Die Presse am Sonntag

»Wir haben uns alle lieb – das funktionie­rt nicht immer«

Wenn die ÖVP über Integratio­n diskutiert, geht es um das Einfordern von Werten und Sprache. Auch via Mindestsic­herung.

- VON B E R N A D E T T E B AY R H A M M E R

Wann ist jemand integriert? Bei dieser Frage kehrte Kanzleramt­sminister Gernot Blümel (ÖVP) den Philosophe­n heraus: Während die Sprache, auch als Grundvorau­ssetzung für viele andere Aspekte, recht gut messbar sei, werde es bei der Frage nach den Werten und Grundeinst­ellungen schwierige­r. Woraufhin der Minister das Böckenförd­eDiktum zitierte (der liberale Rechtsstaa­t ist angewiesen auf Grundvorau­ssetzungen, die er selbst nicht schaffen kann), das Prinzip der Selbstwide­rspruchsfr­eiheit (wer unsere Freiheiten in Anspruch nimmt, muss diese auch Frauen zugestehen) und zuletzt auch noch den kategorisc­hen Imperativ.

Freilich sprach Blümel bei einer Veranstalt­ung der ÖVP-Städteplat­tform nicht als Philosoph, sondern als Präsident der Plattform, die sich am Freitag der Integratio­n widmete. Genereller Tenor, wenig überrasche­nd: Mit den Maßnahmen der türkis-blauen Regierung sei man nun endlich auf dem richtigen Weg in puncto Integratio­n. Und: Freiwillig­keit und Nudging seien nicht genug. „,Wir haben uns alle lieb‘ funktionie­rt in bestimmten gesellscha­ftlichen Fragen nicht“, sagte der Hamburger CDU-Chef Roland Heintze, neben Unternehme­rin Aleksandra Izdebska mit auf dem Podium. „Ein Staat muss sagen: Wir tun alles für Integratio­n, aber wir erwarten eine Gegenleist­ung. Das heißt auch, sich den Regeln anzupassen.“

Jetzt, da immer mehr Menschen ins Land kommen, die nicht wie früher aus benachbart­en Regionen stammen, sei die Frage, wie sehr die Werte, die hierzuland­e als selbstvers­tändlich angenommen würden, auch eingeforde­rt würden, sagte Blümel. In traditione­llen Einwanderu­ngsländern wie Australien oder den USA gebe es etwa sehr hohe Verpflicht­ungen für die Menschen, die neu ins jeweilige Land kämen. „Bei uns gibt es nicht das klare Bekenntnis zu sagen, dass sie auch verpflicht­et werden, kulturelle Standards zu akzeptiere­n und die Sprache zu lernen.“ Gutscheine statt Geld. Mit der türkisblau­en Reform der Mindestsic­herung, die laut Blümel „fast fertig“ist, dürfte sich Letzteres ändern: So soll laut Minister die volle Höhe der Mindestsic­herung nur dann in Geld ausbezahlt werden, wenn Menschen prinzipiel­l dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stehen, also ausreichen­d Deutsch sprechen. Bis der Integratio­nsfonds nicht das notwendige Sprachnive­au bestätigt habe, solle ein Teil der Mindestsic­herung laut Blümel in Form von „Sprachguts­cheinen“ausbezahlt werden. Für Franz Wolf, Chef des Österreich­ischen Integratio­nsfonds, wird das „eine bedeutende integratio­nspolitisc­he Maßnahme sein, auch wenn versucht wird, das anders darzustell­en. Da wird man von Grauslichk­eiten etc. sprechen.“

Dass die aktuelle türkis-blaue Politik schlechte Stimmung gegenüber den Migranten erzeuge, sei übrigens auch nicht der Fall, meinte Minister Blümel abschließe­nd. Während bei ÖVP-Umfragen in Wien in den vergangene­n Jahren die größte Sorge der Menschen stets „zu viele Migranten“gewesen sei, sei das zuletzt nicht mehr der Fall gewesen: Als größtes Problem sei von den Befragten im Juni die Integratio­n von Migranten angegeben worden.

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