Längst nicht mehr »Jungautorin«
Die deutsche Autorin und Regisseurin Helene Hegemann über ihren dritten Roman »Bungalow«, Kritik ihres Vaters und die undifferenzierten Seiten der MeToo-Debatte.
Sibylle Berg, eine gute Freundin von Ihnen, sagt, sie habe zu ihren fertig gedruckten Büchern keine Beziehung. Gerade ist Ihr dritter Roman „Bungalow“erschienen. Wie ist Ihr Beziehungsstatus? Helene Hegemann: Ich unterschreibe, was Sibylle sagt. Man ist über einen so langen Zeitraum gewöhnt daran, etwas Unvollständiges vor sich zu haben, das man jederzeit nach Belieben verändern kann – und dann ist es plötzlich gedruckt; es ist ein anderer Gegenstand. So ein unfertiger Roman als Datei auf dem Computer ist die permanente Aufforderung, darüber nachzudenken oder ihn zu modifizieren. In dem Moment, in dem man nichts mehr verändern kann, hat es nichts mehr mit dem Ursprung zu tun. Löst das fertige Produkt keine Freude aus? Das ist sehr viel weniger euphorisierend, als man annehmen würde. Ich dachte lang, das gedruckte Buch erstmals in der Hand zu haben, sei der großartigste Moment im Leben eines Schriftstellers. Und dann war es eine totale Enttäuschung. Was ist dann der großartigste Moment eines Schriftstellers? Die Druckfahnen entgegenzunehmen! Abgesehen von bestimmten intensiven Momenten während des Schreibens, wegen derer man das ja macht. Im Schreiben versucht man sich zurückzuversetzen in den Zustand, in den man als Kind beim Lesen kommen konnte. Der geht einem als Erwachsener ab, weil man nicht mehr imstande ist, so viel zu fühlen. Beim Schreiben geht das aber. Sie haben sehr früh mit dem Schreiben angefangen. Mit 26 Jahren haben Sie zehn Jahre literarische Erfahrung. Wie lang wird man Sie als „Jungautorin“wahrnehmen? Ich glaube, das ist schon vorbei. Bewusst aufgefallen ist mir das beim Sundance-Filmfestival, auf dem „Axolotl Overkill“im Vorjahr Premiere hatte. Dort haben sie konsequent das Alter in den Kurzbiografien aller Teilnehmer weggelassen. Und es hätte wahrschein- lich auch keine Rolle gespielt, wenn ich drei Jahre jünger gewesen wäre. Kommentiert Ihr Vater, Theatermacher Carl Hegemann, eigentlich Ihre Arbeit? Sehr gern. Und wie ist das für Sie? Ich halte ihn für irre smart, sein Zugang zu Kunst und Literatur ist besonders. Aber wir halten uns in unterschiedlichen Bereichen auf. Wir beurteilen unsere Sachen nach falschen Parametern, weil wir so unterschiedliche haben. Aber das führt nicht zu Konflikten. In „Bungalow“geht es um die 13-jährige Charlie, die in einem Sozialbau mit einer überforderten Mutter aufwächst. Die Erzählerin empfindet „höllisches Mitleid“für ihre Mutter, das sich mit Hass abwechselt. Das Verhältnis zwischen Charlie und ihrer Mutter ist eine Co-Abhängigkeit. Charlie ist gezwungen, mit jemandem zusammenzuleben, jemanden zu lieben trotz seiner Disposition. Sie muss permanent mit der schlimmstmöglichen Katastrophe rechnen. Sie weiß nie, ob ihre Mutter gut funktionieren wird, wenn sie heimkommt, oder mit einer Axt vor ihr steht. Es ist interessant, was das mit einem Menschen macht, wenn er bei jedem Schritt eine sich öffnende Falltür vermuten muss. Wir leben in bewegten Zeiten, auch politisch. Sollen sich Künstler politisch äußern? Kommt darauf an, wie gut sie es können. Es gibt so viele bekloppte Künstler; ich will nicht, dass sich die alle politisch äußern. Komischerweise ist es so eine Anforderung an Schriftsteller, dass sie zu allem ihre Meinung kundtun. Ich finde das fragwürdig. So wie ich politisch gemeinte Kunst unerträglich finde. Kunst ist der letzte Bereich, der nur dadurch politisch sein kann, dass er alle Regularien unterwandert und überhaupt nicht zeitgemäß agiert oder bestimmten Trends gerecht wird. Sie sind nicht auf Instagram oder anderen sozialen Netzwerken. Warum nicht? Weil ich es nicht gut kann und auch
Helene Hegemann
(geb. 19. Februar 1992 in Deutschland) ist Autorin, Regisseurin und Schauspielerin. Sie wuchs zunächst bei ihrer geschiedenen Mutter in Bochum und nach deren Tod bei ihrem Vater, dem Theatermacher Carl Hegemann, in Berlin auf und begann mit 13 Jahren zu schreiben.
Schlagartig bekannt
wurde sie 2010 mit ihrem Debütroman „Axolotl Roadkill“, der zunächst gefeiert und dann wegen Plagiatsvorwürfen breit diskutiert wurde. Hegemann soll Passagen aus Texten des Bloggers Airen kopiert haben. 2015 verfilmte Hegemann den Roman, sie fungierte bei „Axolotl Overkill“selbst als Regisseurin und Drehbuchautorin. Nach „Jage zwei Tiger“erschien im August ihr dritter Roman „Bungalow“, der es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte.
Hegemann
war am 24. Oktober auf Einladung von Ema KaiserBrandstätter und Lotte Puschmann in Wien und im Salon im Looshaus zu Gast. Sie ist mit der Journalistin Andrea Hanna Hünniger liiert. nicht will. Ich finde das einen perversen Vorgang und halte die FeedbackSchleife, in die alle hineingeraten, für tiefschürfend krankhaft. Ich habe auch die Vermutung, dass alle auf den Tag 25 Jahre, nachdem sie sich ihre Accounts eingerichtet haben, tot umfallen werden. Stichwort Frauen und Gleichberechtigung: Sind wir gerade an einem Wendepunkt, an dem sich viel Gutes tut, oder sehen Sie eher einen Backlash? Der Backlash resultiert daraus, dass es Frauen besser geht. Es muss ein reaktionäres Rollback geben, weil Männer so kurz davor sind, ihre Privilegien aufgeben zu müssen. Ich finde das folgerichtig und ein gutes Zeichen dafür, dass es gefährlich wird für bestimmte Menschen in bestimmten Positionen. Dieses Sich-noch-einmal-hysterischAufbäumen gehört dazu. Läuft die MeToo-Debatte richtig? Sie ist extrem undifferenziert. Ich halte mich mit dem Gedanken über Wasser, dass es jetzt einfach eine ähnliche Art der Ungerechtigkeit geben muss, mit der Männer abgeurteilt werden von Frauen. Mit einem Fingerschnipsen kann man jemandem ohne große Beweise die Existenzgrundlage wegziehen als Frau. Das muss vielleicht so sein aufgrund der Ungerechtigkeiten, die Frauen so lang widerfahren sind. Vielleicht ist es die einzige Möglichkeit, eine Balance herzustellen. Ich kann mich da nicht immer auf eine Haltung mit mir einigen. Bis dahin, dass ich manchmal selbst in so etwas Erzkonservatives abdrifte und meine Gedanken korrigieren muss. Ich finde das schwierig. Ist etwas wie jüngst die Nominierung für die Longlist des Deutschen Buchpreises wichtig für Sie? Es ist problematisch, weil ich nie in Wettbewerb treten wollte. Aber dann wirst du hineingezogen und freust dich auch noch total, machst dich so schnell davon abhängig. Das kann nur ein Fehler sein, oder? Man sollte Preise und Ehrungen nicht so ernst nehmen.