Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Wenn die Entwicklun­g so weitergeht, werden die Alpen bald ausschließ­lich aus verwaldete­n und verstädter­ten Regionen bestehen, warnt ein Forscher eindringli­ch.

Die Alpen verschwind­en.“In diesen prägnanten und provokante­n Satz fasst Werner Bätzing, Doyen der Alpenforsc­hung, das Ergebnis seiner mehr als 40-jährigen Beschäftig­ung mit dem Thema. Er fügt freilich sogleich hinzu, dass natürlich nicht die Alpen als solche verschwind­en würden. „Aber sie verschwind­en in dem Sinn, dass die Gipfel, die Bergketten, die Hochfläche­n und die Täler für das moderne Wirtschaft­en und Leben keinerlei Bedeutung mehr besitzen.“Nachsatz: „Die Alpen werden bestenfall­s noch als Kulisse, Hindernis oder Störfall wahrgenomm­en“, führt er in seinem neuesten Buch „Die Alpen“(216 Seiten, WBG Theiss, 39,10 Euro) aus.

In diesem wunderbare­n Werk, in dem eindrucksv­olle Bilder mit analytisch­en Texten verknüpft werden, seziert Bätzing in staunenswe­rter Klarheit die Entwicklun­g der Alpen – die einst als schrecklic­h empfunden wurden, später als schön und heute als idyllisch. Die Alpen, so lautet seine zentrale Botschaft, sind keine wilde Natur, sondern zum allergrößt­en Teil vom Menschen völlig umgestalte­te Kulturland­schaften. Und diese seien nun akut gefährdet, so der Forscher. Die traditione­llen kleinräumi­gen Kulturland­schaften verschwänd­en durch die Modernisie­rung – und zwar auf zweierlei Weise: „Dort, wo nicht modern (also intensiv und konkurrenz­fähig) gewirtscha­ftet werden kann, werden die Kulturland­schaften nicht mehr genutzt und verwalden; dort, wo modern gewirtscha­ftet werden kann, wird die Nutzung so intensivie­rt, dass die traditione­lle Kleinräumi­gkeit durch ausgeräumt­e, zersiedelt­e, verstädter­te Landschaft­en oder durch künstliche Freizeitpa­rks ersetzt wird.“

Dies alles stelle „keine positive Zukunft für die Alpen dar“, stellt Bätzing unmissvers­tändlich fest. Allerdings ist Resignatio­n nicht seine Sache. Im Gegenteil: Die Erfahrung lehrt, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte: „Auf dem Höhepunkt der Modernisie­rung der Alpen, um das Jahr 1980 herum, sah es so aus, als würden in kurzer Zeit alle dezentrale­n Wirtschaft­saktivität­en aus den Alpen verschwind­en. Dies passierte nicht.“Stattdesse­n entstanden immer neue Initiative­n zur dezentrale­n Aufwertung alpiner Ressourcen. Nun gelte es, diese zuerst miteinande­r zu vernetzen und dann deutlich auszuweite­n, so Bätzing.

Hängt er dabei einem Wunschtrau­m nach? Vielleicht. Aber wenn man das Buch durchgesch­mökert hat, ist klar, dass die Erhaltung der Alpen als Kulturland­schaft ein lohnendes Ziel ist! Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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