Laborfleisch, Insekten und Pflanzen nach Maß
Um die wachsende Weltbevölkerung auch in 30 Jahren noch gut ernähren zu können, muss sich die globale Landwirtschaft ändern, sind sich Experten einig. Die Hoffnung auf eine zweite grüne Revolution ruht wieder einmal auf der Technologie – auch aus Österrei
Von den 7,6 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, hat jeder neunte nicht ausreichend Nahrungsmittel, um sich gesund und ausgewogen zu ernähren. 815 Millionen gehen jeden Tag hungrig ins Bett, zwei Milliarden sind schwer übergewichtig. In dreißig Jahren wird die Erdbevölkerung auf zehn Milliarden angewachsen sein. Spätestens dann werden es die Landwirte mit heutigen Methoden nicht mehr schaffen, alle Menschen zu versorgen, sind Experten einig.
Die erste grüne Revolution in den 1960er-Jahren hat Dünger, bessere Samen und Bewässerungssysteme in ärmere Teile der Welt gebracht und so die Ernteerträge in Mexiko oder Indien in die Höhe getrieben. Die steigende Weltbevölkerung und der Klimawandel treiben dieses System allerdings langsam über seine Grenzen. Krankheiten und Dürreschäden nehmen zu. In Subsahara-Afrika tötet die TsetseFliege jedes Jahr bis zu drei Millionen Stück Weidevieh. In Asien und Australien droht ein Pilz ganze Bananensorten auszurotten. Höchste Zeit also für die zweite grüne Revolution. Hilfe aus Österreich. Ein Ort, wo daran gearbeitet wird, liegt wenige Kilometer von Wien entfernt in Seibersdorf. Hier arbeitet die Atomenergiebehörde IAEA gemeinsam mit der UN-Ernährungsorganisation FAO an technischen Lösungen für die Ernährungskrisen von morgen. Forscher aus Österreich waren es, die dem Senegal geholfen haben, die Tsetse-Fliege weitgehend zu vernichten. Sie waren es auch, die eine Bananensorte gezüchtet haben, die gegen den tödlichen Pilz in Asien immun ist, heißt es in einem Bericht der Thomson Reuters Foundation, dem wohltätigen Arm der Nachrichtenagentur.
Die Fantasie der Forscher geht aber weit über das bisher Erreichte hinaus. Genom-Editing erlaubt es, gezielt erwünschte Eigenschaften in Pflanzen einzusetzen, ohne sie mit fremdem Erbgut zu vermischen. Das sollte es in Zukunft einfacher machen, Saatgut zu entwickeln, das mit weniger Boden, weniger Wasser und weniger Dünger auskommt. Das ist notwendig, denn die erste grüne Revolution hat Spuren hinterlassen: Ohne Pestizide, Dünger und enorme Wassermengen konnten die Wunderpflanzen nicht überleben. Zurück blieben wenige große Monokulturen, kleine Bauern zählten zu den Verlierern. Heute werden elf Prozent der Landfläche für Äcker benötigt. Grasendes Weidevieh verstellt ein Viertel des eisfreien Landes, 70 Prozent des gesamten Wassers rinnt in die Landwirtschaft, errechnete die OECD, eine Vereinigung der reichen Industrienationen. Kühe und anderes Vieh emittieren mehr Treibhausgase als alle Autos und Lkw zusammen, so die FAO. Auch hier bietet die Wissenschaft Lösungsansätze an: So haben Forscher etwa das Genom einer Tabakpflanze so verändert, dass sie ihre mikroskopisch kleinen Poren in den Blättern schließt, damit kein Wasser mehr verdunstet. Diese Pflanzen kommen nun mit einem Viertel weniger Wasser aus und bringen annähernd die gleichen Erträge wie vorher, sagt Steven Long, ein Saatgutexperte von der Lancaster University in Großbritannien. Britische Forscher waren es auch, die Kühen zu einer Seegras-Diät geraten haben, um den Klimawandel einzudämmen. Ersten Studien zufolge könne so ein Drittel der kuhgemachten Treibhausgase verhindert werden. Ein Drittel aller Lebensmittel im Müll. Um die Ernährung der Menschheit sicherzustellen, reicht es aber nicht aus, den Anbau auf modernere Beine zu stellen. Auch die Menschen selbst müssen ihre Essgewohnheiten ernsthaft überdenken. Mit dem ökonomischen Aufstieg von Ländern wie China oder Indien wächst dort auch der Hunger der neuen Mittelschicht auf westliche Ernährung, also auf Fleisch und Milchprodukte. Die Antwort der Wissenschaft lautet künstliches Fleisch. Schon vor Jahren wurden die ersten Burger aus dem Labor verkostet. Noch sind sie allerdings nicht zu vertretbaren Preisen zu produzieren. Die FAO appelliert stattdessen an die Menschen selbst und preist seit einem Jahrzehnt Insekten als alternative Proteinquelle an. Während Grashüpfer, Maden und Co. in Asien und Afrika wie selbstverständlich auf dem Teller landen, sind Insekten in Europa und den USA immer noch ein Nischenprodukt.
Aber schon ein besserer Umgang der Menschen mit den Lebensmitteln könnte einiges verändern. Ein Drittel aller Lebensmittel, die weltweit produziert werden, landen im Müll, berichtet die FAO. Geschätzter Gegenwert: eine Billion US-Dollar pro Jahr. In Entwicklungsländern gehen 40 Prozent der Lebensmittel nach der Ernte verloren oder verderben. Weitere vierzig Prozent dessen, was es in die Geschäfte der reicheren Nationen schafft, wandern von dort in den Müll. Schafften es die Menschen, diese Verluste einzudämmen, die Ernährung der Welt wäre heute und 2050 weitgehend gesichert.