Jenseits von »Knittelfeld«
Wie funktioniert die FPÖ als Regierungspartei? Im Ton hält sie, auch taktisch, am Oppositionsstil fest. Sonst arbeitet sie konsequent ihre ideologische Agenda ab.
Die Wiedereinführung der Schulnoten. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann wurde medial heftig dafür gescholten. Dabei war es gar nicht seine Idee, ja nicht einmal seiner Partei war das ein großes Anliegen. Es war eine Bedingung der FPÖ. Schon bei den Regierungsverhandlungen. Auch wenn der FPÖ gern zugeschrieben wird, sie als Partei der Arbeiter, müsse eigentlich für ein Gesamtschulsystem sein – das Gegenteil ist der Fall. Die FPÖ ist die eifrigste Verfechterin des Erhalts des Gymnasiums. Und eines leistungsorientierten Schulsystems, das in der klassischen Notenskala zum Ausdruck kommt.
Die Bildungspolitik ist ein gutes Beispiel dafür, wie diese Regierung funktioniert und welche Rolle die FPÖ darin spielt. War es zu Zeiten von Schwarz-Blau I noch so, dass ÖVPKanzler Wolfgang Schüssel seine ideologische Agenda abzuarbeiten versuchte, so ist es nun eher die FPÖ, die das tut. Die Zusammenlegung der Sozialversicherung – ein freiheitliches Thema seit jeher. Nun ist es umgesetzt. Die Freiheit für die Raucher – beibehalten. Eine restriktive Zuwanderungspolitik, bei der mit Abschiebungen nun wirklich ernst gemacht wird. Blaue Handschrift. Das ist auch eine Lehre aus „Knittelfeld“, dem – für die FPÖ schmerzhaften – Synonym für das Scheitern von Schwarz-Blau I und den nachfolgenden (vorläufigen) Niedergang der Partei. So vorführen will sich die FPÖ nicht noch einmal lassen. Und sie will die Chance, die die neuerliche Regierungsbeteiligung nun bietet, diesmal nützen: Egal wie es letztlich ausgeht – es sollen freiheitliche Pflöcke in die politische Landschaft eingeschlagen werden, die so schnell auch nicht mehr ausgerissen werden können. Die FPÖ möchte das Land verändern – ein Gegenentwurf zu den 68ern solle es sein, wie Herbert Kickl das nennt.
Und damit es tatsächlich nicht mehr zu einem „Knittelfeld“kommt, wird nicht nur auf ein geeintes Auftreten geachtet, sondern auch der Ton im Oppositionsstil weitgehend beibehalten. Um die Funktionäre und Wähler, die solches gewohnt sind, bei der Stange zu halten. Ein Vertreter des türkisen Koalitionspartners drückt das so aus: „Den Freiheitlichen ist die öffentliche Meinung, jene in den herkömmlichen Medien, ziemlich egal. Sie werden nervös, wenn ihre Fans auf Facebook ihren Unmut zu äußern beginnen. Bei uns ist das umgekehrt.“
Und bei zunehmender Kritik auf dem Facebook-Account von Parteichef Heinz-Christian Strache mit seinen 800.000 Followern reagiert die FPÖ in der Tat sehr sensibel. Vor allem bei sozialpolitisch heiklen Maßnahmen wie der Einführung des Zwölf-Stunden-Tags wurde hier vermehrt Unruhe wahrge- nommen. Wobei dieser schon auch vom politischen Mitbewerber geschürt werde, glauben Freiheitliche. „Wir haben einen Filter, mit dem wir alle Bots und Trolle rausfiltern können“, sagt einer. Was nichts daran ändert, dass es auch echten Unmut von tatsächlichen FPÖ-Anhängern gab und gibt.
Diese werden dafür dann von Herbert Kickl bedient. Trotz aller Rücktrittsaufforderungen hält man in der FPÖ an ihm fest: „Kickl vertritt das, wofür wir gewählt wurden“, sagt ein freiheitlicher Kollege. Und man werde sich – anders als seinerzeit unter Schwarz-Blau – diesmal auch keinen „herausschießen“lassen. Kickl polarisiert auch in Partei. Unumstritten ist Herbert Kickl in der FPÖ nicht – zumal er ein Vertreter des „Kleinen Mannes“-Flügels ist, der sozialpolitisch stets eher nach links tendierte. Zumindest wenn es um angestammte Österreicher geht. Dem gegenüber steht der wirtschaftsaffine Flügel, dem ein Großteil der einflussreichen Burschenschafter angehört. In den Kreisen der akademischen schlagenden Verbindungen gibt es auch Ressentiments gegen Kickl, weil er kein abgeschlossenes Studium hat.
Aber auch ohne akademischen Titel brachte es Kickl zum Chefstrategen der FPÖ. Rhetorisch ist er einer der Besten in der Partei. Das brachte ihm auch schon einige Ordnungsrufe im Parlament ein – auch jetzt als Minister, was eher ungewöhnlich ist. Kickl ist es nicht gewohnt, den Lautstärkeregler mit Feingefühl zu bedienen.
Das betrifft seine Reden ebenso wie das Durchsetzen blauer Politik in seinem Ministerium. Sein Generalsekretär Peter Goldgruber bevorzugt ohnehin den Bihänder statt des Floretts. Dieser macht im Innenministerium seine Art Law-And-Order-Politik: Wer nicht spurt, bekommt unmittelbar Konsequenzen zu spüren. Geschickte Machtausübung braucht aber Fingerspitzengefühl. Wie das aussehen kann, zeigt Norbert Hofer im Infrastrukturministerium. Obwohl sein Kabinett ein Sammelsurium an ideologischen Hardlinern ist, lief die Machtübernahme ruhig ab – und Hofer erfreut sich in der mehrheitlich roten Beamtenschaft relativ hoher Beliebtheit. Der Grund: Er lässt sie eigenverantwortlich arbeiten, vertraut auf ihre Expertise, bindet sie ein. Die ÖBB wurde ohne große Aufregung umgefärbt, dort führt nun Arnold Schiefer die Geschicke. Hofer hält sich zurück.
Zugegeben: Für Hofer ist es einfacher als für Kickl der Good Cop zu sein. Denn mit seinen Ministeriumsagenden eckt er weniger an als der andere mit den Themen Sicherheit, Asyl und Migration. Und Kickl hat politisch bisher doch viele Akzente gesetzt – Hofer kaum. Außer Tempo 140 war von ihm wenig zu hören. Er ist allerdings als Regierungskoordinator eine der Schlüsselfiguren dieser Koalition.
Und hier gilt seit Regierungsantritt: Man streitet – und das passiert durchaus nicht so selten – intern, nach außen tritt man geschlossen auf. Jeder lässt den anderen leben. Die Zusammenarbeit ist von gegenseitiger Wertschätzung getragen – vor allem im Vergleich zu Rot-Schwarz davor.
Was Wolfgang Schüssel bei Schwarz-Blau I gemacht hat, macht nun eher die FPÖ.
Norbert Hofer ist jedenfalls in der Öffentlichkeit nicht das zurückhaltendste Mitglied der FPÖ-Regierungsseite. Das ist Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs. Medienauftritte sind ihm ein Graus – er arbeitet lieber im Hintergrund. Und das sehr fleißig. Derzeit bereitet er die nächste Steuerreform vor.
Irgendwo dazwischen angesiedelt ist Sozialministerin Beate HartingerKlein: Ihre ersten öffentlichen Auftritte waren misslungen, auf die zahlreichen Tiefs folgte nun aber ein kleines Zwischenhoch mit dem Abschluss der Sozialversicherungsreform. Glücklicher Strache. Und dann wäre da noch der Parteichef. Heinz-Christian Strache hat sich in kurzer Zeit vom polternden Oppositionellen zum freundlich lächelnden Vizekanzler gewandelt. Er scheint seine neue Rolle zu genießen – mit Sport und Beamten hat er nur wenig kontroverse Themen. Seine Partei macht ihm wenig Probleme – die Bundesländer sind großteils auf Kurs. Nur in der niederösterreichischen Landespartei geht es nach der Causa Landbauer noch immer turbulent zu. FPÖLandesrat Gottfried Waldhäusl ist immer wieder für Aufreger gut. Dass es keine gröberen Dissonanzen im Klub gibt, dafür sorgt Klubobmann Johann Gudenus, Straches Mann fürs Grobe. Wobei dieser – im Fall vorgezogener Neuwahlen in Wien – auch wieder abhanden kommen könnte. Denn neben dem Bund möchte die FPÖ auch in Wien in der Regierung sitzen.