Brasiliens Rechtsaußen auf Siegeskurs
In dem lateinamerikanischen Riesenland findet heute Runde eins der Präsidentenwahl statt. Zumindest diese dürfte der extrem rechte Kandidat Jair Bolsonaro deutlich für sich entscheiden.
Wenn das 210-MillionenLand Brasilien, bis 1822 Kolonie Portugals, heute Sonntag neben mehr als 1600 Repräsentationsposten (darunter alle Kongresssitze, zwei Drittel der Senatorenposten und alle 27 Gouverneursämter) die Wahl eines neuen Präsidenten einleitet, dann steht der Riese Lateinamerikas, das nach Bevölkerung zweitgrößte Land des Doppelkontinents Amerika nach den USA, ganz besonders im Fokus der Aufmerksamkeit. Denn als Favorit gilt mit Jair Bolsonaro ein als extrem rechts eingestufter Kandidat und Ex-Offizier, der gern gegen Frauen, Homosexuelle und Schwarze hetzt, die frühere Militärdiktatur lobt und Donald Trump als Vorbild hat.
Jedenfalls hat er einen verlässlichen Doktor. Am Mittwoch suchte der brasilianische Chirurg Antonio Luiz de Vasconcellos Macedo seinen derzeit prominentesten Patienten auf und verordnete diesem Schonung. Also musste Bolsonaro auch die letzte der sechs TV-Elefantenrunden absagen, die am Donnerstagabend über die Bildschirme von Südamerikas größtem Sendernetzwerk Globo flimmerte. Bei allen vorherigen Urnengängen in dem Riesenland war es genau dieses Event, das die noch unschlüssigen Staatsbürger entscheidend beeinflusste.
Dereinst hätten malade Präsidentschaftskandidaten ihre Mediziner bestürmt, sie für solch ein Event unbedingt fitzuspritzen. Doch in dieser ebenso eigen- wie neuartigen Kampagne zog es Jair Bolsonaro vor, in seiner Wohnung in Rio de Janeiro zu bleiben. Der lachende Abwesende. Freilich nicht allein. Während seine zwölf Gegner sich nun coram publico zerfleischten, ließ sich der 63-Jährige in aller Ruhe vom Konkurrenzkanal Rede Record interviewen. Dagegen hatte der Hausarzt nichts, denn er wusste: Brasiliens zweitgrößter Kanal gehört dem Milliardär Edir Macedo, der auch die Universalkirche vom Königreich Gottes leitet, eine der profitabelsten Pfingstkirchen des Planeten. Und Macedo gehört zu jenen einflussreichen evangelikalen Führern im Land, die in den vergangenen Wochen ihren Zuspruch für den ziemlich rechtslastigen bis als rechtsextrem geltendenden Kandidaten Bolsonaro erklärt haben.
Also verlief das Gespräch zwischen Rede Record und dem Kandidaten Bolsonaro ungefähr so spannungsarm wie ein Interview des ungarischen Staatsfernsehens mit Viktor Orban.´ Am Ende konnte sich Bolsonaro freuen, dass er nicht nur den Angriffen seiner Kontrahenten entkommen, sondern diesen auch noch ein Drittel des Publikums abjagen konnte. Rückenwind ohne Ende. Es war tatsächlich eine feine Woche für den rechten Rekonvaleszenten, der erst vorigen Samstag aus dem Spital entlassen worden war – nach immerhin 23 Tagen. Jener geistig verwirrte Mann, der Bolsonaro am 6. September während einer Wahlkundgebung ein Küchenmesser in den Unterleib stach, brachte dem Kandidaten tatsächlich nicht den Exitus, sondern neuen Elan. Anstatt sich den Angriffen der Mitbewerber auszusetzen, machte Bolsonaro seine Art von Wahlkampf - aus der Intensivstation direkt auf Instagram. Die Methode war allein deshalb sehr effektiv, weil Bolsonaro mehr als zehnmal so viele Menschen in den sozialen Netzen folgen als seinem wahrscheinlichen Stichwahlkontrahenten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT.
Der Nachfahre italienischer Migranten aus dem Bundesstaat Sao˜ Paulo, der sich erst 2017 der winzigen so- zialliberalen Partei PSL angeschlossen hatte, inszenierte seinen Siegeszug von Anfang an via Facebook, Twitter und WhatsApp, wohl wissend, dass ihm nur acht Sekunden TV-Werbung pro Tag zustehen würden, verbreitet er seine Visionen virtuos virtuell und, auch das sei erwähnt, mit seinen eigenen Wahrheiten. So gelang es ihm etwa, sich als Polit-Außenseiter zu inszenieren, obwohl er seit 27 Jahren im Kongress sitzt. Er wandelt Attacken in Stärke um. Der Mann, der sich „Trump aus den Tropen“nennt, hat nicht nur mehrfach Bewunderung für den US-Präsidenten bekundet, er hat auch praktische Hilfe von dessen „Schattenmann“Steve Bannon empfangen, der auch die Euro-Bolsonaros Orban´ in Ungarn, Wilders in Holland und Le Pen in Frankreich in deren Anti-EU-Systemkampf coacht. Dessen Strategien scheinen wirklich aufzugehen: Je heftiger Bolsonaro attackiert wird, desto besser wurden seine Umfra- gewerte. Voriges Wochenende etwa demonstrierten in vielen Städten des Landes Frauen und Homosexuelle unter dem Motto EleNao, zu Deutsch: „Nicht er“. Seit Jahrzehnten hatte Bolsonaro regelmäßig Frauen und Homosexuelle beleidigt, oft sehr aggressiv. Doch nach den Demos maßen die Demoskopen starke Zustimmungsgewinne für Bolsonaro – und zwar ausgerechnet unter Brasiliens Wählerinnen.
Den wichtigsten Schub verschaffte ihm indes die letzte TV-Kampagne der Arbeiterpartei, die das Konterfei Bolsonaros in Aufnahmen von Adolf Hitler montierte. Das Resultat überbrachte am Freitag das seriöse Umfrageinstitut Datafolha: Bolsonaro legte weitere sieben Prozentpunkte zu. Haddad null.
Der angebliche Außenseiter kommt nun auf 39 Prozent Zuspruch und wird die erste Wahlrunde fast sicher gewinnen. Der linke Kronprinz des inhaftierten Ex-Präsidenten Lula verharrte derweil bei 21 Prozent.
Als Folge von Frauendemos stieg seine Zustimmungsrate. Und zwar just unter Frauen.