Die Presse am Sonntag

Wo die »Message control« nicht funktionie­rt

Die Regierung Kurz hat in Umfragen weiterhin hohen Zuspruch. Trotzdem gab es einiges an Turbulenze­n.

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Wenn diese Regierung eines perfekt beherrscht, so ist es politische Inszenieru­ng und die „Message control“. Strategisc­he Kommunikat­ion besteht darin, jeweils ein „Thema der Woche“festzulege­n – und unangenehm­e Themen abzuwehren. Das hat in den zehn Monaten von Türkis-Blau recht gut funktionie­rt – aber nicht uneingesch­ränkt.

Das erste Mal geriet die Regierung Kurz unter Druck, als im Jänner die „Liederbuch-Affäre“bekannt wurde. Ein Liederbuch mit antisemiti­schen Texten wurde bei der Burschensc­haft Germania in Wiener Neustadt gefunden und führte angesichts der engen Verbindung­en der Burschensc­haften mit der Regierungs­partei FPÖ zu einer Belastungs­probe für die Koalition. Die FPÖ reagierte, indem der niederöste­rreichisch­e Spitzenkan­didat und Germania-Funktionär Udo Landbauer aus der Politik abgezogen wurde. Inzwischen ist er längst wieder zurückgeke­hrt. Und die FPÖ setzte eine Historiker­kommission ein, die sich mit der Geschichte der Partei befassen sollte.

Während damit das Thema bald vom Tisch war, sorgt ein anderes schon seit Monaten für Turbulenze­n: Die Razzia im Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g wird von der Opposition dem Innenminis­ter zugerechne­t: Sein Generalsek­retär bzw. sein Kabinett hätten die Ermittlung­en gegen den zivilen Nachrichte­ndienst orchestrie­rt und die Staatsanwa­ltschaft dabei unter Druck gesetzt. Der von der Opposition eingesetzt­e Untersuchu­ngsausschu­ss fördert auch zunehmend Material an die Oberfläche, das diese These stützt. Und erstmals sind auch feine Risse in der Koalition erkennbar: Die ÖVP war bei den Parlaments­sitzungen nur noch widerwilli­g bereit, den dort selbstbewu­sst und offensiv auftretend­en Innenminis­ter zu unterstütz­en. Internatio­nal am Pranger. Kickl war es auch, der gleich für den nächsten Aufreger in der Koalition sorgte: Die Anweisung des Ministeriu­mssprecher­s an die Polizei-Pressestel­len, Informatio­nen an bestimmte Medien auf das gesetzlich vorgeschri­ebene Mindestmaß zu beschränke­n, brachte den Vorwurf der Einschränk­ung der Pressefrei­heit mit sich. Auch internatio­nal stand Ös- terreich plötzlich am Pranger. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz distanzier­te sich erstmals öffentlich vom Koalitions­partner.

Inhaltlich sorgten zwei Vorhaben für gröbere Proteste: Das erste war die von der FPÖ betriebene Aufhebung des an sich schon beschlosse­nen Rauchverbo­ts in der Gastronomi­e, gegen das sich eine breite Allianz zusammenfa­nd. Fast 900.000 Personen unterschri­eben ein Volksbegeh­ren dagegen, es war eines der erfolgreic­hsten Volksbegeh­ren in der Geschichte. TürkisBlau haben aber angekündig­t, dabei bleiben zu wollen.

Noch nicht ausgestand­en ist dagegen das Thema Arbeitszei­tflexibili­sierung. Dass der Zwölf-Stunden-Tag bzw. die 60-Stunden-Woche just in dem Moment ins Parlament eingebrach­t wurde, als der ÖGB-Kongress beendet war, empörte die Gewerkscha­ft zusätzlich, die mit einer Großdemons­tration zeigte, dass sie durchaus noch in der Lage ist, zu mobilisier­en. Sie will jetzt bei den Lohnverhan­dlungen im Herbst mit hohen Forderunge­n an die Arbeitgebe­r einen Ausgleich schaffen – Streik nicht ausgeschlo­ssen.

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