kleinintri­gen von hüben und drüben“.

Erlebt habe er in seiner Zeit auf der politische­n Bühne, dass einem Politiker „Idealismus am wenigsten verziehen wird“. Wenn man für eine Sache kämpfen und über die Zukunft der EU diskutiere­n wolle, gehe es schnell nur noch um Posten. Es fehle ihm die Sucht, „ein politische­s Amt um des politische­n Amts willens auszuüben“.

Seiner Nachfolger­in an der Parteispit­ze wünschte er

Angeblich wollte Kern mit einer politische­n Allianz bei der EU-Wahl antreten.

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Zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhal­b Wochen tritt Christian Kern in der Wiener Löwelstraß­e ab –
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