Wie Wien seinen Klang ändert
Wie eine Großstadt akustisch wirkt, verändert sich laufend – und damit auch das Hören, was für die Bewohner wichtig ist. Aber auch soziale Veränderungen hängen damit zusammen.
Und dann hallt es auch noch, das Trappeln der Fiakerpferde unter der Michaelerkuppel. So klingt Wien, zumindest für die Touristen in der Hofburg, die gerade ihre Kameras auf das Gespann gerichtet haben. Und irgendwie stimmt es ja auch. Es ist so etwas wie der Klang des alten Wien, der mit dem Geräusch der Hufe auf dem Pflaster konserviert wurde. Aber zum beherrschenden Klangteppich in den Straßen der Stadt gehört es heute nur noch bedingt. „Heute klingen Fiaker für uns nostalgisch“, sagt Peter Payer. „Um 1900 am Stephansplatz war das ein Alltagsgeräusch. Das war der typische Sound.“Heute beherrschen längst andere Klänge die Stadt. Und was heute nostalgische Gefühle auslöst, mag manchem früher selbstverständlich, vielleicht sogar lästig gewesen sein.
„Die Zuschreibung der Geräusche hat sich geändert“, meint der Historiker und Stadtforscher, der gerade ein Buch über den Klang Wiens um die Jahrhundertwende herausgebracht hat. „Es verändern sich zwei grundlegende Dinge – auf der einen Seite die Geräuschkulisse, auf der anderen aber auch das Hören.“Oft sind es technische und technologische Neuerungen, die das Klangbild einer Stadt umkrempeln. Das beginnt schon mit dem Straßenbelag – Räder auf Kopfsteinpflaster rumpeln einfach mehr als Gummireifen auf Asphalt. Und auch die Massenmotorisierung hat im Sound der Stadt eine große Rolle gespielt. Jede solche Änderung hat Folgen: „Wir mussten lernen, viele verschiedene Reize zu erkennen, zu ordnen, zu bewerten und uns anzupassen“, sagt Payer.
Signalgeräusche etwa waren früher notwendig – gerade als die Straße an sich noch so funktionierte wie die heutigen Begegnungszonen: Fußgänger, Kutschen und Automobile teilten sich eine große Fläche. Und so mussten sich die Kutscher mit Schreien, die Autofahrer per Hupe die Straße erst freimachen. Erst als die Fußgänger an den Rand gedrängt wurden, sie den Gehsteig und die Autos die Fahrbahn bekamen, verlor die Hupe an Bedeutung. In Wien gilt seit 1966 ein Hupverbot. Und viel von dem, was einst akustisch geregelt wurde, wurde auf die optische Ebene verlegt – Ampeln übernahmen die Aufgabe, den Verkehr zu regeln. Der Verkauf geht nach innen. Der Verkehr ist natürlich eines der zentralen Merkmale, doch auch abseits davon verändert sich das Klangbild einer Stadt laufend, etwa bei alltäglichen Dingen wie dem Einkaufen. So wie die Fiaker haben heute etwa auch Marktschreier einen exotischen Status. Wurden früher Waren im Freien akustisch angepriesen, so hat sich viel davon nach innen verlagert – in Geschäfte, Supermärkte und Kaufhäuser. Und dabei auch zunehmend in das Optische, unter anderem damit, dass der Preis sichtbar angeschrieben ist. Was natürlich Folgen für den Einkauf hat – kein Feilschen, kein Handeln, dafür volle Transparenz. Und deutlich ruhiger ist es im Supermarkt auch.
Die Stimme als Mittel zur Steuerung der alltäglichen Kommunikation verschwand zunehmend aus dem öffentlichen Raum. Was einerseits Folgen für das Klangbild der Stadt hatte, und andererseits auch das soziale Gefüge veränderte. So wurden durch die Verlagerung des Verkaufs weg von der Straße etwa auch ambulante Anbieter, die mit ihren Waren durch die Stadt zogen, zunehmend als störend empfunden und geächtet. „Damit“, meint Payer, „wurde erneut die untere soziale Schicht aus dem öffentlichen Raum verdrängt.“Ein verbliebenes Relikt sind heute die Verkäufer von Obdachlosenzeitungen, die vor allem an Verkehrsknotenpunkten den „Augustin“mehr oder weniger lautstark anpreisen.
Die Auswirkungen von Klang, oder auch weniger positiv formuliert, von
„Der Klang der Großstadt“
Von Peter Payer, Böhlau-Verlag, 30 Euro Lärm, lassen sich zum Teil sogar auf dem Stadtplan erkennen. So gehörte in der Wiener Stadtplanung Ende des 19. Jahrhunderts die saubere Trennung von Wohn-, Industrie- und Erholungsgebieten zu den Grundprinzipien. Wegen des Staubs, der Gerüche, aber eben auch wegen des Lärms – wenn auch die Akustik bei Stadtplaner Otto Wagner nur eine untergeordnete Rolle spielte. Payer sieht im damaligen Kampf um den Sound jedenfalls „einen Klassenkampf mit anderen Mitteln. Die Bürgerlichen begehrten stärker gegen den Lärm auf, fühlten sich in ihrem Leben mehr gestört. Denn den Lärm machte der Proletarier.“Nicht umsonst drängte das wohlhabende Bürgertum in die Viertel ohne Industrie, an den Stadtrand, in die Cottageviertel. Und auch die Flucht vom Lärm der Großstadt noch weiter weg kam in Mode – die Sommerfrische.
Aber auch in der Stadt gibt es Orte der Stille. Da sind etwa die Kirchen, die auch heute noch als Rückzugsort vom lauten Alltag genützt werden. „Dane-
Die Menschen müssen lernen, Reize zu erkennen, zu ordnen und sich anzupassen. Das Bürgertum schuf sich mit Bibliotheken und Museen profane Ruheräume.
ben schuf sich das Bürgertum aber abseits der Religion profane Ruheräume“, sagt Payer. Etwa Bibliotheken oder klassische Kunstmuseen, in denen schweigend betrachtet wird. Und der Lärm draußen? „Da braucht es heute verstärkt auditive Architektur und akustische Stadtplanung.“Etwa mit Belägen, die Lärm schlucken, aber auch mit dem Modifizieren von Geräuschen: Ein plätschernder Brunnen kann etwa den Verkehrslärm im Hintergrund weniger erscheinen lassen.
Abgesehen davon kreieren sich die Menschen heute aber ohnehin abseits des Klangs der Stadt quasi ihre eigenen Ruheräume – mit Kopfhörern, in denen sie ihre eigene Soundlandschaft schaffen. Jeder für sich ganz allein. Auch so klingt Wien.