Waffen im Wohnmobil
Kindheit in einem Trailerpark in Florida: Jennifer Clement schildert eine desolate Szene aus Kinderaugen. Naiv und klug zugleich – und voller Lebenswillen.
Pearl wächst in Florida auf, in einem alten Mercury mit ihrer Ausreißer-Mutter auf dem Parkplatz eines Trailerparks. Nicht weit entfernt verpestet eine Müllkippe die Luft. Alligatoren schwimmen im Fluss. Für die Zehnjährige ist diese feindliche Umgebung ihr Alltag – und sie registriert mit den aufmerksamen Augen einer Heranwachsenden, was um sie herum geschieht. Dass Pastor Rex, der von seinen Drive-in-Gebeten und dem immer möglichen U-Turn im Leben schwärmt, ein Auge auf ihre junge Mutter geworfen hat. Dass Waffen überall sind und ihre Nachbarn sie nach Mexiko verkaufen. Dass die Anwohner des Trailerparks eigensinnige Gestalten sind mit ganz eigenen Überlebensstrategien. Nachbarin Corazon´ etwa riecht wie der „Reinigungsmittelgang eines Supermarktes“. Hingebungsvoll schrubbt sie ihren Wohnwagen, eine Oase der Frische, umgeben von Dreck.
Die enge Bande mit ihrer Mutter bricht, als ein Mann deren Herz erobert. Eli aus Texas nimmt Pearls Platz im Auto ein – und schlimme Dinge nehmen ihren Lauf. „Salz trifft Wunde“, kommentiert Pearls Freundin treffend.
Jennifer Clement hat ein eindringliches, direktes und poetisches Buch über eine Mutter-Tochter-Beziehung am Rand der Gesellschaft geschrieben, die gänzlich ohne Erklärungen auskommt. Die Lebenswelt erschließt sich einzig aus den Augen des Mädchens. Wie die Männer um sie herum, greift Pearl schließlich zur Waffe. Sie war schon immer da. Jennifer Clement: „Gun Love“, übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner, Suhrkamp Verlag, 252 Seiten, 22,70 Euro.