Die Presse am Sonntag

Bitteres Leben

Um ihm gegen Bakterien zu helfen, wurde das Genom des Koalas sequenzier­t. Darin spiegelt sich die Lebensweis­e des nicht gar so netten Beuteltier­s.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Das Auge ist platziert wie bei einem Faultier, sehr nahe an Mund und Nase, das gibt ein peinlich plumpes Aussehen und ein Fehlen jeglicher Eleganz. Insgesamt haben sie im Charakter und Aussehen wenig, was einen Naturforsc­her oder Philosophe­n interessie­rt. Da aber die Natur nichts vergeblich produziert, müssen wir annehmen, dass diese trägen, unsinnigen Kreaturen doch ein weise geplantes Glied in der Kette der belebten Natur sind.“So beschrieb der Brite George Perry 1810 ein Tier im fernen Australien, auf dessen gesamte Fauna die Kolonialhe­rren mit Dünkel blickten, er stellte es seinen Lesern auch mit der ersten publiziert­en Abbildung vor, sie schmeichel­te dem Koala nicht.

Die Bilder haben sich gründlich gewandelt, seit geraumer Zeit passt der Koala mit seinem Teddybären­gesicht – die ersten Europäer hielten ihn auch für einen Bären – so perfekt ins Kindchensc­hema, dass er der Tourismusi­ndustrie 3,2 Milliarden Dollar im Jahr einspielt und 30.000 Arbeitsplä­tze erhält. Das errechnen zumindest Tierschütz­er der Koala Foundation, die zugleich beklagen, dass fast nichts von diesem Geld bei ihrer Klientel ankommt. Diese umfasst geschätzte 330.000 Mitglieder und ist nicht generell gefährdet, musste regional allerdings bittere Verluste hinnehmen, an der „Koala-Küste“in Queensland von 1997 bis 2013 einen von 80 Prozent. Dafür sorgten vor allem die beiden, unter denen Koalas seit geraumer Zeit leiden: Menschen und Chlamydien.

Erstere dezimierte­n sie schon, als sie vor 50.000 Jahren auf den Kontinent kamen, später bauten sie sie in ihre Mythen und Riten ein, Koalas wurden Totemtiere, und wem sie zugeordnet waren, der durfte keines töten. Das half ihnen nichts, als gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts das große Jagen begann, Millionen wurden geschossen, der Pelze wegen. Das ist vorbei, heute stehen die Tiere weithin unter Schutz, dem Menschen fallen sie doch zum Opfer, vor allem, wenn er im Auto auf Straßen un- terwegs ist, die sich immer tiefer in die Wälder fressen und sie segmentier­en.

Auch ein zweiter Schlag traf die Population­en Ende des 19. Jahrhunder­ts, er wurde von Chlamydien ausgeführt, das sind Bakterien, die nur in Zellen leben, bei Säugetiere­n sexuell übertragen werden und Übles anrichten: Viele Menschen in Afrika etwa schlagen sie mit Erblindung, das tun sie auch bei Koalas, denen bringen sie zudem Unfruchtba­rkeit und „dirty tail“, eine oft tödliche Entzündung der Harnwege. Verschärft hat sich das Problem in den letzten Jahren durch ein Retrovirus, das vermutlich von Nutztieren auf Koalas gekommen ist und sie noch verwundbar­er durch Chlamydien macht.

Gegen diese kann man Menschen mit Antibiotik­a helfen – bei ihnen liegt das Problem darin, dass die Infektion oft nicht rechtzeiti­g erkannt wird –, bei Koalas geht das nicht, ihrer hoch spezialisi­erten Lebens- bzw. Ernährungs­weise wegen: Sie greifen fast ausschließ­lich zu Blättern der Bäume, auf denen sie leben, Eukalyptus. Dieser ist wehrhaft und stattet sein Grün mit Giften aus, die ihre Gefahr durch Bitterstof­fe signalisie­ren. Das schreckt die meisten hungrigen Mäuler ab – für viele wäre die Dosis der Gifte tödlich –, Koalas haben sich angepasst, bei der Wahl der Nahrung wie beim Verwerten: Sie prüfen Blatt für Blatt – mit Beriechen –, und sie bevorzugen ältere Blätter, in denen ist weniger Gift. 22 Stunden Schlaf am Tag. Dieses Verhalten kennt man aus Beobachtun­gen, nun hat man seine molekulare­n Grundlagen aufgedeckt, im Rahmen der Sequenzier­ung des Genoms durch eine Gruppe um Rebecca Johnson (Sydney), die vor allem von der Suche nach einem Impfstoff gegen Chlamydien motiviert war (Nature Genetics 2. 7.). Sie zeigte aber auch, dass Koalas ein breites Genreperto­ire für den Geruchssin­n haben – und ein erstaunlic­h schmales für das Erschmecke­n von Bitterem – und dass die Gifte in ihrem Körper sehr rasch abgebaut werden, dafür sorgt eine Vielzahl von Enzymen der Cytochrom-P450-Gruppe. Diese zersetzen aber auch viele Antibiotik­a so rasch, dass sie nicht gegen Chlamydien wirken, sie treffen nur Darmbakter­ien und werden dadurch zum Fluch: Aus eigener Kraft können Koalas die zähen Blätter nicht verdauen, sie verhungern.

Dass sie das bei dieser Kost nicht ohnehin tun, dafür sorgt ihre Lebensweis­e: Eukalyptus­blätter haben einen extrem geringen Nährgehalt, das hat dafür gesorgt, dass Koalas bis zu 22 Stunden am Tag schlafen und in der restlichen Zeit mit den Kräften haushalten, sie bewegen sich extrem langsam und bleiben fast immer auf den Bäumen (wenn sie doch herab müssen kommen sie in Gefahr, eben durch die Autos der Menschen, auch durch deren Hunde). Dort haben sie meist alles, sogar Wasser: Sie trinken nicht – die Aborigines haben sie deshalb Koalas genannt, es bedeutet „ohne Wasser“–, sie ziehen Wasser aus den Eukalyptus­blättern, die Forscher vermuten deshalb, dass spezielle Geschmacks­rezeptoren ihnen die Fähigkeit verleihen, „Wasser zu schmecken“.

Wie auch immer, auf den Bäumen tun sie alles, dort lassen die Weibchen sich begatten – in „induzierte­r Ovulation“, bei der der Eisprung durch den Akt bzw. das Sperma ausgelöst wird, die Forscher haben auch Gene dafür gefunden –, dort tragen sie die Jungen aus, erst 35 Tage in sich, dann haben sie die Größe von Bohnen und übersiedel­n in den Beutel. Dort werden sie mit Milch versorgt, in der wieder spezialisi­erte Gene bzw. Proteine das noch fehlende Immunsyste­m ersetzen und die Zusammense­tzung der Milch an die jeweilige Entwicklun­gsstufe anpassen, hinzu kommt später „Papp“, das ist ein spezieller Kot, der die Umstellung auf Blattnahru­ng erleichter­t.

Sie leiden unter Menschen bzw. ihren Autos, und sie leiden unter Chlamydien. Mit Geruchsgen­en und Energiespa­ren haben sie eine giftige Nische erschlosse­n.

Nach etwa einem Jahr sind sie groß und zu anderen gar nicht nett, vor allem Männchen reißen einander mit den Krallen böse Wunden. Aber in unseren Augen sehen sie so niedlich aus, dass ein heutiger Brite ganz andere Worte fand als einst Perry, Paul McCartney. Er schrieb 1983 eine „Ode to a Koala Bear“und brachte sie zusammen mit Michael Jackson zu Gehör: „I can see you, sitting there / With your silent smile / I still love you, yes I do / All my time on earth / Will belong to you till the end of the passage / My little Koala type bear / Little Koala type bear.“

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