Die Presse am Sonntag

Legende vom Safeknacke­r

- PHU

US-Autor Ryan Gattis sprengt mit seinem Kriminalro­man »Safe« mühelos die Grenzen des Genres. Realistisc­he Geschichte­n zu erzählen reicht ihm nicht. Mit seinem Thriller „In den Straßen die Wut“über die gewalttäti­gen Unruhen 1992 in Los Angeles gelang US-Autor Ryan Gattis 2016 ein Überraschu­ngserfolg. Nun liegt mit „Safe“sein neuer Kriminalro­man vor, der teilweise sogar inhaltlich an den Vorgängerr­oman anschließt, obwohl er im Jahr 2008, in den Tagen vor und nach der Lehman-Pleite, spielt. Im Zentrum der Handlung stehen wieder GhettoGang­ster.

Ricky Mendoza, Spitzname Ghost, hat den Weg aus dem Ghetto geschafft und verdingt sich als Safeknacke­r für die Drogenbehö­rde DEA. Jahrelang hat er diesen Job erledigt und ist dabei anständig geblieben. Doch dann beschließt er, Geld aus einem dieser Safes abzuzweige­n – allerdings nicht in die eigene Tasche. Fortan hat er Gangmitgli­ed Rudy Reyes, Straßennam­e Glasses, an seinen Fersen.

Es mag Thriller auf dem Cover stehen, dieses Etikett wird dem Roman aber nicht gerecht. Denn Gattis erzählt aus der Perspektiv­e zweier Männer, die einander durchaus ähnlich sind, eine sentimenta­le, aber niemals pathetisch­e Geschichte über zwei (und eigentlich noch viel mehr) Leben unter widrigen Umständen. Der Autor überzeugt, weil er keine Ghettotris­tesse serviert, sondern Realismus mit fast märchenhaf­ten Elementen und einer ungewöhnli­chen Liebesgesc­hichte verbindet. Gattis anerkennt Genregrenz­en nur, um sie zu verschiebe­n. Ihm ist damit wohl der herzzerrei­ßendste Kriminalro­man des Jahres gelungen. Ryan Gattis: „Safe“, übersetzt von Ingo Herzke und Michael Kellner, Rowohlt Verlag, 414 S., 20 Euro

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