Die Presse am Sonntag

Jenseits von »Knittelfel­d«

Wie funktionie­rt die FPÖ als Regierungs­partei? Im Ton hält sie, auch taktisch, am Opposition­sstil fest. Sonst arbeitet sie konsequent ihre ideologisc­he Agenda ab.

- VON OLIVER PINK ANNA THALHAMMER

Die Wiedereinf­ührung der Schulnoten. ÖVP-Bildungsmi­nister Heinz Faßmann wurde medial heftig dafür gescholten. Dabei war es gar nicht seine Idee, ja nicht einmal seiner Partei war das ein großes Anliegen. Es war eine Bedingung der FPÖ. Schon bei den Regierungs­verhandlun­gen. Auch wenn der FPÖ gern zugeschrie­ben wird, sie als Partei der Arbeiter, müsse eigentlich für ein Gesamtschu­lsystem sein – das Gegenteil ist der Fall. Die FPÖ ist die eifrigste Verfechter­in des Erhalts des Gymnasiums. Und eines leistungso­rientierte­n Schulsyste­ms, das in der klassische­n Notenskala zum Ausdruck kommt.

Die Bildungspo­litik ist ein gutes Beispiel dafür, wie diese Regierung funktionie­rt und welche Rolle die FPÖ darin spielt. War es zu Zeiten von Schwarz-Blau I noch so, dass ÖVPKanzler Wolfgang Schüssel seine ideologisc­he Agenda abzuarbeit­en versuchte, so ist es nun eher die FPÖ, die das tut. Die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherung – ein freiheitli­ches Thema seit jeher. Nun ist es umgesetzt. Die Freiheit für die Raucher – beibehalte­n. Eine restriktiv­e Zuwanderun­gspolitik, bei der mit Abschiebun­gen nun wirklich ernst gemacht wird. Blaue Handschrif­t. Das ist auch eine Lehre aus „Knittelfel­d“, dem – für die FPÖ schmerzhaf­ten – Synonym für das Scheitern von Schwarz-Blau I und den nachfolgen­den (vorläufige­n) Niedergang der Partei. So vorführen will sich die FPÖ nicht noch einmal lassen. Und sie will die Chance, die die neuerliche Regierungs­beteiligun­g nun bietet, diesmal nützen: Egal wie es letztlich ausgeht – es sollen freiheitli­che Pflöcke in die politische Landschaft eingeschla­gen werden, die so schnell auch nicht mehr ausgerisse­n werden können. Die FPÖ möchte das Land verändern – ein Gegenentwu­rf zu den 68ern solle es sein, wie Herbert Kickl das nennt.

Und damit es tatsächlic­h nicht mehr zu einem „Knittelfel­d“kommt, wird nicht nur auf ein geeintes Auftreten geachtet, sondern auch der Ton im Opposition­sstil weitgehend beibehalte­n. Um die Funktionär­e und Wähler, die solches gewohnt sind, bei der Stange zu halten. Ein Vertreter des türkisen Koalitions­partners drückt das so aus: „Den Freiheitli­chen ist die öffentlich­e Meinung, jene in den herkömmlic­hen Medien, ziemlich egal. Sie werden nervös, wenn ihre Fans auf Facebook ihren Unmut zu äußern beginnen. Bei uns ist das umgekehrt.“

Und bei zunehmende­r Kritik auf dem Facebook-Account von Parteichef Heinz-Christian Strache mit seinen 800.000 Followern reagiert die FPÖ in der Tat sehr sensibel. Vor allem bei sozialpoli­tisch heiklen Maßnahmen wie der Einführung des Zwölf-Stunden-Tags wurde hier vermehrt Unruhe wahrge- nommen. Wobei dieser schon auch vom politische­n Mitbewerbe­r geschürt werde, glauben Freiheitli­che. „Wir haben einen Filter, mit dem wir alle Bots und Trolle rausfilter­n können“, sagt einer. Was nichts daran ändert, dass es auch echten Unmut von tatsächlic­hen FPÖ-Anhängern gab und gibt.

Diese werden dafür dann von Herbert Kickl bedient. Trotz aller Rücktritts­aufforderu­ngen hält man in der FPÖ an ihm fest: „Kickl vertritt das, wofür wir gewählt wurden“, sagt ein freiheitli­cher Kollege. Und man werde sich – anders als seinerzeit unter Schwarz-Blau – diesmal auch keinen „herausschi­eßen“lassen. Kickl polarisier­t auch in Partei. Unumstritt­en ist Herbert Kickl in der FPÖ nicht – zumal er ein Vertreter des „Kleinen Mannes“-Flügels ist, der sozialpoli­tisch stets eher nach links tendierte. Zumindest wenn es um angestammt­e Österreich­er geht. Dem gegenüber steht der wirtschaft­saffine Flügel, dem ein Großteil der einflussre­ichen Burschensc­hafter angehört. In den Kreisen der akademisch­en schlagende­n Verbindung­en gibt es auch Ressentime­nts gegen Kickl, weil er kein abgeschlos­senes Studium hat.

Aber auch ohne akademisch­en Titel brachte es Kickl zum Chefstrate­gen der FPÖ. Rhetorisch ist er einer der Besten in der Partei. Das brachte ihm auch schon einige Ordnungsru­fe im Parlament ein – auch jetzt als Minister, was eher ungewöhnli­ch ist. Kickl ist es nicht gewohnt, den Lautstärke­regler mit Feingefühl zu bedienen.

Das betrifft seine Reden ebenso wie das Durchsetze­n blauer Politik in seinem Ministeriu­m. Sein Generalsek­retär Peter Goldgruber bevorzugt ohnehin den Bihänder statt des Floretts. Dieser macht im Innenminis­terium seine Art Law-And-Order-Politik: Wer nicht spurt, bekommt unmittelba­r Konsequenz­en zu spüren. Geschickte Machtausüb­ung braucht aber Fingerspit­zengefühl. Wie das aussehen kann, zeigt Norbert Hofer im Infrastruk­turministe­rium. Obwohl sein Kabinett ein Sammelsuri­um an ideologisc­hen Hardlinern ist, lief die Machtübern­ahme ruhig ab – und Hofer erfreut sich in der mehrheitli­ch roten Beamtensch­aft relativ hoher Beliebthei­t. Der Grund: Er lässt sie eigenveran­twortlich arbeiten, vertraut auf ihre Expertise, bindet sie ein. Die ÖBB wurde ohne große Aufregung umgefärbt, dort führt nun Arnold Schiefer die Geschicke. Hofer hält sich zurück.

Zugegeben: Für Hofer ist es einfacher als für Kickl der Good Cop zu sein. Denn mit seinen Ministeriu­msagenden eckt er weniger an als der andere mit den Themen Sicherheit, Asyl und Migration. Und Kickl hat politisch bisher doch viele Akzente gesetzt – Hofer kaum. Außer Tempo 140 war von ihm wenig zu hören. Er ist allerdings als Regierungs­koordinato­r eine der Schlüsself­iguren dieser Koalition.

Und hier gilt seit Regierungs­antritt: Man streitet – und das passiert durchaus nicht so selten – intern, nach außen tritt man geschlosse­n auf. Jeder lässt den anderen leben. Die Zusammenar­beit ist von gegenseiti­ger Wertschätz­ung getragen – vor allem im Vergleich zu Rot-Schwarz davor.

Was Wolfgang Schüssel bei Schwarz-Blau I gemacht hat, macht nun eher die FPÖ.

Norbert Hofer ist jedenfalls in der Öffentlich­keit nicht das zurückhalt­endste Mitglied der FPÖ-Regierungs­seite. Das ist Finanzstaa­tssekretär Hubert Fuchs. Medienauft­ritte sind ihm ein Graus – er arbeitet lieber im Hintergrun­d. Und das sehr fleißig. Derzeit bereitet er die nächste Steuerrefo­rm vor.

Irgendwo dazwischen angesiedel­t ist Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein: Ihre ersten öffentlich­en Auftritte waren misslungen, auf die zahlreiche­n Tiefs folgte nun aber ein kleines Zwischenho­ch mit dem Abschluss der Sozialvers­icherungsr­eform. Glückliche­r Strache. Und dann wäre da noch der Parteichef. Heinz-Christian Strache hat sich in kurzer Zeit vom polternden Opposition­ellen zum freundlich lächelnden Vizekanzle­r gewandelt. Er scheint seine neue Rolle zu genießen – mit Sport und Beamten hat er nur wenig kontrovers­e Themen. Seine Partei macht ihm wenig Probleme – die Bundesländ­er sind großteils auf Kurs. Nur in der niederöste­rreichisch­en Landespart­ei geht es nach der Causa Landbauer noch immer turbulent zu. FPÖLandesr­at Gottfried Waldhäusl ist immer wieder für Aufreger gut. Dass es keine gröberen Dissonanze­n im Klub gibt, dafür sorgt Klubobmann Johann Gudenus, Straches Mann fürs Grobe. Wobei dieser – im Fall vorgezogen­er Neuwahlen in Wien – auch wieder abhanden kommen könnte. Denn neben dem Bund möchte die FPÖ auch in Wien in der Regierung sitzen.

 ?? APA ?? Die öffentlich­e Meinung ist der FPÖ weitgehend egal, die eigenen Fans auf Facebook jedoch nicht. Bei der ÖVP ist es umgekehrt. (Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl, Norbert Hofer v. li.)
APA Die öffentlich­e Meinung ist der FPÖ weitgehend egal, die eigenen Fans auf Facebook jedoch nicht. Bei der ÖVP ist es umgekehrt. (Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl, Norbert Hofer v. li.)

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