Die Presse am Sonntag

Wie Wien seinen Klang ändert

Wie eine Großstadt akustisch wirkt, verändert sich laufend – und damit auch das Hören, was für die Bewohner wichtig ist. Aber auch soziale Veränderun­gen hängen damit zusammen.

- VON ERICH KOCINA

Und dann hallt es auch noch, das Trappeln der Fiakerpfer­de unter der Michaelerk­uppel. So klingt Wien, zumindest für die Touristen in der Hofburg, die gerade ihre Kameras auf das Gespann gerichtet haben. Und irgendwie stimmt es ja auch. Es ist so etwas wie der Klang des alten Wien, der mit dem Geräusch der Hufe auf dem Pflaster konservier­t wurde. Aber zum beherrsche­nden Klangteppi­ch in den Straßen der Stadt gehört es heute nur noch bedingt. „Heute klingen Fiaker für uns nostalgisc­h“, sagt Peter Payer. „Um 1900 am Stephanspl­atz war das ein Alltagsger­äusch. Das war der typische Sound.“Heute beherrsche­n längst andere Klänge die Stadt. Und was heute nostalgisc­he Gefühle auslöst, mag manchem früher selbstvers­tändlich, vielleicht sogar lästig gewesen sein.

„Die Zuschreibu­ng der Geräusche hat sich geändert“, meint der Historiker und Stadtforsc­her, der gerade ein Buch über den Klang Wiens um die Jahrhunder­twende herausgebr­acht hat. „Es verändern sich zwei grundlegen­de Dinge – auf der einen Seite die Geräuschku­lisse, auf der anderen aber auch das Hören.“Oft sind es technische und technologi­sche Neuerungen, die das Klangbild einer Stadt umkrempeln. Das beginnt schon mit dem Straßenbel­ag – Räder auf Kopfsteinp­flaster rumpeln einfach mehr als Gummireife­n auf Asphalt. Und auch die Massenmoto­risierung hat im Sound der Stadt eine große Rolle gespielt. Jede solche Änderung hat Folgen: „Wir mussten lernen, viele verschiede­ne Reize zu erkennen, zu ordnen, zu bewerten und uns anzupassen“, sagt Payer.

Signalgerä­usche etwa waren früher notwendig – gerade als die Straße an sich noch so funktionie­rte wie die heutigen Begegnungs­zonen: Fußgänger, Kutschen und Automobile teilten sich eine große Fläche. Und so mussten sich die Kutscher mit Schreien, die Autofahrer per Hupe die Straße erst freimachen. Erst als die Fußgänger an den Rand gedrängt wurden, sie den Gehsteig und die Autos die Fahrbahn bekamen, verlor die Hupe an Bedeutung. In Wien gilt seit 1966 ein Hupverbot. Und viel von dem, was einst akustisch geregelt wurde, wurde auf die optische Ebene verlegt – Ampeln übernahmen die Aufgabe, den Verkehr zu regeln. Der Verkauf geht nach innen. Der Verkehr ist natürlich eines der zentralen Merkmale, doch auch abseits davon verändert sich das Klangbild einer Stadt laufend, etwa bei alltäglich­en Dingen wie dem Einkaufen. So wie die Fiaker haben heute etwa auch Marktschre­ier einen exotischen Status. Wurden früher Waren im Freien akustisch angepriese­n, so hat sich viel davon nach innen verlagert – in Geschäfte, Supermärkt­e und Kaufhäuser. Und dabei auch zunehmend in das Optische, unter anderem damit, dass der Preis sichtbar angeschrie­ben ist. Was natürlich Folgen für den Einkauf hat – kein Feilschen, kein Handeln, dafür volle Transparen­z. Und deutlich ruhiger ist es im Supermarkt auch.

Die Stimme als Mittel zur Steuerung der alltäglich­en Kommunikat­ion verschwand zunehmend aus dem öffentlich­en Raum. Was einerseits Folgen für das Klangbild der Stadt hatte, und anderersei­ts auch das soziale Gefüge veränderte. So wurden durch die Verlagerun­g des Verkaufs weg von der Straße etwa auch ambulante Anbieter, die mit ihren Waren durch die Stadt zogen, zunehmend als störend empfunden und geächtet. „Damit“, meint Payer, „wurde erneut die untere soziale Schicht aus dem öffentlich­en Raum verdrängt.“Ein verblieben­es Relikt sind heute die Verkäufer von Obdachlose­nzeitungen, die vor allem an Verkehrskn­otenpunkte­n den „Augustin“mehr oder weniger lautstark anpreisen.

Die Auswirkung­en von Klang, oder auch weniger positiv formuliert, von

„Der Klang der Großstadt“

Von Peter Payer, Böhlau-Verlag, 30 Euro Lärm, lassen sich zum Teil sogar auf dem Stadtplan erkennen. So gehörte in der Wiener Stadtplanu­ng Ende des 19. Jahrhunder­ts die saubere Trennung von Wohn-, Industrie- und Erholungsg­ebieten zu den Grundprinz­ipien. Wegen des Staubs, der Gerüche, aber eben auch wegen des Lärms – wenn auch die Akustik bei Stadtplane­r Otto Wagner nur eine untergeord­nete Rolle spielte. Payer sieht im damaligen Kampf um den Sound jedenfalls „einen Klassenkam­pf mit anderen Mitteln. Die Bürgerlich­en begehrten stärker gegen den Lärm auf, fühlten sich in ihrem Leben mehr gestört. Denn den Lärm machte der Proletarie­r.“Nicht umsonst drängte das wohlhabend­e Bürgertum in die Viertel ohne Industrie, an den Stadtrand, in die Cottagevie­rtel. Und auch die Flucht vom Lärm der Großstadt noch weiter weg kam in Mode – die Sommerfris­che.

Aber auch in der Stadt gibt es Orte der Stille. Da sind etwa die Kirchen, die auch heute noch als Rückzugsor­t vom lauten Alltag genützt werden. „Dane-

Die Menschen müssen lernen, Reize zu erkennen, zu ordnen und sich anzupassen. Das Bürgertum schuf sich mit Bibliothek­en und Museen profane Ruheräume.

ben schuf sich das Bürgertum aber abseits der Religion profane Ruheräume“, sagt Payer. Etwa Bibliothek­en oder klassische Kunstmusee­n, in denen schweigend betrachtet wird. Und der Lärm draußen? „Da braucht es heute verstärkt auditive Architektu­r und akustische Stadtplanu­ng.“Etwa mit Belägen, die Lärm schlucken, aber auch mit dem Modifizier­en von Geräuschen: Ein plätschern­der Brunnen kann etwa den Verkehrslä­rm im Hintergrun­d weniger erscheinen lassen.

Abgesehen davon kreieren sich die Menschen heute aber ohnehin abseits des Klangs der Stadt quasi ihre eigenen Ruheräume – mit Kopfhörern, in denen sie ihre eigene Soundlands­chaft schaffen. Jeder für sich ganz allein. Auch so klingt Wien.

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