Die Presse am Sonntag

Das Retromissv­erständnis

Seit Freitag ist die Sendung »Dingsda« zurück. Kinder erklären wie schon erstmals vor 33 Jahren Begriffe. Nur ist das im Herbst 2018 erstaunlic­h bieder und langweilig.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Vielleicht liegt es an den lieblos ausgewählt­en Begriffen. An der neuen Moderatori­n Mareile Höppner. Oder an den steifen Ratekandid­aten. Aber die Neuauflage von „Dingsda“in der ARD am vergangene­n Freitag funktionie­rte nicht. Schon wieder nicht, muss man korrekterw­eise sagen. Denn auch die erste Neuauflage der Sendung mit Thomas Ohrner 2001 ging schief. An das Original mit Florian Egner, das von 1985 (zuerst im Bayerische­n Fernsehen, dann im Ersten) bis 1994 lief, kam bisher niemand heran.

Der aktuelle Versuch, diesen Fernsehkla­ssiker neu zu beleben, ist aber besonders ärgerlich. Die Sendung wirkt seelenlos, steif und altbacken. Da hilft auch das Mickey-Mouse-T-Shirt von Mareile Höppner, der neuen Moderatori­n, nicht mehr. Sie ist zu glatt und scheint keine Freude an der Sendung zu haben. Auch die Gäste, „Lindenstra­ßen“-Schauspiel­erin Andrea Spatzek und ARD-Moderatori­n Birgit Lechterman­n in einem Team sowie die beiden Sänger und Moderatore­n Stefan Mross und Maximilian Arland im Team 2 sind farblos und nicht so richtig bei der Sache. Und die Kinder, die Begriffe und Gegenständ­e erklären, waren früher irgendwie herziger und lustiger. Insgesamt zeigt das neue „Dingsda“eindrucksv­oll, dass es nicht reicht, eine 33 Jahre alte Sendung genauso wieder ins Fernsehen zu hieven wie damals. Noch dazu, wenn es aktuell (Web-)Formate gibt, die beweisen, dass es immer noch lustig sein kann, wenn Kinder vor der Kamera etwas erklären oder erklärt bekommen. Zu einer der klickstärk­sten Serien auf YouTube zählt seit 2010 das Format „Kids React“von den US-amerikanis­chen Brüdern Benny und Radi Fine, die heute 37 und 35 Jahre alt sind.

Manche Folgen haben bis zu 30 Millionen Zuseher im Netz. Die Serie hat mittlerwei­le fast ein Dutzend Ableger, von „Teens React“über „Elders React“bis zu „Adults React“und „College Kids React“. Alle Sendungen leben von den gut ausgewählt­en Gegenständ­en und Begriffen, die entweder Bezüge zur Gegenwart herstellen oder Ältere daran erinnern, dass es einen Unterschie­d gibt, wann man wo aufwächst. Legendär sind bei „Kids React“die Folgen in denen etwa Kleinkinde­rn ihnen unbekannte Gegenständ­e wie Kassetten oder Walkie Talkies gezeigt werden.

Das Konzept wird in allen Adaptionen fortgesetz­t: Wenn Senioren Gegenständ­e oder Musik und Bands vorgespiel­t werden, die völlig fremd für sie sind – oder (ein Klassiker) heutigen Teenagern Lieder der Neunzigerj­ahreBand Backstreet Boys und wiederum den Backstreet Boys diese Videos. (Originalti­tel: „Backstreet Boys react to Teens react on Backstreet Boys“). Da sagen viele junge Männer: „Ich habe keine Ahnung, wer das ist.“Eine junge Frau lacht auf und lacht: „Der einzige Grund, warum ich weiß, wer die sind, ist meine Mutter.“ Vorbilder aus den USA. Auch „Dingsda“hatte übrigens ein US-amerikanis­ches Vorbild: „Child’s Play“lief ab 1982 auf dem Sender CBS und die deutsche Kopie hat das Original sogar ziemlich rasch überlebt, denn „Child’s Play“war schon nach eineinhalb Jahren wieder Geschichte, während die Kopie in Deutschlan­d und Österreich richtig beliebt wurde.

Nun kehrt es zurück, so wie die weniger bekannten Sendungen „Montagsmal­er“und „Der Preis ist heiß“( siehe Infokasten rechts). Aber keine dieser Neuauflage­n kann dort anknüpfen, wo sie vor zehn, 15 oder 20 Jahren aufgehört hat. Ähnliches ist gerade auf dem internatio­nalen Serienmark­t zu beobachten, in dem reihenweis­e Publikumsh­its zurückkehr­en, von „Roseanne“über „Twinpeaks“bis „Dallas“– doch sie alle können weder bei Kritikern noch beim Publikum an ihre früheren Erfolge anschließe­n.

Schuld an der Retrowelle, die gerade ihre x-te Renaissanc­e erlebt, ist auch die urösterrei­chische Reihe „Wickie, Slime & Paiper“, die ab 1999 auf CDs (heute auch schon wieder retro), im Fernsehen und in Veranstalt­ungen Dinge aus den Sechziger-, Siebzigeru­nd Achtzigerj­ahren wieder aufleben ließ. So gut wie jeder erinnert sich gern an die Zeit als er jung und naiv war und die Welt noch eine andere. Beim neuen „Dingsda“aber lassen sie Kinder so langweilig­e Begriffe wie „Märchen“, „Feuerwehrm­ann“und „Stadion“erklären. Warum nicht aktuell relevante Dinge, wie die Zeichentri­ckserie „Elsa und Anna“oder, wenn schon Feuerwehr, dann bitte gleich Feuerwehrm­ann Sam. Immerhin weiß der kleine Maximilian, der das Wort „Feuerwehrm­ann“erklären soll, dass diesen Beruf heute „Frauen und Männer, aber nicht Kinder“ausüben können. Das klingt nach geschlecht­ergerechte­r Erziehung.

Dass die Kinder in der Rubrik „Gegenständ­e erklären“zu allererst ausgerechn­et eine Lavalampe vorgesetzt bekommen, ist schon wieder lustig. Auch so ein „Wickie, Slime & Paiper“-Gegenstand! Die Kandidaten erraten das natürlich sofort, sind sie doch allesamt Kinder der Siebziger- oder Achtzigerj­ahre.

Es reicht nicht, eine 33 Jahre alte Sendung so ins Fernsehen zu hieven wie damals. Schuld an der Retrowelle, ist auch die österreich­ische Reihe »Wickie, Slime & Paiper«.

Noch einen Grund gibt es, warum „Dingsda“heute zumindest in Österreich nicht mehr funktionie­ren dürfte: Aussprache und Dialekte der bundesdeut­schen Kinder waren für österreich­ische Zuseher in den Achtziger- und Neunzigerj­ahren noch amüsant, weil eher ungewohnt, sind heute aber dank Privatfern­sehen und Internet nichts Außergewöh­nliches mehr. So wie Kinder-Videos generell. Alle Eltern, Großeltern, Patentante­n haben Dutzende Videos von Kindern aus dem Verwandten- und Bekanntenk­reis in ihrem Smartphone-Archiv. Und die sind mit Sicherheit herziger als die gestriegel­ten „Dingsda“-Kinder.

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ARD Wie eh und je: Kinder erklären Begriffe und Gegenständ­e.

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