Als Medikament
Pharmafirmen. Ihre Spendierfreudigkeit hält sich aber bei Projekten in Grenzen, die zeigen könnten, dass Bewegung und Sport eventuell gleich oder besser wirken als so manches Medikament.
Doch auch so hat sich die Einstellung zu Bewegung und Sport im Zu- sammenhang mit Krebs grundlegend gewandelt. Die genauen Mechanismen auf der molekularen Ebene sind noch nicht klar, doch ganz offenbar mögen Krebszellen keinen Sport. Die Produktion verschiedener Hormone und Wachstumsfaktoren wie Östrogene, Insulin, Leptin wird eingeschränkt, das Immunsystem und damit die natürlichen Killerzellen werden aktiviert. Die durch Fettzellen stimulierten Entzündungen im Körper werden reduziert. „Wenn ein Medikament derart positive Auswirkungen hätte, würde man es umgehend zulassen“, sagt Thaler.
Der große Umschwung kam bei erkrankten Personen. Galt früher „Schonung“als oberste Maxime, rät man heute zu Bewegung – und zwar in je- dem Stadium der Krankheit. Das beginnt bereits mit der besonders angesagten Prähabilitation, der Zeit zwischen Diagnose und Therapie. Patienten, die vor OP oder Chemo ein Fitnesstraining absolvieren, überstehen die Eingriffe besser, verbringen kürzere Zeit im Spital, sind schneller wieder auf den Beinen und vertragen die Belastungen durch Chemo- und Strahlentherapie besser – physisch und psychisch. Das wiederum verringert das Risiko, dass die Behandlung abgebrochen oder die Dosis reduziert werden muss. Bei dem mit Krebserkrankungen assoziierten Fatigue-Syndrom erzielte die Bewegungstherapie bessere Resultate als psychologische Betreuung und Medikamente, erklärt der Kölner Sportwissenschaftler Freerk Baumann.
Dasselbe gilt für die Zeit der Rekonvaleszenz. Wer dazu in der Lage ist, soll möglichst schnell aus dem Bett und in Bewegung kommen. Denn Krebs geht an den Muskeln nicht spurlos vorüber. „Aktive Krebserkrankungen und Entzündungen führen zur Veränderung der Muskelstruktur“, sagt Florian Strasser, Chefarzt für Integrierte Onkologische Rehabilitation am Kantonsspital Sankt Gallen. „Ab 30 baut man ohnedies Muskeln ab, jeder Tag Bettruhe kostet zusätzlich drei Prozent an Muskelmasse.“Laut Jann Arends vom Uni-Klinikum in Freiburg im Breisgau ist aber die Muskelmasse „hoch relevant für die Prognose von Krebspatienten“. Bei Brustkrebspatientinnen wiederum wurde die Wahrscheinlichkeit eines Lymphödems durch präventives Krafttraining reduziert, so Joachim Wiskemann vom UniKlinikum Heidelberg.
Überhaupt steht Krafttraining nach einer Krebserkrankung derzeit fast höher im Kurs als Ausdauertraining – auch wenn Experten meist für eine Kombination plädieren. Die Intensität ist ebenfalls nicht egal. Vieles deutet darauf hin, dass die Resultate umso besser sind, je intensiver trainiert werden kann. Zum Spitzensportler muss man allerdings nicht werden. Für Patienten mit Darmkrebs sind 18 MET (metabolische Einheiten pro Stunde) plus pro Woche erstrebenswert, für Brustkrebspatientinnen neun MET plus. Die Einheit MET vergleicht Aktivitäten mit dem Energieverbrauch im Ruhezustand. Moderates Laufen etwa entspricht acht MET pro Stunde, Krafttraining fünf, Hausarbeit vier.
Einig sind sich alle Experten, dass Training unter Anleitung besonders effektiv ist – nicht nur, weil damit auf den körperlichen Zustand des einzelnen
Petra Thaller
und der Sportbiologe Thorsten Schulz erklären in „Outdoor against Cancer“, wie die Natur im Kampf gegen den Krebs unterstützend wirkt.
Für „Outdoor“
sprechen unter anderem der Anstieg von Vitamin D (wichtig in der Immunabwehr), in der Luft gelöste Pflanzenstoffe (Terpene), die Exposition gegenüber vielfältigen Mikroorganismen (Immunabwehr) sowie Entspannung.
Erschienen
bei Kailash, 256 Seiten, 20,60 Euro Patienten eingegangen werden kann, sondern weil sich die Betroffenen auch betreut fühlen und länger durchhalten. „Wir brauchen in jedem Institut, das Krebspatienten behandelt, ein Angebot für Ernährung und Bewegung“, meint Professor Sebastian Theurich vom Klinikum der Uni München. Kein Sportstress. Allerdings gibt es auch warnende Stimmen: Menschen, die sich aufgrund ihrer Krankheit physisch und psychisch bereits in einer schwierigen Situation befinden, sollte man nicht auch noch unter „Sportstress“setzen. Das sagt Doris Kiefhaber, Geschäftsführerin der Österreichischen Krebshilfe, die Bewegungsprogramme durchaus fördert: „Nicht jeder Krebspatient lebt länger und besser, wenn er sich bewegt. Uns ist hier eine differenzierte Botschaft wichtig.“
Vor allem aus der Krebsprävention sind Sport und Bewegung nicht mehr wegzudenken. Und diese geht die Hälfte der westlichen Bevölkerung an: Laut dem deutschen Robert-Koch-Institut erkrankt jeder Zweite im Lauf seines Lebens an Krebs (44 Prozent der Frauen, 50 Prozent der Männer), jeder vierte Mann und jede fünfte Frau sterben daran. Dieses Bild könnte anders aussehen, wenn sich mehr Personen an die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hielten: 150 Minuten pro Woche gemäßigte Bewegung oder 75 Minuten pro Woche intensive Bewegung senken das Risiko, an Brust- oder Dickdarmkrebs zu erkranken, um 25 Prozent. Natürlich sind auch fitte, sportliche Menschen nicht gefeit, es bleibt die Frage der Gene und des Zufalls. Aber wenigstens einen Teil des Schicksals kann man offenbar beeinflussen – indem man ganz einfach schneller und stärker ist.
Jeder Zweite erkrankt im Lauf seines Lebens an Krebs, jeder Vierte stirbt daran.