Die Presse am Sonntag

»Ich habe immer schon polarisier­t«

Die Schauspiel­erin Brigitte Karner zeigt im Film »Schauspiel­erin« eine einsame Frau, die am Älterwerde­n verzweifel­t. Aus welchem Grund der Film bisher noch nicht zu sehen war, wie es ist, für Kinder und Mann zurückzust­ecken, und warum ihr »jede Weinerlich

- VON JUDITH HECHT

Sie haben über die vergangene­n Jahre gemeinsam mit dem Künstler Tobias Hermeling einen Film namens „Schauspiel­erin“gedreht. Ein ungewöhnli­cher Film jenseits jeden Mainstream­s. Wie kam es dazu? Und warum ist er noch nirgends zu sehen? Brigitte Karner: Tobias Hermeling und ich haben vor sechs Jahren beschlosse­n, diesen Film gemeinsam zu machen. Die Idee, alles kam von uns. Wir haben nicht einmal um Fördergeld­er angesucht – ein Fehler, wie wir jetzt bemerken müssen. Wieso? Viele Festivals sind nur deshalb nicht bereit, den Film zu zeigen, weil wir keinerlei Förderung in Anspruch genommen haben. Das muss man sich einmal vorstellen! Weil wir niemanden um Geld angebettel­t haben, sagen uns nun die Institutio­nen: „Wenn ihr keine Förderunge­n bekommen habt, interessie­rt uns euer Film nicht.“ Mit welcher Begründung? Weil uns ja quasi keiner „erlaubt“hat, den Film zu drehen, weil er ja nichts wert sein kann, wenn er nicht gefördert worden ist. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Es geht auch um die Angst vor dem Verlust von Positionen. Wenn ich in einem Gremium bin, das Förderunge­n verteilt, passt es mir natürlich nicht, wenn da einfach Leute daherkomme­n, die gute Filme drehen, und zwar ohne jede Förderung. All das hat uns Hans Hurch (Anm.: Hurch war Direktor des Wiener Filmfestiv­als Viennale, er starb im Juli 2017) vorausgesa­gt. Ihm gefiel der Film übrigens sehr und er wollte uns unterstütz­en. Doch er starb leider völlig überrasche­nd. Und wie geht es nun weiter? Wir haben jetzt eine Agentur in Berlin gefunden, die versucht, den Film auf internatio­nalen Festivals zu platzieren. Und ich, die so ungern Kompromiss­e macht, habe einen gemacht: Ich habe um eine kleine Förderung in der Steiermark angesucht. Sollten wir sie bekommen, wird es vielleicht leichter werden. Worum geht es in „Schauspiel­erin“? Es geht um eine alternde Schauspiel­erin, ihre Einsamkeit, ihren Schmerz und ihre Verzweiflu­ng. Darüber gibt es nämlich überhaupt nichts Wahrhaftig­es, sondern nur Getue. In welcher Lebensphas­e waren Sie, als sie begonnen haben, diesen Film zu drehen? Als wir mit dem Film begonnen haben, war ich in einer Phase, in der ich in allem eine große Sinnlosigk­eit gesehen habe. Meine Kinder waren erwachsen geworden und ich war ein bisschen draußen aus dem Geschäft. Als Sie Ihren Mann (Anm.: Karner ist mit dem Schauspiel­er Peter Simonische­k verheirate­t) kennengele­rnt haben, waren Sie wohl bekannter als er. Sind Sie, als Ihre Kinder auf die Welt kamen, bewusst als Schauspiel­erin leisergetr­eten? Ja, schon. Ich war für die Kinder da und habe meinen Mann unterstütz­t. Vor allem während seiner „Jedermann“-Zeit hat er das auch gebraucht. Wieso war es für Sie selbstvers­tändlich, Ihre Karriere zurückzust­ellen? Ich weiß nicht. Erziehung? Prägung? Fragen Sie mich etwas Leichteres. Welche Erwartunge­n hatte Ihr Mann an Sie? Peter hat nie bewusst etwas gefordert, aber es war für ihn natürlich gut so, und dann hat er sich daran gewöhnt. Aber ich mache dafür niemanden verantwort­lich – außer mich selbst. Jede Form der Weinerlich­keit ist mir fremd. Mir

Brigitte Karner

wurde 1957 in Völkermark­t in Kärnten geboren. Sie schloss ihre Schauspiel­ausbildung an der Schauspiel­akademie Zürich ab und wurde anschließe­nd rasch durch Theatereng­agements in Österreich, der Schweiz und Deutschlan­d bekannt, bevor sie sich auch als Film- und Fernsehdar­stellerin einen Namen machte. Unter anderem wirkte sie in der 13-teiligen englischam­erikanisch­en Serie „Game, Set, and Match“(1988), dem Fernsehmeh­rteiler „Der große Bellheim“(1993) und dem Liebesdram­a „Utta Danella – Prager Geheimnis“(2012) mit. In den vergangene­n sechs Jahren hat sie mit dem Künstler Tobias Hermeling an dem Film

„Schauspiel­erin“

gearbeitet, in dem es um eine älter werdende, einsame Schauspiel­erin geht. Karner ist seit 1986 mit dem Schauspiel­er Peter Simonische­k verheirate­t, mit ihm hat sie zwei Söhne. war es sehr wichtig, dass unser Familienle­ben gut klappt. Deshalb konnte ich mich auf ein eigenes Projekt nicht mehr richtig einlassen, denn es hätte oftmals bedeutet, für einen Dreh über einen Monat einfach weg zu sein. Und so lange wollte ich meine Kinder nicht allein lassen, auch später nicht, als die Buben schon bei den Sängerknab­en und wenig zu Hause waren. Hat Ihnen etwas gefehlt? Bestimmt. Es war nicht leicht. Es war wahrschein­lich ein typischer Frauenweg. Und ich bin jemand, der alles ernst nimmt, was er tut – egal, wie schwer es ist. Zurück zu Ihrem Film: Hat die Schauspiel­erin im Film mit Ihnen und Ihrem Leben zu tun? Nein, hat sie nicht. Auf die Idee kann man nämlich schon kommen. Ja, das kann man. Man sieht in dem Film auch Rückblende­n, in denen ich als junge Schauspiel­erin zu sehen bin. Das war sehr mutig von mir. Aber wir wollten den Film dokumentar­isch drehen, um an diese Frau heranzukom­men. Sie sieht ja manchmal so aus, wie ich hoffentlic­h nie mehr aussehen werde. Sie erlebt ganz verzweifel­te Momente. Und das zeige ich ohne jede Eitelkeit. Es war mir egal, wie ich dabei aussehe. Mir ging es eben um Wahrhaftig­keit. Haben Sie den Film schon ein paar Menschen gezeigt? Ja, aber nur sehr wenigen. Ich habe auch Angst vor den Reaktionen, Angst davor, dass er zerrissen wird. Das Ganze ist ja riskant. Ich habe ihn einer Bekannten gezeigt, die ich sehr schätze und die auch Mitte 60 ist. Sie hat mir, nachdem sie den Film gesehen hat, jeden Kontakt zu ihr verboten. Das ist eine krasse Reaktion. Sie sagte mir, dass man so einen Film nicht macht, so etwas zeige man nicht. Sie wolle mit mir nichts mehr zu tun haben. Ich fürchte, ich habe einen wunden Punkt bei ihr getroffen. Aber ich habe immer schon polarisier­t. Bewusst oder unbewusst? Es geht mir nicht darum, zu polarisier­en, aber wenn ich das Glück habe, die Wahrheit zu treffen, passiert es. Darum bin ich über diese Reaktion froh. In den Jahren, in denen ich nicht polarisier­t habe, war ich ohnehin nur fad und habe nichts Gescheites zusammenge­bracht. Die Schauspiel­erin, die Sie spielen, wird fast wahnsinnig vor Einsamkeit. Wie geht es Ihnen mit dem Älterwerde­n? Das, was wir in dem Film zeigen, ist eine der Wahrheiten in diesem Beruf. Ich selbst finde das Älterwerde­n nicht besonders schwierig. Unangenehm ist, dass man sich nicht immer so gut fühlt, einen dort und da ein Wehwehchen plagt. Aber das muss man ohnehin hinnehmen. Da habe ich in meinem Mann auch einen wunderbare­n Partner, weil er das genauso sieht. Sie haben erst Ihre Erziehung angesproch­en. Wie waren Ihre Eltern? Mein Vater ist im Krieg erblindet. Zehn Jahre später lernte er meine Mutter kennen. Sie war eine extrem schöne Frau, hatte aber ganz schlechte Zähne. Sie war am Bauernhof mit 13 Geschwiste­rn aufgewachs­en, da gab es kein Geld, um sie richten zu lassen. Wenn sie mit jungen Männern redete oder lachte, hat sie sich immer die Hand vor den Mund gehalten. Als Sie meinen Vater kennenlern­te, musste sie das plötzlich nicht mehr, sondern konnte sich einfach unterhalte­n. Es war eine ganz große Liebe, ich habe sie nie streiten . . . ob Sie Ihre Söhne streng erzogen haben? Ja, ich war sehr streng mit ihnen. Ich war eine liebevolle und aufmerksam­e Mutter, aber unnachgieb­ig streng. Dabei ging es mir nie um Strenge an sich, sondern mir war wichtig, dass meine Kinder sehen, dass jedes Verhalten eine Konsequenz nach sich zieht. Und das haben sie auch verstanden. Ich habe ein großartige­s Verhältnis zu meinen Söhnen, sie erzählen mir alles. Sie sind ganz toll. . . . ob Einsamkeit ein Zug unserer Zeit ist? Sicher. Du kannst heute zu McDonald’s gehen, zum Billa, an den Nachbarn vorbei, keiner nimmt dich wahr. Die Einsamkeit ufert aus. Was den Leuten bleibt, ist der Fernseher, und was sie dort sehen, ist unterste Schublade. Wenn das das Leben sein soll . . . Dafür lohnt es sich nicht. sehen. All das habe ich verinnerli­cht. Was genau? Meine Mutter war und musste für meinen Vater immer da sein, weil er im Alltag Hilfe gebraucht hat. Damals habe ich mein Frauendase­in schon geübt. Mein Vater saß am Tisch, und wenn er etwas wollte, bin ich augenblick­lich aufgesprun­gen. Ich habe alle Männer in meinem Leben wie Blinde behandelt. Das war für sie natürlich paradiesis­ch. Der Schock war für sie allerdings groß, als ich vor ein paar Jahren gesagt habe: „Das ist jetzt zu Ende.“ Sind Sie ein sehr stolzer Mensch? Ja, das bin ich, das war mein Vater übrigens auch. Wie ist es dann für Sie, wenn man in Ihnen „nur“Frau Simonische­k sieht? Wenn jemand in mir privat Frau Simonische­k sieht, bin ich stolz darauf. Ich bin Frau Simonische­k. Beruflich ist es etwas anderes: Einmal wurde ich auf einem Plakat für eine ganz tolle Veranstalt­ung in der Steiermark so angekündig­t: „Brigitte Karner, Ehefrau von Peter Simonische­k.“ Das finde ich unmöglich. Ja, aber wenn ich das sage, versteht das keiner in meinem Umfeld, sondern alle tun so, als wäre ich hysterisch und würde übertreibe­n. Darum habe ich vollkommen aufgehört, mich aufzuregen. Es bringt nämlich nichts. Viel besser ist es, wenn ich stattdesse­n etwas mache, was mir guttut. Sicherlich. Nur nie bitter werden. Das wäre das Schlimmste. Bitterkeit ist Hässlichke­it von innen. Das würde ich nie zulassen. Und ich lerne ja an jedem Tag meines Lebens etwas Neues dazu und merke, dass ich mich verändere. Dafür bin ich sehr dankbar.

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Akos Burg Schauspiel­erin Brigitte Karner: „Bitterkeit ist Hässlichke­it von innen.“
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