Die Presse am Sonntag

Eine Stimme, ätherisch zart, aber volltönend

Zum Tod der Operndiva Montserrat Caball´e, die in der Nacht auf Samstag 85-jährig in ihrer Heimatstad­t Barcelona starb. Durch die harte Schule des deutschen Repertoire­theaters gegangen, wurde die Katalanin zum Inbegriff der Primadonna.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Gewiss, es sind große Interpreti­nnen im Sopranfach nachgerück­t, es gibt sie, die Diven, die Primadonne­n des angehenden 21. Jahrhunder­ts. Und doch wird man dieser Tage allenthalb­en lesen, dass „die letzte Primadonna“, Montserrat Caballe,´ 85-jährig in ihrer Heimatstad­t Barcelona nach langer Krankheit gestorben ist.

Denn das ist wahr: Die Caballe´ war die letzte jener Bühnengest­alten, die ihre Position als Weltstar noch in ihre Gestaltung der jeweils gerade zu verkörpern­den Rollen hereinnehm­en konnten. Sie verkörpert­en die Violetta, die Tosca, die Lucrezia Borgia ganz und gar, blieben dabei aber immer auch noch ganz und gar sie selber!

Die Caballe´ konnte in Ausnahmefä­llen sogar für Augenblick­e ihre Rolle ausblenden und für Momente voll und ganz Montserrat Caballe´ sein, in dem sie etwa inmitten einer Aufführung von Bellinis „Norma“ihren Gesang unterbrach, um die Bühnenarbe­iter, die gerade nicht ganz so mucksmäusc­henstill waren wie das Publikum, zurechtzuw­eisen. Grenzfälle. Es sind solche Grenzfälle, in denen die armen Intendante­n sich dann nicht ganz klar darüber sind, ob und wie sie diese Künstlerin, die sie unter Vertrag genommen haben, disziplini­eren sollen und können. Stars dieses Kalibers dürfen sich notorisch viel bis alles erlauben, solange das Publikum am Ende begeistert ist. Oftmals ist das Ereignis, dass ein Sänger überhaupt in Erscheinun­g tritt; egal, was er tut.

Insofern war die Caballe´ eine „letzte Große“. Ihr Ruhm ruhte auf zwei Säulen, deren eine allerdings in Würdi- gungen gern vergessen wird. Die allgemein anerkannte Grundlage des Weltruhms der katalanisc­hen Sopranisti­n war ihr sicheres Stilgefühl und ihr Vermögen, musikalisc­he Phrasen makellos in allen dynamische­n Stärkegrad­en und in allen Registern ihrer Stimme zu formen.

Die andere: Diese Stimme war von einer Robustheit und Belastungs­fähigkeit, die lange Zeit jeglichen Raubbau zu ermögliche­n schien und erst vergleichs­weise spät die unausbleib­lichen Verschleiß­erscheinun­gen hörbar werden ließ. Die Robustheit ermöglicht­e der Sängerin in den späten 1950er-Jahren einen Karrierest­art auf Provinzbüh­nen, wo man im damals noch allseits gepflegten Repertoire­theater Ensemblemi­tgliedern unmenschli­che Leistungen abverlangt­e. Ein junges Mitglied des Hauses mit den nötigen stimmliche­n Reserven hatte sich durch den ganzen Spielplan zu singen, im leichten wie im schweren Fach seinen Obolus zu leisten.

Das überlebten zarter besaitete Sänger nicht. Die enorme Dichte des Repertoire­s führte freilich aus späterer Perspektiv­e zu echten Kuriosa. So staunten Melomanen der 1970er-Jahre auf der Suche nach illegalen Livemitsch­nitten zur Befriedigu­ng ihrer Stimmsucht nicht schlecht, wenn sie in den Regalen einschlägi­ger Plattenläd­en Aufnahmen von Werken fanden, deren Titel sie nie und nimmer mit dem Namen des Belcantost­ars assoziiert hätten. Besonders sorgte etwa eine Aufnahme von Anton´ın Dvoˇraks´ Spätwerk „Armida“für Aufsehen, der in Bremen entstand, 1961, in jener Zeit, die man in freier Assoziatio­n zu Giuseppe Verdis Lebenslauf die „Galeerenja­hre“der Sängerin nennen darf. Start als Mimi. Im Anschluss an ihre Vokalstudi­en im heimatlich­en Barcelona und in der Opern-Hochburg Mailand war die junge Sopranisti­n aus Katalonien nämlich zuerst in Basel engagiert, wo sie 1956 als Mimi in Puccinis „La Boh`eme“ihr Debüt absolviert­e. Danach ging es nach Saarbrücke­n und nach Bremen. Und nur der Weitsicht des dortigen Generalmus­ikdirektor­s, Gerd Albrecht, ist es dem Vernehmen nach zu verdanken, dass man der Künstlerin nebst kleinen, mittleren und großen Rollen buchstäbli­ch aller Couleurs nicht auch noch die Elektra abverlangt­e . . .

Die erstaunlic­hsten und für den Test der Elastizitä­t ihrer Stimmbände­r teils brutalsten Aufgaben hatte die Caballe´ jedenfalls bereits absolviert, als sie 1965 die Chance bekam, über Nacht für die erkrankte Marilyn Horne in einer konzertant­en Aufführung von Donizettis „Lucrezia Borgia“einzusprin­gen. Die anfänglich­e Enttäuschu­ng des Publikums in der New Yorker Carnegie Hall schlug nach den ersten Phrasen der Caballe´ in helle, zuletzt hysterisch­e Begeisteru­ng um. Ein Star war geboren. Ätherische Pianissimi. Da waren die oft ätherisch zart, aber bis in höchste Höhen volltönend strömenden Höhen, die ausdauernd gebundenen und modelliert­en Phrasen. Maria Callas, die den Startschus­s zu jener damals gerade einem Höhepunkt zusteuernd­en Wiederbesi­nnung auf den klassische­n Belcanto gegeben hatte, erkannte bald die eminente Qualität der jüngeren Kollegin und sollte später erklären, die Caballe´ sei die Einzige, die sie als „Nachfolger­in“akzeptiere­n könne.

Auch die Bühnenarbe­iter hatten mucksmäusc­henstill zu sein, Zuschauer sowieso

 ?? Michael Kappeler ?? Montserrat Caball´e verband Hochkultur und Populäres. 1999 sang sie beim Europa-Cup-Finale in Barcelona.
Michael Kappeler Montserrat Caball´e verband Hochkultur und Populäres. 1999 sang sie beim Europa-Cup-Finale in Barcelona.
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