»Culture Clash« der Spielphilosophien
Der Hit Liverpool gegen Manchester City wird die Premier League nicht entscheiden. Aber er ist ein Wegweiser für den weiteren Saisonverlauf.
Die Spötter ließen, wie immer, nicht lang auf sich warten. Das Champions-LeagueSpiel Napoli gegen Liverpool war am Mittwochabend kaum abgepfiffen, da ging nach der 0:1-Niederlage der Engländer in der letzten Spielminute schon der erste Kommentar in den Cyberspace: „Liverpool-Krise nun bestätigt. Drei Spiele, zwei Niederlagen, ein Unentschieden.“Von Krise will an der Anfield Road, der Heimstätte des Liverpool FC, niemand etwas wissen, wenn Meister Manchester City heute (17.30 Uhr, live, Dazn) zu Gast ist. Aber die Angst ist spürbar, dass nach dem souveränen Saisonstart mit sechs Siegen in Folge der Faden gerissen ist.
Obwohl Trainer Jürgen Klopp auch gegen Napoli eine starke Mannschaft gewählt und den Stützen des Teams keine Schonung gewährt hatte, war die Leistung gegen die Italiener enttäuschend. „Schwerfällig, müde und uninspiriert“, kritisierte selbst die stets loyale Lokalzeitung „Liverpool Post“das Auftreten der Reds. Nach sieben Spielen in 23 Tagen schien das Team ausgelaugt, und besonders bedenklich war: Es gelang kein einziger Torschuss.
Zwar nahm Klopp nach dem Spiel die Verantwortung auf sich: „Ich habe das nicht richtig hingekriegt“, stellte er sich vor seine Mannschaft. Für das Spiel gegen Manchester City versprach er: „Am Sonntag werden wir das Stadion wieder hinter uns haben.“Wie immer wird die Anfield Road mit 54.074 Zusehern bis auf den letzten Platz gefüllt sein, und vom Ertönen der Klubhymne „You Never Walk Alone“an werden die Fans ihren Reds-Kult zelebrieren und ihren Mythos genießen. Doch eine bange Frage bleibt: Wird der Wundersturm endlich wieder treffen? Was ist los mit Mo Salah? Besonders Mittelstürmer Mohamed Salah läuft hartnäckig seiner Form hinterher. Zwar sagt Klopp: „Wenn er weiter so hart arbeitet, habe ich ihm nichts vorzuwerfen. Die Tore werden kommen“. Aber mittlerweile ist selbst der Spieler des letzten Jahres nicht mehr unantastbar: Im Ligaspiel gegen Chelsea wurde der Ägypter nach nur 66 Minuten ausgetauscht. Top-Scorer in allen Bewerber ist derzeit mit vier Treffern Daniel Sturridge, der – ausnahmsweise fit – als Edelreservist überraschend überzeugend auftritt.
Während der Sturm außer Tritt geraten ist, ist ausgerechnet die so oft kritisierte Verteidigung das Prachtstück von Liverpool. In der Liga kassierten die Reds in sieben Spielen erst drei Tore. Der im Jänner um den Rekordbetrag von 75 Millionen Pfund erworbene Virgil Van Dijk stabilisierte die Hintermannschaft, der im Sommer geholte Torhüter Alisson war bereits in den ersten Spielen jeden Cent der 72 Millionen Euro Ablöse wert. Mit ihm scheint Liverpool sein jahrelanges Torwarttrauma hinter sich gelassen und Klopp eine Antwort auf jene Kritiker gefunden zu haben, die ihm vorwerfen, dass seine Mannschaften nicht verteidigen können.
Für den Hit gegen die Citizens wird das freilich zu wenig sein. Klopp wird wohl von Anfang an auf Angriff setzen. In der Vergangenheit hat er damit seinem Trainerrivalen Pep Guardiola regelmäßig die Schneid abkaufen können: Im Duell der beiden derzeit unbestritten charismatischsten Manager im englischen Fußball steht es 7:5 für den Deutschen. Doch beide sind voll des gegenseitigen Lobs. Klopp: „Man City genießt meinen Respekt.“Guardiolas Antwort: „Liverpool ist eine der zwei besten Mannschaften in England.“ Brasilianische Torhüter. Das Trainerduell ist auch ein Aufeinandertreffen von zwei Spielphilosophien: Setzt Klopp auf bedingungslosen Powerfußball („Gegenpressing“heißt das auf gut Englisch in der nationalen Presse), ist für Guardiola der Schlüssel zum Erfolg weiterhin der Ballbesitz. Aus der totalen Dominanz des Tiki-Taka sollen zwangsweise Tore fallen. Im Vorjahr waren es allein in der Meisterschaft 106, ein Rekord wohl für die Ewigkeit. „Niemand kann eine Wiederholung erwarten“, warnt Guardiola. Nicht zuletzt dank eines überragenden Sergio Agüero halten die Blues aber nach sieben Runden schon bei 21 Treffern.
Zwar kommt Manchester City punktegleich mit Liverpool als Tabel- lenführer, nicht aber als Favorit an die Anfield Road. Entscheidend werden direkte Duelle sein: Dem Brasilianer Alisson im Liverpool-Tor steht auf der Gegenseite mit Landsmann Ederson ein ebenbürtiger Kontrahent entgegen. Mit James Milner im Dress von Liverpool und Raheem Sterling bei Man City wer- den zwei Spieler auflaufen, die in der Vergangenheit die Farben des heutigen Gegners getragen haben. Im Mittelfeld wird Manchester City mit Kevin de Bruyne der beste Mann des Vorjahrs fehlen, während Liverpool-Kapitän Jordan Henderson wegen Formtiefs fraglich ist.
Liverpools Topscorer? Nicht Man´e oder Salah. Sturridge, der Edelreservist trifft. Im Duell der unbestritten charismatischsten Manager im Fußball führt Klopp mit 7:5.