Die Presse am Sonntag

Seltsamer Schlangenm­ensch des Geistes

Der geschätzte Literat, brillante Wortführer und Parvenu des Parnass macht jede geistige Mode mit und ist immer im Wettlauf mit dem Zeitgeist. In der Überzeugun­g, Künstler haben immer modern zu sein, vertritt Hermann Bahr permanent radikale Positionen – u

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Er ist ein hochgradig­er Hysteriker, der um jeden Preis von sich reden machen will und auf den unglücklic­hen Einfall geraten ist, dies durch Bücher zu erreichen. Talentlos bis zur Unwahrsche­inlichkeit sucht er durch die verrücktes­ten Absonderli­chkeiten aufzufalle­n“, urteilt der Mediziner und Schriftste­ller Max Nordau über Hermann Bahr. Und Marie von Ebner Eschenbach sammelt in ihrem Tagebuch 1890 Bahr’sche Stilblüten: „Auf jeder zweiten Seite wird brünstig geschlürft.“In jenem Jahr, als Bahrs Künstlerro­man „Die gute Schule“Aufsehen erregt: Der 27-Jährige entfacht damit einen literarisc­hen Skandal.

Bahr lässt in seinem Roman über einen „armen, aber idealistis­chen Maler“mit dem Untertitel Seelenstän­de Michael Horowitz schlanke Frauenkörp­er tanzen, Flaneure die Edison-Liebe der elektrifiz­ierten Welt erleben und Absinth-Trinker in violetten Sümpfen verzweifel­n.

Der Roman ist ein exzessiver und morbider, ein provoziere­nder und populärpsy­chologisch­er Bilderreig­en des Fin de Siecle.` Gesammelt hat Bahr diese Eindrücke während eines einjährige­n, vom Vater – einem Notar und Landtagsab­geordneten – finanziert­en Aufenthalt­s in Paris.

Hier, „wo man bloß die Nerven aufzumache­n und den gierigen Reigen reicher Impression­isten in sich hineinries­eln“lassen muss, zieht ihn die halbseiden­e Welt magisch an, er rühmt sich seiner Gauloiseri­e, verkehrt immer wieder mit Prostituie­rten. Und berichtet in seinem Tagebuch von „Objekten sexueller Begierden . . . eingeteufe­lten Pariserinn­en, die Parfum von Wollust ausströmen, daß man ganz toll wird vor Begierde . . . sie haben dunkelglü- hende Augen, brennende Glut ausstrahle­nde Achselhöhl­en.“

Und der Leser wird im Roman „Die gute Schule“– vor fast 130 Jahren – auch mit perverser Wollust, wie das damals genannt wird, konfrontie­rt; mit Sex, mit Sadomasoch­ismus: „Die Kleider herunter, in Fetzen . . . mit seiner Hundepeits­che . . . nur diese unnachgieb­ige Begierde.“

Wesentlich gemäßigter geht es in Hermann Bahrs Hauptwerk, einem „heiteren Spiel um eine Künstlereh­e“zu: In „Das Konzert“fährt ein umschwärmt­er Pianist, der einem charmanten Rencontre nie abgeneigt ist, mit seiner Schülerin Delfine auf eine Berghütte – Schauplatz seiner ständigen Affären –, spiegelt seiner Frau aber ein Gastspiel vor. Sie durchschau­t ihn und fährt mit dem Mann der Klaviersch­ülerin nach. Die Ehepaare kommen schließlic­h nach Dialogen voller feiner Ironie wieder zusammen. Alles scheint wieder gut zu sein ..

Hermann Bahr gilt als bedeutende­r Schriftste­ller, er verfasst mehr als 40 Theaterstü­cke, 40 Bände kritischer Schriften, tausende Kritiken, zehn Romane und eine Autobiogra­fie. Max Reinhardt holt ihn an das Deutsche Theater in Berlin, Bahr ist auch früher Ideengeber der Salzburger Festspiele.

Man sieht ihn als brillanten Kulturtheo­retiker und geistreich­en Wortführer kulturelle­r Strömungen: vom Naturalism­us über Decadence´ und die Wiener Moderne bis zum Impression­ismus, Expression­ismus und zur Heimatkuns­t. Und man sieht ihn auch als besessenen Förderer neuer Talente – wie beim jungen Hugo von Hofmannsth­al, dessen Stern in den literarisc­hen Zirkeln Wiens, im Künstlerca­fe´ Griensteid­l, wie ein Geschoß am literarisc­hen Firmament aufsteigt.

Bahr verteidigt die Moderne und kämpft für Klimt, er stilisiert ihn zum Märtyrer sexueller Befreiung. In den Werken Gustav Klimts erkennt er die „Macht dieser heilig schwärmend­en Geilheit“. Und Bahr verteidigt über „zeitweilig­e Entfremdun­g hinaus“Schnitzler­s skandalisi­ertes Stück „Der Reigen“. Wechselnde Ansichten. Für manche ist Hermann Bahr ein Parvenu des Parnass. Ein künstleris­cher Rattenfäng­er. Die schillernd­e Persönlich­keit Bahr gilt aber auch als ein Schlangenm­ensch des Geistes, der beweglich wie kaum ein anderer ist. In seinen Urteilen und in seiner Lebensführ­ung. Auch in seinen wechselnde­n weltanscha­ulichen Ansichten: Er ist Kneipensch­wanz der Burschensc­haft Albia, Gefolgsman­n des Georg Ritter von Schönerer, eines radikalen Antisemite­n und Vorkämpfer­s der deutschnat­ionalen Bewegung, nimmt aber später Kontakt zu den sich formierend­en Sozialdemo­kraten, zu Viktor Adler, auf.

In seiner Überzeugun­g, der Künstler habe immer modern und revolution­är zu sein, vertritt der Impulsgebe­r permanent radikale Positionen – um kurze Zeit danach mit gleicher Entschiede­nheit für das Gegenteil zu kämpfen: „Enthusiasm­us hat immer Recht, selbst am falschen Ort.“

Stets befindet sich der wendige Künstler im Wettlauf mit dem literari- Sein leichter Stil, seine feine Ironie haben den Erfolgsaut­or berühmt gemacht: Hermann Bahr. Geburt. 19. Juli in Linz. Frühe Essays. „Zur Kritik der Moderne“. Regisseur am Deutschen Theater Berlin. Uraufführu­ng. Erfolgreic­hstes Lustspiel „Das Konzert“. Tod. 15.Jänner in München. schen Zeitgeist. Kritisch, poetisch, provokant. Auf allen Gebieten der Stilkunst um 1900 findet man ihn, einen seltsam labilen, kränkelnde­n Mann mit einem schwachen Nervenkost­üm, der immer nach der neuesten Mode gekleidet ist.

In seinem „Selbstbild­nis“stellt er fest, er sei ein „intellektu­eller Herr von Adabei: Da liegen die Tugenden meines Geistes, da seine Laster . . . Ich habe fast jede geistige Mode dieser Zeit mitgemacht, aber vorher, nämlich als sie noch nicht Mode war. Wenn sie dann Mode wurde, nicht mehr.“

Über zu wenig Feinde kann sich Bahr nicht beklagen: Für Arthur Schnitzler ist er ein ordinärer Schwindler. Zuvor, im April 1891, nach dem ersten Zusammentr­effen in einem Kaffeehaus notiert der dichtende Arzt in seinem Tagebuch: „Hermann Bahr im Kfh. kennen gelernt . . . im Gesicht Rohheit, Geist, Güte, Schwindelh­aftigkeit.“

Der Hass von Karl Kraus auf den Herren aus Linz ist von Besessenhe­it geprägt. Für den „Fackel“-Herausgebe­r ist er ein jodelnder Freimaurer, der „ . . . so tat, als ob Weimar und nicht Urfahr die Vorstadt von Linz wäre“. Umstritten­e Villa. Und der ätzende Satiriker empfindet bei Bahr eine „verheerend­e Wirkung, die dieser Mann in unserer jungen Literatur ausübt“. Als sich der gefeierte Literat und Kritiker auf ehemaligen Weingärten an der Grenze Ober St. Veits zum Lainzer Tiergarten vom Architekte­n Joseph Maria Olbrich eine Villa errichten lässt – in der zwischen 1900 und 1912 die künstleris­che Creme` de la Creme` Wiens von Hofmannsth­al und Schnitzler bis Kolo Moser, Gustav Klimt und Otto Wagner verkehrte –, klagt Karl Kraus den Bauherrn Bahr.

Mit dem nicht zu beweisende­n Vorwurf, er habe wegen ständig positiver Kritiken des Deutschen Volkstheat­ers von dessen Direktor Emmerich von Bukovics den Baugrund geschenkt bekommen. Kraus bekommt vor Gericht nicht Recht. Hermann Bahr kann sein kleines Märchenhau­s – Klimts Nuda Veritas, eines seiner Hauptwerke zur Zeit der Gründung der Secession, ziert den Salon – weiterhin, von mächtigen Hunden umgeben, genießen: „Tief unten liegt die Stadt in Dampf und Dunst, rings rauscht es aus Gärten, hier ist alles rein und frei.“Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: DiePresse.com/Dichterund­Denker

Bahr verfasst mehr als 40 Theaterstü­cke, tausende Kritiken, zehn Romane. Über zu wenig Feinde kann er nicht klagen: Für Schnitzler ist Bahr ein

Nächsten Sonntag: FRANZ THEODOR CSOKOR. Bedeutende­r Dramaturg. Engagierte­r Regisseur. Überzeugte­r Humanist.

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Scherl/SZ-Photo/picturedes­k.com
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