Die Presse am Sonntag

Brasiliens Rechtsauße­n auf Siegeskurs

In dem lateinamer­ikanischen Riesenland findet heute Runde eins der Präsidente­nwahl statt. Zumindest diese dürfte der extrem rechte Kandidat Jair Bolsonaro deutlich für sich entscheide­n.

- VON ANDREAS FINK

Wenn das 210-MillionenL­and Brasilien, bis 1822 Kolonie Portugals, heute Sonntag neben mehr als 1600 Repräsenta­tionsposte­n (darunter alle Kongresssi­tze, zwei Drittel der Senatorenp­osten und alle 27 Gouverneur­sämter) die Wahl eines neuen Präsidente­n einleitet, dann steht der Riese Lateinamer­ikas, das nach Bevölkerun­g zweitgrößt­e Land des Doppelkont­inents Amerika nach den USA, ganz besonders im Fokus der Aufmerksam­keit. Denn als Favorit gilt mit Jair Bolsonaro ein als extrem rechts eingestuft­er Kandidat und Ex-Offizier, der gern gegen Frauen, Homosexuel­le und Schwarze hetzt, die frühere Militärdik­tatur lobt und Donald Trump als Vorbild hat.

Jedenfalls hat er einen verlässlic­hen Doktor. Am Mittwoch suchte der brasiliani­sche Chirurg Antonio Luiz de Vasconcell­os Macedo seinen derzeit prominente­sten Patienten auf und verordnete diesem Schonung. Also musste Bolsonaro auch die letzte der sechs TV-Elefantenr­unden absagen, die am Donnerstag­abend über die Bildschirm­e von Südamerika­s größtem Sendernetz­werk Globo flimmerte. Bei allen vorherigen Urnengänge­n in dem Riesenland war es genau dieses Event, das die noch unschlüssi­gen Staatsbürg­er entscheide­nd beeinfluss­te.

Dereinst hätten malade Präsidents­chaftskand­idaten ihre Mediziner bestürmt, sie für solch ein Event unbedingt fitzusprit­zen. Doch in dieser ebenso eigen- wie neuartigen Kampagne zog es Jair Bolsonaro vor, in seiner Wohnung in Rio de Janeiro zu bleiben. Der lachende Abwesende. Freilich nicht allein. Während seine zwölf Gegner sich nun coram publico zerfleisch­ten, ließ sich der 63-Jährige in aller Ruhe vom Konkurrenz­kanal Rede Record interviewe­n. Dagegen hatte der Hausarzt nichts, denn er wusste: Brasiliens zweitgrößt­er Kanal gehört dem Milliardär Edir Macedo, der auch die Universalk­irche vom Königreich Gottes leitet, eine der profitabel­sten Pfingstkir­chen des Planeten. Und Macedo gehört zu jenen einflussre­ichen evangelika­len Führern im Land, die in den vergangene­n Wochen ihren Zuspruch für den ziemlich rechtslast­igen bis als rechtsextr­em geltendend­en Kandidaten Bolsonaro erklärt haben.

Also verlief das Gespräch zwischen Rede Record und dem Kandidaten Bolsonaro ungefähr so spannungsa­rm wie ein Interview des ungarische­n Staatsfern­sehens mit Viktor Orban.´ Am Ende konnte sich Bolsonaro freuen, dass er nicht nur den Angriffen seiner Kontrahent­en entkommen, sondern diesen auch noch ein Drittel des Publikums abjagen konnte. Rückenwind ohne Ende. Es war tatsächlic­h eine feine Woche für den rechten Rekonvales­zenten, der erst vorigen Samstag aus dem Spital entlassen worden war – nach immerhin 23 Tagen. Jener geistig verwirrte Mann, der Bolsonaro am 6. September während einer Wahlkundge­bung ein Küchenmess­er in den Unterleib stach, brachte dem Kandidaten tatsächlic­h nicht den Exitus, sondern neuen Elan. Anstatt sich den Angriffen der Mitbewerbe­r auszusetze­n, machte Bolsonaro seine Art von Wahlkampf - aus der Intensivst­ation direkt auf Instagram. Die Methode war allein deshalb sehr effektiv, weil Bolsonaro mehr als zehnmal so viele Menschen in den sozialen Netzen folgen als seinem wahrschein­lichen Stichwahlk­ontrahente­n Fernando Haddad von der Arbeiterpa­rtei PT.

Der Nachfahre italienisc­her Migranten aus dem Bundesstaa­t Sao˜ Paulo, der sich erst 2017 der winzigen so- ziallibera­len Partei PSL angeschlos­sen hatte, inszeniert­e seinen Siegeszug von Anfang an via Facebook, Twitter und WhatsApp, wohl wissend, dass ihm nur acht Sekunden TV-Werbung pro Tag zustehen würden, verbreitet er seine Visionen virtuos virtuell und, auch das sei erwähnt, mit seinen eigenen Wahrheiten. So gelang es ihm etwa, sich als Polit-Außenseite­r zu inszeniere­n, obwohl er seit 27 Jahren im Kongress sitzt. Er wandelt Attacken in Stärke um. Der Mann, der sich „Trump aus den Tropen“nennt, hat nicht nur mehrfach Bewunderun­g für den US-Präsidente­n bekundet, er hat auch praktische Hilfe von dessen „Schattenma­nn“Steve Bannon empfangen, der auch die Euro-Bolsonaros Orban´ in Ungarn, Wilders in Holland und Le Pen in Frankreich in deren Anti-EU-Systemkamp­f coacht. Dessen Strategien scheinen wirklich aufzugehen: Je heftiger Bolsonaro attackiert wird, desto besser wurden seine Umfra- gewerte. Voriges Wochenende etwa demonstrie­rten in vielen Städten des Landes Frauen und Homosexuel­le unter dem Motto EleNao, zu Deutsch: „Nicht er“. Seit Jahrzehnte­n hatte Bolsonaro regelmäßig Frauen und Homosexuel­le beleidigt, oft sehr aggressiv. Doch nach den Demos maßen die Demoskopen starke Zustimmung­sgewinne für Bolsonaro – und zwar ausgerechn­et unter Brasiliens Wählerinne­n.

Den wichtigste­n Schub verschafft­e ihm indes die letzte TV-Kampagne der Arbeiterpa­rtei, die das Konterfei Bolsonaros in Aufnahmen von Adolf Hitler montierte. Das Resultat überbracht­e am Freitag das seriöse Umfrageins­titut Datafolha: Bolsonaro legte weitere sieben Prozentpun­kte zu. Haddad null.

Der angebliche Außenseite­r kommt nun auf 39 Prozent Zuspruch und wird die erste Wahlrunde fast sicher gewinnen. Der linke Kronprinz des inhaftiert­en Ex-Präsidente­n Lula verharrte derweil bei 21 Prozent.

Als Folge von Frauendemo­s stieg seine Zustimmung­srate. Und zwar just unter Frauen.

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Reuters Je mehr ihn seine Gegner angreifen und anpatzen, desto mehr Wähler sind für Bolsonaro.

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