Sprachbarrieren und Aggressionen: Spitäler als sozialer Brennpunkt
Muslime, die sich nicht von Ärztinnen behandeln lassen. Österreicher, die in Zimmern ohne Ausländer liegen wollen. Die Belegschaft in Wiens Krankenhäusern ist zunehmend mit absurden und diskriminierenden Forderungen konfrontiert. Eine Ärztin schildert den
Ihre erste Erfahrung mit diesem, nennen wir es Phänomen macht sie bei einem ihrer Nachtdienste als junge Assistenzärztin im Wiener AKH. Anna Kreil wird in das Zimmer eines älteren Patienten gerufen, der starke Schmerzen hat. Sie will ihn untersuchen, wird aber von dem türkischstämmigen Mann einfach ignoriert. Er wolle mit einem Arzt sprechen, sagt er zur Krankenschwester.
„Ich habe zunächst überhaupt nicht verstanden, worum es geht, und wollte ihm klarmachen, dass ich Ärztin bin“, sagt Kreil. „Erst nach einigen Minuten begriff ich, dass mein Geschlecht das Problem war. Während er sich mit der Krankenschwester unterhielt, behandelte er mich wie Luft. Eine Frau in der Pflege passte offenbar in sein Weltbild, eine Ärztin nicht.“
Seinem Wunsch nach einem Arzt wurde jedenfalls nicht nachgekommen. Irgendwann wurden die Schmerzen so stark, dass er sich doch von ihr behandeln ließ. Probleme keine Ausnahme. Das ist viele Jahre her. Im AKH arbeitet die Fachärztin für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, Obfrau der Ärztegewerkschaft Asklepios und Vorstandsmitglied der Wiener Ärztekammer nicht mehr. Eine Begegnung wie jene als Assistenzärztin blieb aber nicht ihre einzige, mittlerweile sind sie sogar keine Ausnahme mehr, sondern kommen regelmäßig vor.
Und zwar in allen Spitälern Wiens, wie Kreil nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern vor allem durch zahlreiche Berichte ihrer Kollegen weiß, die sie als Gewerkschaftschefin erreichen. Probleme, die die Belegschaft zunehmend überfordern würden und nicht bagatellisiert oder negiert, sondern endlich angesprochen gehörten, um nach Lösungen dafür zu suchen – auch im Sinne der betroffenen Patienten.
Patienten aus beispielsweise der Türkei, Serbien, Bosnien, Russland, Ägypten, Afghanistan und weiteren Ländern mit anderem kulturellen und Vorstandsmitglied der Ärztekammer und Obfrau der Ärztegewerkschaft Asklepios religiösen Hintergrund, die Ärztinnen nicht die Hand geben, Augenkontakt meiden und sich von ihnen nicht untersuchen bzw. behandeln lassen wollen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob sie erst seit Kurzem oder schon seit Jahrzehnten in Österreich leben.
Und obwohl solche Patienten selbstverständlich in der Minderheit sind und die meisten Krankenhausaufenthalte reibungslos verlaufen, häuften sich die Vorfälle zuletzt derart, dass sich der Krankenanstaltenverbund (KAV) zu einer internen Mitteilung an das Personal veranlasst fühlte, in dem – quasi als Rückendeckung für das Personal – festgehalten wird, dass jeder Patient zwar das Recht auf eine rücksichtsvolle Behandlung habe, aber kein Recht auf Behandlung durch einen Arzt bestimmten Geschlechts.
Patienten stehe es daher frei, eine andere Gesundheitseinrichtung aufzusuchen, sollten sie den Rechtsgrundsatz auf Gleichbehandlung in der Arbeitswelt nicht akzeptieren – dies müsse ihnen klar vermittelt werden. Geldangebote von Patienten. Dabei sind männliche Patienten, die Ärztinnen nicht respektieren, sowie Patientinnen, die nicht von männlichen Pflegern und Ärzten angefasst werden wollen, laut Kreil nur ein Teil des Problems. So berichteten ihr Spitalsärzte beispielsweise immer wieder von Geldangeboten durch Patienten, denen eine schlimme Diagnose mitgeteilt wurde und die dann glaubten, mit solchen Mitteln eine bessere Behandlung zu bekommen – sei es, weil sie das aus ihren Herkunftsländern gewöhnt sind oder weil sie befürchten, ohne Zusatzzahlungen nicht dieselbe Behandlung zu bekommen wie österreichische Patienten. „Mitgebracht“worden sein dürfte auch das teilweise übertriebene Zurschaustellen von Beschwerden. Oder wie es eine Ärztin, die seit mehr als 15 Jahren im AKH arbeitet und unerkannt bleiben will, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“formuliert: „Die Art, Schmerzen zu zeigen, ist eine kulturelle Angelegenheit, das habe ich in meiner Zeit im AKH gelernt.“Manchen Patienten sei in ihren Herkunftsländern offenbar beigebracht worden, dass derjenige am schnellsten oder besten behandelt wird, der am lautesten schreit. „Ein solches Verhalten der Patienten erfordert viel Aufmerksamkeit und einige Extrarunden bei der Anamnese“, sagt sie. „Denn ich kann nicht jedes Mal vom höchstmöglichen Grad an Schmerzen ausgehen, nehme aber natürlich jede Angabe der Patienten ernst, um ihnen die beste Behandlung zu bieten.“Sie verurteile diese Patienten nicht, sie weise nur darauf hin, „dass ich im Alltag durch den Mehrauf- wand oft an meine Grenzen stoße“.
Besonders großes Fingerspitzengefühl erfordert auch das Mitteilen von Diagnosen. Denn während es in Österreich üblich ist, Patienten von Anfang an reinen Wein einzuschenken, würden Menschen aus manchen Kulturkreisen, beispielsweise aus Russland, nicht mit einer schlechten Prognose konfrontiert werden wollen, sondern lieber über die Therapiemöglichkeiten sprechen, ohne die genaue Ursache der Beschwerden zu kennen.
Muslimische Patienten wiederum nehmen das Wort „Krebs“zumeist als Todesurteil wahr, weswegen man es vermeiden und stattdessen den Begriff „Tumor“verwenden sollte, um ihnen ihren Zustand zu erklären. Die kulturspezifische Betrachtung und Wahrnehmung von Wörtern müsse also stets berücksichtigt werden – „was ich gern tue“, sagt die Gynäkologin. „Denn auf
»Ich kann nicht jedes Mal vom höchstmöglichen Grad an Schmerzen ausgehen.«