Der wahre Held der Landstraße
Auf dem Rennrad erobert Michael Strasser den amerikanischen Kontinent. Der Niederösterreicher und sein Team erzählen von Verzweiflung und Euphorie, von unerwarteten Eskorten und dem Feind eines jeden Radfahrers, dem Gegenwind.
Afrika hat Michael Strasser schon abgehakt. 11.000 Kilometer mit dem Rennrad von Kairo nach Kapstadt, 34 Tage hat es gedauert. Nun war Amerika an der Reihe, die Panamericana von Norden nach Süden, Alaska bis Feuerland, 14 Länder, 185.000 Höhenmeter, insgesamt 23.000 Kilometer. Also etwa die Distanz, die Weltklasse-Radprofis in einem ganzen Jahr abspulen. „Ice2Ice“nennt der Niederösterreicher das Projekt, als Motivation dahinter zählt er Abenteuerlust und einen neuen Weltrekord auf, aktuell hält ihn der Brite Dean Stott mit 99 Tagen. Vor allem aber will der 35-Jährige „die Grenzen des Möglichen ausloten“, wie er sagt.
Dieser Tage erreicht Strasser – nicht zu verwechseln mit dem Steirer Christoph Strasser, der beim Race Across America Berühmtheit erlangte – die Steppen Patagoniens, der Endspurt naht. Über die bisherigen Meilensteine eines außergewöhnlichen Kraftakts. Tag 1, Prudhoe Bay, Alaska. Hinter Strasser und seinem vierköpfigen Team, darunter Freundin Kerstin Quirchmayr, liegt bereits ein beachtliches logistisches Unterfangen. Doch die Begleitfahrzeuge sind startklar, alle Genehmigungen wurden erteilt. Am 24. Juli fällt der Startschuss. „Dass wir so an die Grenzen kommen, habe ich mir damals ehrlicherweise nicht gedacht“, wird Quirchmayr etwa 70 Tage später im Rückblick sagen. Woche 1, Dalton Highway. Menschenleere 666 Kilometer führt die ungeteerte Straße von den Ölfeldern des Nordpolarmeers in die Stadt Fairbanks in Zentralalaska. „Eine Schlammpiste, fast unbefahrbar“, erzählt Strasser. Begleiterin Quirchmayr ist sich sicher: „Hier ist noch niemand mit dem Rennrad gefahren. Das hat mit einer 15-Zentimeter-Schlammschicht gar nicht mehr wie eines ausgesehen.“Doch das Simplon-Rad aus Vorarlberger Manufaktur hält. Strasser selbst hingegen quälen trotz eines Netztuchs über dem Kopf „eine Milliarde Mosquitos“, wie er schätzt. Tag 22, Denver, Colorado. Auf der vierspurigen Stadtautobahn wird der Verkehr immer stärker, Autos und Trucks knallen links und rechts an Strasser
Michael Strasser
geb. 1983 in Mödling. Architekt, Kursleiter Sportinstitut Universität Wien.
„Cairo2Cape“
2016 fuhr Strasser 11.000 km von Kairo nach Kapstadt in 34 Tagen mit dem Rad.
„Ice2Ice“
Strasser will in Rekordzeit Amerika von Nord nach Süd durchqueren. Im Juli 2018 nimmt er die 23.000 km in Angriff. Auf strassermichael.at können km gekauft werden. 21.000 Euro wurden so bisher für wohltätige Zwecke gesammelt.
„Sportler mit Herz“
Strasser ist nominiert. Die OnlineAbstimmung läuft (sporthilfe.at). Verschnaufpause in Ecuador: Die Müdigkeit sitzt Strasser tief in den Knochen. vorbei. Polizisten weisen ihn darauf hin, dass er auf dem Interstate Highway nichts zu suchen habe. Das Rad hätten sie beinahe konfisziert. „Michael haben sie sogar mit einer Haftstrafe gedroht“, erinnert sich Quirchmayr.
Die erste Dopingkontrolle ist fällig. Strasser befindet sich im Testing Pool der österreichischen Anti-DopingAgentur, bekommt also regelmäßig Besuch der Dopingjäger. Die Glaubwürdigkeit seiner Rekordfahrt soll auch ein GPS-Tracking (strassermichael.at) garantieren. Zudem muss er sich täglich seine Anwesenheit von unabhängigen Personen per Formular bestätigen lassen, eine Bedingung, damit der Weltrekord am Ende anerkannt wird. 6. Woche, Mexiko. Mexico City mit dem Rad zu durchqueren, ist wie bei den meisten Städten auf der Route ein halsbrecherisches Unterfangen. Noch wilder aber geht es auf den Highways zu. Tonnenschwere Lkw überholen nur mit wenigen Zentimetern Abstand und verursachen gefährliche Windböen. Es kommt beinahe zum Unfall, den Strasser, mit einem Fuß noch im Klickpedal, nur durch einen Sprung in den Straßengraben verhindern kann. „Wir haben das Gefühl, dass wir auf dieser Reise einen Haufen Schutzengel verbraten“, meint Quirchmayr.
Die Begegnungen aber sind es, die alle Strapazen kurzzeitig vergessen machen. In Mexiko kommt das Team mit einem anderen Radfahrer ins Plau- dern. Wenig später hat Strasser plötzlich eine Polizeieskorte an seiner Seite, Stauzonen und Autobahnen sind so kein Problem mehr, bis zu 400 Kilometer schafft er an einem Tag. „Der Hobbyradfahrer hat anscheinend Kontakte bis zum höchsten Polizeipräsidenten Mexikos“, erzählt Strasser. Tag 43, Dari´en Gap. Die letzte Lücke in der Panamericana ist etwa 110 Kilomete lang und liegt im Südosten Panamas. Ein bergiges und sumpfiges Regenwaldgebiet, durch das keine Straßen führen. Strasser und Co. müssen von Panama City nach Cartagena in Kolumbien fliegen. „Ich bin direkt vom Flughafen mit dem Rad weitergefahren, um keine Zeit zu verlieren“, sagt Strasser. Die beiden neuen Begleitfahrzeuge wurden aus Bremerhaven verschifft und warten bereits, darunter der einst um 1000 Euro erstandene, 25 Jahre alte Toyota, mit dem Strasser Afrika durchquert hatte. Tage 51 bis 53, Ecuador. Nach einer Wüstendurchquerung bei 41 Grad gelingt Strasser ein persönlicher Rekord: auf 235 Kilometern bewältigt er 5300 Höhenmeter. „Mehr schaffte ich bisher nur mit Tourenskiern.“Zwei Tage später erklettert er in den Anden den höchsten Punkt seiner Route auf über 3800 Metern Seehöhe. Die Abfahrten sind alles andere als ein Genuss, bei Nebel und Dunkelheit gilt es, den riesigen Schlaglöchern auszuweichen. Woche 9, Peru. Strasser macht sich Vorwürfe. Er hat den Wind in den menschenleeren Ebenen Perus unterschätzt. Böen mit Geschwindigkeiten von 60 km/h bringen ihn an die Leistungsgrenze, sein Schnitt halbiert sich auf 13 bis 15 Kilometer pro Stunde. Dazu kommt der Sand, der die Ketten zerstört. Das Team fällt in ein Motivationsloch. „Es gab Phasen, in denen wir schon im Auto gekämpft haben“, berichtet Quirchmayr. Alle Energie Strassers fließt in den Erhalt seines Durchhaltevermögens. Tag 74, Santiago de Chile. Im Norden Chiles ist keine Besserung in Sicht. Strasser sitzt ab drei Uhr früh im Sattel, um diese Zeit sind die Windgeschwindigkeiten noch am erträglichsten. Das Team liegt immer noch auf Weltrekordkurs, insgeheim wollte Strasser aber einen Rekord für die Ewigkeit aufstellen – dieses Vorhaben hat der Wind wohl zunichtegemacht. Schließlich erreicht er Santiago, mit bis zu 60 km/h kämpft er sich durch die Tunnel und das Verkehrschaos der Stadt. Sehnsuchtsort Ushuaia. Mitte Oktober sollte Strasser die Südseite der Großen Feuerlandinsel erreicht haben. Ans Aufgeben hat er trotz aller Widrigkeiten und Ausnahmesituationen noch keinen Gedanken verschwendet. „Das würde er nie machen“, sagt Freundin Quirchmayr, „und wenn er zu Fuß da hinuntergeht. Es geht immer weiter. Neuer Tag, neues Glück.“