»Geschichtetests für Politiker«
In seinem neuesten Film „Werk ohne Autor“porträtiert Florian Henckel von Donnersmarck den Jahrhundertmaler Gerhard Richter – mit größtmöglicher Freiheit.
Ein kleiner Bub verliert seine geliebte Tante, die von den Nazis im Zuge eines Euthanasieprogramms ermordet wird. Jahre später lernt er seine künftige Frau kennen – und weiß nicht, dass sein Schwiegervater einer der Ärzte ist, die für den Tod seiner Tante verantwortlich sind. Eine unglaubliche Geschichte – aber wahr: Der deutsche Journalist Jürgen Schreiber entdeckte sie bei der Recherche für sein Buch „Ein Maler aus Deutschland“über die Kunstikone Gerhard Richter. Darauf basiert Florian Henckel von Donnersmarcks Kinofilm „Werk ohne Autor“, der jüngst als deutscher Vorschlag für die Nominierung als „Bester fremdsprachiger Film“festgelegt wurde. Es wäre sein zweiter Oscar nach „Das Leben der Anderen“. Wie sehr haben Sie sich an Jürgen Schreibers Buch gehalten? Florian Henckel von Donnersmarck: Mein Film ist kein Biopic. Ich habe das Buch als Ausgangsbasis für meine eigene Geschichte benutzt. Ähnlich wie bei „Das Leben der Anderen“, das ist auch eine fiktive Geschichte, von echten Schicksalen inspiriert. Es gab diesen berühmten DDR-Liedermacher, man nannte ihn auch „den deutschen Bob Dylan“. Wolf Biermann, kennen Sie den? Ja, natürlich. Jedenfalls hat seine Ehefrau Briefe der beiden und die seiner Freundin Eva Maria Hagen veröffentlicht. Und ich fand die so spannend – wie diese Leute versuchten, ein Privatleben zu haben in dem Bewusstsein, dass sie dabei ständig von der Stasi beobachtet werden. Ich dachte mir: Was könnte da alles passieren, damit die Geschichte richtig dramatisch wird? Ich habe den Figuren sogar ähnliche Namen verpasst, etwa wurde aus Biermann Dreimann, und aus Eva Maria wurde Christa Maria. Ist es für Sie wichtig, die Geschichte selber zu erfinden? Ich glaube an die Fiktion. Ich würde mich viel weniger für „Dr. Schiwago“interessieren, wenn ich erfahren würde, dass der wirklich gelebt hat. Ich fände „Vom Winde verweht“weniger spannend, wenn es Scarlett O’Hara tatsächlich gegeben hätte. Ich brauche keine Geschichten, die einfach nur das erzählen, was im echten Leben passiert ist. Ich glaube an die Dichtung, und an die Wahrhaftigkeit der Dichtung. Vieles in „Werk ohne Autor“klingt sehr ak-
1973
wurde Florian Maria Georg Christian Graf Henckel von Donnersmarck in Köln geboren. Er ist deutscher und österreichischer Staatsbürger.
Seine Filmkarriere
begann er als Lehrling bei Richard Attenborough. Mit seinem Kurzfilm „Dobermann“gewann er mehrere Preise.
Den Oscar
für den besten fremdsprachigen Film gewann er 2007 mit seinem Langfilmdebüt „Das Leben der Anderen“. tuell. Ist das, weil die Menschen einfach nicht aus ihrer Geschichte lernen wollen? Ja, absolut. So viele Fehler, die heute weltweit in der Politik gemacht werden, könnten vermieden werden, wenn sich die Menschen mehr mit der Geschichte beschäftigen würden. Es gibt ja diesen wichtigen Satz: „Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“Ich bin für verpflichtende Geschichtetests für jeden Politiker, der sich für ein öffentliches Amt bewirbt. Denn in der Politik herrscht eine große Unwissenheit auf diesem Gebiet. Versuchen Sie mit Ihren Filmen auch, diese Unwissenheit ein wenig zu verringern? Es ist sicher nicht mein Hauptgrund – ich mache Filme, weil ich Geschichten gefunden habe, die mich so sehr interessieren, dass ich ihnen gerne die Jahre widme, die eine Filmproduktion benötigt. Es gibt sicher Regisseure, die eine bestimmte Message haben und sie unter die Leute bringen wollen. Aber das funktioniert so nicht, die Geschichte muss zuerst kommen. Die kann man dann vielleicht mit Messages auffüllen. Was hat Sie an dieser Geschichte fasziniert? Künstler haben ihre ganz spezielle Art, ihre Schmerzen und Wunden in Kunst zu verwandeln. Das ist auch, was ich an Kunst so liebe. Was in den großen Museen der Welt hängt, sind Zeugnisse davon, dass Leid nicht sinnlos sein muss. Darüber wollte ich erzählen. Ihr erster Film „Das Leben der Anderen“wird heute schon als Klassiker gehandelt – der Nachfolger „The Tourist“mit Johnny Depp dagegen fiel bei der Kritik gnadenlos durch. Wie erklären Sie sich das? Ich glaube, es hing vor allem mit enttäuschten Erwartungshaltungen zusammen. Nach „Das Leben der Anderen“hat jeder gehofft, dass sich mein nächster Film wieder mit großen, wesentlichen Themen beschäftigt. Dazu kam, dass das Studio „The Tourist“, diesen locker-leichten Liebesfilm, als Action-Film vermarktet hat. Viele Kritiker haben sich also gefühlt, als hätten sie eine Hauptspeise bestellt und statt dessen das Dessert serviert bekommen. Aber wissen Sie, ich mache sehr gern Desserts. Und vor allem nehme ich keine Bestellungen auf.