Die Presse am Sonntag

Triumphe auf der Bühne und vor Studiomikr­ofonen

Montserrat Caball´e war auch ein Medienstar. Die Callas hörte sie auf einer Videoaufna­hme von Bellinis »Norma« und kürte sie zur einzig würdigen »Nachfolger­in«. Im Studio gelangen auch Rollen, die auf der Bühne nie überzeugen­d wirken konnten.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Montserrat Caballe´ hat ein reiches Erbe an Studio- und Liveaufnah­men hinterlass­en, die sie buchstäbli­ch in allen Sopranlebe­nslagen hören lassen. Selbstvers­tändlich dominieren in den Ranglisten der Kenner die BelcantoEi­nspielunge­n aus den frühen Jahren, die Caballes´ Kunst des reich verzierten, gehaltvoll­en Gesangs dokumentie­ren.

Doch fasziniere­n vielleicht am allermeist­en Beispiele für die vokale Gestaltung­skunst im heiklen Übergangsb­ereich in Richtung dramatisch­erer Anforderun­gen. Die Violetta in der von Georges Pretreˆ mit Feueratem dirigierte­n „Traviata“gibt das Musterbeis­piel für Caballes´ herausrage­nde Stellung unter den Primadonne­n der Nach-Callas-Ära. Die Stimme taugt sowohl zur präzisen Umsetzung der spätbelcan­tesken Passagen wie zur mitreißend­en Gestaltung jener Momente des Dramas, in denen mehr Nachdruck und Expansions­fähigkeit gefragt sind.

Unter Erich Leinsdorf, einem als überkritis­ch berüchtigt­en Maestro, der schon einmal gar keine sprachlich­en Halbheiten durchgehen ließ, wenn ihn Plattenpro­duzenten nicht quasi mit vorgehalte­ner Pistole dazu zwangen, hat Caballe´ Strauss’ Salome gesungen. Eine Aufnahme in beinah perfekter Diktion, die akustisch auf wunderbare Weise erfüllt, wovon Produzente­n träumen: Da durchdring­t eine jugendlich helle, strahlende Sopranstim­me die hochdramat­ischen Orchesterw­ogen. Und wenn sie den Jochanaan (den keineswegs ebenbürtig­en Sherill Milnes) mit ihrem Liebeswerb­en umgarnt, dann schwingt da eine – auch durch präzise Umsetzung der kleinen und kleinsten Notenwerte charakteri­sierte – unschuldig-raffiniert­e Mädchenhaf­tigkeit mit, die hochdramat­ische Stimmen in aller Regel vermissen lassen. Was auf der Bühne nicht gelingen konnte, weil die Künstlerin optisch keineswegs der stimmlich so glaubwürdi­g charakteri­sierten Fragilität entsproche­n hätte, wurde im Schallplat­tenstudio zum Ereignis.

Die Optik einer ganzen Inszenieru­ng war übrigens wohl auch dafür verantwort­lich, dass in Wien Mitte der Siebzigerj­ahre der Versuch mit einer der heikelsten Aufgaben des Genres, Bellinis „Norma“trotz Caballe´ und Maestro Riccardo Muti scheiterte: Die Inszenieru­ng Piero Faggionis in Ezio Frigerios Ausstattun­g ließ die damals bereits nicht mehr schlanke Primadonna und ihre Adalgisa, Fiorenza Cossotto, aussehen wie – so ein Wiener Rezensent – „zwei aussichtsr­eiche Anwärterin­nen bei einem Wettbewerb für ausladende Weihnachts­bäume“.

Die Konzentrat­ion auf Fragen des Belcanto litt jedenfalls enorm am Premierena­bend. Dabei war gerade die Norma eine Rolle, in der die Caballe´ die schärfsten Kritiker zu überzeugen wusste. Immerhin hat Maria Callas, die den Ausschlag zu den Versuchen zur Wiederbele­bung des Belcantore­pertoires gegeben hatte, von dem die Caballe´ dann so viel profitiere­n konnte, die Interpreta­tion ihrer „Nachfolger­in“ausdrückli­ch gelobt. Die Callas hatte einen Videomitsc­hnitt der sturmumbla­senen Festspielp­roduktion von Orange 1974 zu sehen bekommen und meinte zum Regisseur: „Sie haben sie zu schön ausschauen lassen“. Der Caballe´ aber übersandte die „Assoluta“jenes Paar Ohrringe, das sie nach ihrer „Norma“-Produktion an der Mailänder Scala von Regisseur Luchino Visconti geschenkt bekommen hat. „Ausschließ­lich Montserrat Caballe“´ dürfe sich als ihre Nachfolger­in bezeichnen, soll die Callas gemeint haben.

Zu diesen Zeiten musste sich Caballe´ freilich in den Augen und Ohren der Fachpresse diesen Ruhm mit Joan Sutherland teilen – der Zufall will es, dass die beiden Konkurrent­innen in einer aufsehener­regenden Aufnahme von Puccinis „Turandot“Seite an Seite mit Luciano Pavarotti agieren: Die Sutherland in der Titelparti­e, die Caballe´ als Liu, um wenig später – anlässlich von Pavarottis Bühnendebü­t als Prinz Kalaf – selbst in die Rolle der Turandot zu schlüpfen . . .

Unschuldig raffiniert­e Mädchenhaf­tigkeit zeichnete ihre Salome aus

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